Pellkartoffeln mit Quark sind gutes Essen

Ungleichheit Cem Ödzemirs Forderung zu Lebensmittelpreisen löste links der Grünen Empörung aus. Wer die Debatte differenziert betrachtet, erkennt aber vor allem eines: den Versuch, uns gegeneinander ausspielen
Ausgabe 01/2022
Bei den Preisen für das Kilo Fleisch kann es den Tieren nicht gut gehen
Bei den Preisen für das Kilo Fleisch kann es den Tieren nicht gut gehen

Foto: Imago/Geisser

Er habe das „Gefühl“, uns Deutschen sei gutes Motoröl wichtiger als gutes Salatöl – so garnierte der neue Argrarminister Cem Özdemir (Grüne) kürzlich seine Forderung, Lebensmittel dürften nicht mehr zu Ramschpreisen angeboten werden. Der Preis von einem Kilo Hackfleisch müsse „die ökologische Wahrheit“ besser ausdrücken. Welch ein Hohn, dachten viele, wer kein Geld hat, kann sich diese Wahrheit nämlich nicht leisten. Also weder gutes Motoröl noch kaltgepresstes Olivenöl und schon gar kein Bio-Hack. Die taz schimpfte: Snobistische Oberschichtspartei!

Es ist zum Mäuse melken, ja, aber auch wenn es uns nicht schmeckt, in der Sache hat Özdemir recht. Denn bei 3,99 Euro für das Kilo Discounter-Hack ist die tierquälerische Haltung von Schweinen oder Rindern sowie der exzessive Einsatz von Antibiotika nicht mit eingepreist. Einkalkuliert ist auch nicht der gesundheitliche Preis für fetthaltige, zuckerreiche Lebensmittel, die in Fertigprodukten stecken. Dass die Billigproduktion von Lebensmitteln schamlos auf die Ausbeutung von Niedriglöhnern geht, das ist in diesem Preis enthalten. Oder: Paprika aus der Türkei ist eben auch nur deshalb so günstig, weil der CO2-Preis nicht einberechnet ist. Weitere Posten wären die unsinnigen EU-Subventionen, die Massen- und Überproduktion fördern und gute Lebensmittel konkurrenzunfähig machen. Schließlich fehlt ein Warnhinweis auf den Verpackungen für all diese Schweinereien im Lebensmittelsektor, ganz so wie bei den Zigarettenschachteln.

Aber weil das zugegebenermaßen alles sehr komplex ist und außerdem noch das Gewissen weiter belastet, versuchen viele, den Grünen das Etikett „Verbotspartei“ anzuhängen. Die dürften den Bürger:innen nicht vorschreiben, was oder wie viel gegessen werde, moserte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Ein Rezept, auf das die CSU gerne zurückgreift, insbesondere dann, wenn es ums deutsche Essen geht (Achtung: kann Spuren von Leitkultur enthalten).

Diesmal wollte Söders Attacke aber nicht zünden. Discounter wie Aldi oder Kaufland fühlten sich sogar zu Stellungnahmen verpflichtet. Das sicher auch, weil sie eine zunehmend konsumkritische Klientel bedienen. Erwartungsgemäß meldeten sich auch die Sozialverbände zu Wort. Aber, und bitte jetzt nicht falsch verstehen, auch hier sind die Menschen vielleicht weiter, als es gut meinende Sozial-Lobbyisten manchmal glauben. Lebensmittel müssen bezahlbar bleiben, ja, aber viele Normalkulinariker, auch die mit geringem Einkommen, wollen sich gesünder, nachhaltiger, ethischer ernähren. Was übrigens so manche Studie belegt. Da sind Pellkartoffeln mit Quark eben nicht nur ein günstiges, sondern auch ein gutes Essen.

Was ist noch aus der Ramschpreisdebatte zu lernen? Dass jede Person, die nicht gänzlich politikverdrossen ist, natürlich geradezu gehofft hat, ein grüner Agrarminister werde auch mal selbstbewusste Akzente setzen; dass er womöglich auch den grünen opportunistischen Pragmatismus abstellt, denn das neue Tierschutzgesetz, das die Hochleistungszucht weiter ermöglicht, haben die Grünen mitunterstützt.

Das eigentliche Leben ist nicht teurer geworden, Schuld an der steigenden Belastung sind explodierende Mieten, gestiegene Energiepreise. Aber weil Essen so zuverlässig die Gemüter erhitzt, kann man uns prima gegeneinander ausspielen. Wir sollten aber genau hinsehen, wer oder was uns auffrisst.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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