Am Sonntag wird der diesjährige Friedenspreis des deutschen Buchhandels an den ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan verliehen. Hierzulande wurde er bekannt mit seinem viel gelobten Roman „Das Internat“, in dem er sich mit dem Krieg im Donbass auseinandersetzt. Die ukrainische Schriftstellerin und FAZ-Journalistin Katja Petrowskja urteilte: „Auf diesen Roman haben wir Ukrainer gewartet“.
Zhadan lebt in Charkiv, seit dem 24. Februar leistet er vor Ort humanitäre Hilfe. Über die Situation vor Ort berichtet er auf Facebook und Twitter. Zhadan ist zu einer Symbolfigur der Ukraine avanciert. Gerade ist bei Suhrkamp der Band Der Himmel über Charkiv erschienen, der seine Einträge und Fotos versammelt. Man findet darin Stellen wie „Tod den russischen Invasoren“, die Russen seien keine Armee, sie seien eine „Horde“, „Unrat“, „Verbrecher“. Die Texte sind von Pathos getragen, da ist Hass.
Man liest das nicht gerne und der Autor fragt sich selbst, ob das Literatur ist, was Literatur ist. Es gibt Leute, die sich fragen, ob Serhij Zhadan damit zur Verwirklichung des Friedensgedankens beiträgt, wie es im Statut heißt; die sich fragen, ob es Volksverhetzung ist, was er da schreibt. Ob er den ukrainischen Nationalismus mit solchen Texten befördert.
Ukrainische Kulturschaffende müssen sich seit dem Angriffskrieg viele solcher Fragen gefallen lassen. Die Frage ist: Sind sie die richtigen Adressaten? Ein entschiedenes Nein muss die Antwort sein. Interessant ist immer auch, wer da fragt und mit welcher Absicht. Fragen können von Ressentiments getragen sein, von mangelnder Empathie, unangemessen herausfordernd, suggestiv in eine Richtung drängen, von nachvollziehbarer Angst getrieben sein. All die Subtöne.
Ein Politologe würde antworten: Der Nationalismus wird befördert, weil die Ukraine um ihre Souveränität kämpft, was naturgemäß den Nationalismus befördert. Es ist die politische Logik im Krieg. Es klingt für uns im postheroischen Westen befremdlich und natürlich ist diese Sprache ein Backlash in dunkelste Zeiten des 20. Jahrhunderts. „Wir“ sollten so nicht sprechen, „wir“ wollen so nicht sprechen, die Sprache erinnert an den Hass der Nazis, an Nazi-Sprech.
„Wir“ müssen aber auch gelassen auf den Zynismus russischer Politiker:innen reagieren. Es ist jedoch eine Frage der Empathie, Verständnis für die Ohnmacht, die Entschlossenheit, die Trauer der Ukraine zu haben, die sich bei Zerhij Zhadan Ausdruck verschafft. Im Nachwort schreibt der Schriftsteller: „Nie hätte ich gedacht, dass ich auf meinem Notebook solche Sätze schreiben würde. Durchaus möglich, dass mir noch am 23. Februar derart schicksalsschwangere Formulierungen zu pathetisch, übertrieben emotional, ja sogar ideologisch eingefärbt erschienen wären. Aber wenn man dich anruft und dir sagt, dass dein Bekannter, dem du noch gestern ein Auto gebracht hast, heute gefallen ist und dass man ihn nicht heimbringen kann, um ihn zu beerdigen, weil man seinen Kopf nicht findet, dann verstehst du, dass genau diese Worte heute für uns alle, für uns Ukrainer, die einzig zutreffenden und wahrhaftigen sind (...)“.
Zerhij Zhadan mag ein umstrittener Preisträger sein, der richtige Preisträger ist er allemal.
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