Too big to fail?

Roundup Schon zum dritten Mal wird der Bayer zu horrenden Schadensersatzzahlungen verurteilt. Der Kauf von Monsanto brachte dem Pharma-Riesen bis dato nichts als Ärger
Im Kreuzfeuer der Gerichte: Der  Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer
Im Kreuzfeuer der Gerichte: Der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer

Foto: Maja Hitij/Getty Images

Im April diesen Jahres gab der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer bekannt, dass in Deutschland 4.500 Stellen abgebaut werden – und in den kommenden Jahren sogar weltweit 12.000. Nach dem jüngsten Urteil gegen Bayers US-Tochterfirma Monsanto im Prozess um das Unkrautvernichtungsmittel Roundup dürften die Mitarbeiter nochmals intensiver um ihre Jobs bangen. Seit der Übernahme von Monsanto ist der Wert der Bayer-Aktie um inzwischen mehr als 50 Prozent eingebrochen. Die gute Nachricht für den Konzern: Auf dem Niveau kann sich die Aktie einigermaßen halten. Trotz der spektakulären Festsetzung eines Schadensersatzes in Milliardenhöhe der Geschworenen-Jury, vorgestern am zuständigen Gericht im kalifornischen Oakland.

Was die Arbeitsplätze betrifft, wird Bayer hier bald für den Arbeitsmarkt „systemrelevant“ – too big to fail? Wir erinnern uns: Bei der Zerschlagung der Traditionskette Kaisers und seiner Übernahme durch Edeka und Rewe war jeder zweite Arbeitsplatz in Gefahr. Inzwischen ist der Traditionsmarkt Geschichte. Wie viele Mitarbeiter bei Netto, Penny, Lidl, Rewe oder Edeka an der Kasse sitzen, ist unklar, der Streit um die Übernahme längst vergessen. Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte das Kartellamtsveto per Ministererlaubnis ausgehebelt und so die Aufteilung der Kaisers-Filialen zwischen den Marktriesen Rewe und Edeka ermöglicht. Von Wirtschaftspolitik nach Gutsherrenart war die Rede. Gabriel hatte für die Genehmigung die Rettung von 15.000 Arbeitsplätzen zur Bedingung gemacht.

Bei der Übernahme von Monsanto durch Bayer hatten Juristen zwar gewarnt, dass ein Zusammenschluss gegen US-Kartellrecht verstoßen könnte, aber auch die EU-Kommission hatte die Fusion letztlich genehmigt und damit der „Spirale der Hochfusionierung im Agrochemiemarkt“ (Anton Hofreither, Grüne) weiter grünes Licht gegeben. Nach letztem Kenntnisstand stehen die Genehmigungen der Behörden anderer Länder wie China, Südafrika und Brasilien noch aus. All das dürfte der Konzern, der mit Monsanto zum größten Agrarchemiekonzern der Welt mutierte, eingepreist haben. Deutlich wird, dass gesundheitliche Bedenken in diesem Übernahmepoker die geringste Rolle spielen.

Schadenersatz in Milliardenhöhe soll Bayer an das Rentnerehepaar zahlen, beide sind an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Es ist Bayers dritte Prozess-Niederlage in Folge. Aber selbst größte Glyphosat-Kritiker sind der Ansicht, die Höhe des Schadenersatzes überschreite vernünftiges Maß. Nicht zuletzt auch, weil die Kausalität von Glyphosat für Krebserkrankungen nach wie vor nicht zweifelsfrei bewiesen ist. Müsste es andernfalls nicht zu einem weltweiten Verbot kommen? Zum Beispiel wie bei DDT, das nur noch zur Bekämpfung von Maleria eingesetzt werden darf.

Ein Schiedsgericht hätte Bayer womöglich geholfen

Lange nichts mehr von TTIP gehört. Seit der Wahl des US-Präsidenten Donald Trump liegen die Verhandlungen des umstrittenen Freihandelsabkommens auf Eis. Der Fall Bayer illustriert auf interessante Weise, dass ein internationales, nicht-staatliches Schiedsgericht dem Bayer-Konzern in den USA womöglich genutzt hätte oder noch nutzen kann. Diese in der TTIP-Debatte hoch umstrittenen Schiedsgerichte sollen über Schadensersatzansprüche von Unternehmen gegen die Vertragsstaaten entscheiden können. An einem Schiedsgericht könnte verhandelt werden, dass die Rechtssprechung der USA dem deutschen Konzern geschadet hat. Bayer hat ein amerikanisches Unternehmen gekauft, welches ein gesundheitsschädliches Mittel anbietet, welches ja aber bis jetzt frei verkäuflich ist. Vor einem solchem Schiedsgericht hatte der Schweizer Tabakkonzerns Philip Morris vor ein paar Jahren Uruguay auf Schadenersatz verklagt, weil das Land unter dem Krebsspezialisten und Präsidenten Tabaré Vázquez, den Raucherschutz drastisch verschärfte.

Den sechsjährigen Prozess gegen den Tabakkonzern gewann das Land zwar im Jahr 2016, womit ein Präzedenzfall verhindert wurde. Aber wenn diese Schiedsgerichte als Schutz vor staatlicher und juristischer Willkür gedacht sein sollen – die es ja zweifelsohne auch gibt, denn das amerikanische Produkthaftungsgesetz führt nur allzu oft zu astronomischen Schadensersatzansprüchen –, müsste man fairerweise auch einem bösen Konzern wie Bayer, mit dem der Verbraucher am liebsten kurzen Prozess machen würde, einen fairen Prozess wünschen. Einer vom Schlage Sigmar Gabriels müsste das jedenfalls tun.

Bleibt die Frage, inwiefern Willkür oder – harmloser ausgedrückt – Gefühle in den Prozessen eine Rolle spielten. Wer beispielsweise die grandiose Serie The People versus O.J. Simpson mitverfolgte, bekam ein Bild davon, wie die Geschworenen geradezu gecastet wurden und wie filmreif das Geschacher um Empathie und Ressentimentes der Geschworenen oft in Wirklichkeit ist. Die Anklage im Monsantoprozess soll nicht nur versucht haben, die Geschworenen davon zu überzeugen, dass Roundabout Krebs verursacht, sondern auch, dass etwa mit manipulierten Studien Risiken verschleiert wurden. Glyphosat, so das Urteil des Gerichts, ist „höchstwahrscheinlich“ krebserregend. Selbst für große Glyphosatkritiker dürfte hier ein Unbehagen bestehen. Monsanto und Bayer sind schließlich nicht die einzigen Hersteller des Produkts, der Konzern besitzt allenfalls die Marktmacht. Von Klagen scheint aber bislang hauptsächlich Monsanto betroffen. Es gibt Stimmen, die der Meinung sind, das ähnele dem VW-Diesel-Skandal mit überhöhten Strafen für deutsche Konzerne in den USA. Die meinen, das Ganze sei nicht zuletzt auch ein politisches Urteil. In einem Onlinekommentar war zu lesen, das Al Bundy in einer Folge der schrecklich netten Familie einmal eine Trillion Dollar Schadensersatz forderte. Darauf der Richter: „Wie kommen Sie auf diese Zahl?“ Antwort: „Das ist die höchste Zahl, die ich kenne“.

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