Anders als Kritiker behaupten, spielt der Schwarzwald-Tatort auf der Höhe der Zeit

Fernsehkritik Die Pandemie und die drohende Klimakrise haben einer ganzen Generation viel Hoffnung geraubt. Der Schwarzwald-Tatort nimmt sich der Generation Z an – und überzeugt
Desillusion auf den Punkt gebracht: Kommissarin Franziska Tobler (Eva Löbau) und ihre Nichte Vanessa (Lola Höller)
Desillusion auf den Punkt gebracht: Kommissarin Franziska Tobler (Eva Löbau) und ihre Nichte Vanessa (Lola Höller)

Foto: Benoît Linder/SWR/ARD

Öfter reibt man sich als Gelegenheits-Zuschauerin des Tatorts hinterher die Augen. Da hat man sich doch eigentlich solide, manchmal sogar hervorragend unterhalten gefühlt, und ab 21.45 Uhr dann das: Tatort-Kritiker, die schon wieder das Gegenteil behaupten und dies und das zu bekritteln haben. Man selbst hat es zwar nicht gemerkt, aber schon wieder sollen Drehbuch/Regie den Dreifach-Anspruch – einen sozialrealistischen Krimi zeigen, über deutsche Gegenwart sehr gegenwärtig erzählen und obendrein eine subtil-pädagogische Mitteilung machen, – mehr schlecht als recht erfüllt haben. Die gängige Kritik: Das geschilderte Milieu war allzu klischiert, die Figuren waren stereotyp oder mit dem Zaunpfahl divers (trans, schwul, Schwarz) vorgestellt und – warum hat man so oft den Eindruck, dass die Gesellschaftskritik mit einem biederen, öffentlich-rechtlichen Holzhammer pseudo-ambitioniert daherkommt?

Irgendwie so und irgendwie so auch wieder gestern: Der Spiegel befand zur Folge aus dem Schwarzwald mit den Kriminalhauptkommissaren Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner): „Noch enttäuschender ist es, dass trotz des universal anmutenden Titels Das geheime Leben unserer Kinder wenig über die ins Visier genommene Generation Z erzählt wird. Ein-, zweimal wird die Klimaangst thematisiert, ansonsten kommt das Publikum den jungen Menschen nicht recht nahe. Ein bisschen tiefer hätte man für dieses Patchwork-Familiengrab schon schaufeln können“.

Diesen Eindruck kann man nun gar nicht teilen. Man muss nur die letzte Zeit im Leben unterwegs gewesen sein, um ein wenig von der Generation Z im echten Leben mitbekommen zu haben, vielleicht hat man just heute Morgen einen Klimakleber passiert und es waren keine Dreharbeiten für einen Tatort. Also angefangen damit, dass es wirklich keine öftere Thematisierung der „Klimaangst“ von mehr als „ein-, zweimal“ braucht, weil wir nun wirklich alle im Thema sind – es klingt auch ein wenig so, als müsste das ratlose Publikum zu noch mehr Verständnis für diese „jungen Menschen“ motiviert werden.

Betroffene Eltern (und interessierte Zeitgenossen) brauchen eher keinen Holzhammer, um darüber im Bilde zu sein, welche psychosozialen Folgen die Coronapandemie bei jungen Erwachsenen hinterlassen hat und die Klimakrise weiterhin auslöst. Betroffene Eltern (und interessierte Angehörige von betroffenen Familien) haben vermutlich beklommen zugeschaut. Wie groß sind die Ähnlichkeiten zu den Liebsten zu Hause? Fakt scheint eher zu sein, dass das Problembewusstsein in Gesellschaft und Politik dafür klein ist. Oder warum urteilt die FAZ, ein wenig Selbstironie hätte nicht geschadet? Sollte man die realen Nöte, Depressionen und Ängste von jungen Erwachsenen belächeln?

Die psychosozialen Folgen von Corona und Klimakrise

Das Drehbuch schrieb Astrid Ströher, Kai Wessel führte Regie, was ist die Story? Ein Junge namens Chris wird am Fluss tot aufgefunden. Er war der gute Freund von Zoé (Caroline Cousin) und Benno (Aniol Kirberg). Die zwei haben zwar gigantische Probleme, aber wieso sollten sie ihren Freund umbringen? Es sind Probleme, von denen die Eltern nichts wissen. Probleme und Pläne. Auch von den Plänen wissen die Eltern nichts. Während in den Sozialen Medien gerade erstaunlich höchst emotional gestritten wird, was dran ist an den DDR-Aufarbeitungsbüchern von Dirk Oschmann und Katia Hoyer und warum Jahrzehnte nach der Wende die Aufarbeitung immer noch blinde Flecken hat, wird in diesem Tatort von einer gar noch nicht so lange zurückliegenden großen Zäsur erzählt, die aber jetzt schon alle scheinbar vergessen und zu den Akten gelegt haben.

Wie viele Kinder und Jugendliche abgedriftet sind während Corona und wie viele Kinder und Jugendliche wirklich ein dramatisches Gefühl der Hoffnungslosigkeit angesichts der Klimakrise erleben – wer dies einigermaßen ernst nimmt, der sieht in diesem Tatort sehr realistisch drei junge Erwachsene in ihrer Verzweiflung und im Versuch, alles auf eine Karte zu setzen. Genauso realistisch, jedoch vielleicht einfallslos und nah am Klischee wäre gewesen, wenn die drei Drogen nehmen würden, sich ritzen. Nein, sehr auf der Höhe der Gegenwart geht es auch um Kryptodeals, und Nichte Vanessa von Hauptkommissarin Tobler stellt nebenbei lebensgefährliche „Challenges“ ins Netz, weil sie Influencerin werden will. Wer Kinder hat, weiß, das gibt es in nächster Nähe. Die Warteliste für einen Platz beim Kinder- und Jugendtherapeuten ist lang.

Überzeugend auch (und auch das erinnert ein wenig an die derzeit wieder viel diskutierte Wende), wie die Patchworkeltern Miriam Schenk und Paul Wolf gezeigt werden. Der auftragslose Musiker Paul ist infolge der Corona-Krise immer noch in Existenznöten. Eine Affäre lenkt ihn ab, wie überhaupt die Eltern sehr mit sich selbst beschäftigt sind und gar nicht bemerken, wie ihre Kinder abdriften. Die Kritiker sehen in diesem Tatort einen mehr oder weniger banalen „Generationenkrimi“ mit Boomern, die nichts mitkriegen, was die psychosozialen Folgen von Corona und der Klimakrise banalisiert. Dabei wird hier Gegenwart sehr gegenwärtig erzählt.

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