Im April diesen Jahres gab der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer bekannt, dass in Deutschland 4.500 Stellen abgebaut werden – und in den kommenden Jahren sogar weltweit 12.000. Nach dem jüngsten Urteil gegen Bayers US-Tochterfirma Monsanto im Prozess um das Unkrautvernichtungsmittel Roundup dürften die Mitarbeiter nochmals intensiver um ihre Jobs bangen. Seit der Übernahme von Monsanto ist der Wert der Bayer-Aktie um inzwischen mehr als 50 Prozent eingebrochen. Die gute Nachricht für den Konzern: Auf dem Niveau kann sich die Aktie einigermaßen halten. Trotz der spektakulären Festsetzung eines Schadensersatzes in Milliardenhöhe der Geschworenen-Jury, vorgestern am zuständigen Gericht im kalifornischen Oakland.
Was die Arbeitsplätze betrifft, wird Bayer hier bald für den Arbeitsmarkt „systemrelevant“ – too big to fail? Wir erinnern uns: Bei der Zerschlagung der Traditionskette Kaisers und seiner Übernahme durch Edeka und Rewe war jeder zweite Arbeitsplatz in Gefahr. Inzwischen ist der Traditionsmarkt Geschichte. Wie viele Mitarbeiter bei Netto, Penny, Lidl, Rewe oder Edeka an der Kasse sitzen, ist unklar, der Streit um die Übernahme längst vergessen. Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte das Kartellamtsveto per Ministererlaubnis ausgehebelt und so die Aufteilung der Kaisers-Filialen zwischen den Marktriesen Rewe und Edeka ermöglicht. Von Wirtschaftspolitik nach Gutsherrenart war die Rede. Gabriel hatte für die Genehmigung die Rettung von 15.000 Arbeitsplätzen zur Bedingung gemacht.
Bei der Übernahme von Monsanto durch Bayer hatten Juristen zwar gewarnt, dass ein Zusammenschluss gegen US-Kartellrecht verstoßen könnte, aber auch die EU-Kommission hatte die Fusion letztlich genehmigt und damit der „Spirale der Hochfusionierung im Agrochemiemarkt“ (Anton Hofreither, Grüne) weiter grünes Licht gegeben. Nach letztem Kenntnisstand stehen die Genehmigungen der Behörden anderer Länder wie China, Südafrika und Brasilien noch aus. All das dürfte der Konzern, der mit Monsanto zum größten Agrarchemiekonzern der Welt mutierte, eingepreist haben. Deutlich wird, dass gesundheitliche Bedenken in diesem Übernahmepoker die geringste Rolle spielen.
Schadenersatz in Milliardenhöhe soll Bayer an das Rentnerehepaar zahlen, beide sind an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Es ist Bayers dritte Prozess-Niederlage in Folge. Aber selbst größte Glyphosat-Kritiker sind der Ansicht, die Höhe des Schadenersatzes überschreite vernünftiges Maß. Nicht zuletzt auch, weil die Kausalität von Glyphosat für Krebserkrankungen nach wie vor nicht zweifelsfrei bewiesen ist. Müsste es andernfalls nicht zu einem weltweiten Verbot kommen? Zum Beispiel wie bei DDT, das nur noch zur Bekämpfung von Maleria eingesetzt werden darf.
Ein Schiedsgericht hätte Bayer womöglich geholfen
Lange nichts mehr von TTIP gehört. Seit der Wahl des US-Präsidenten Donald Trump liegen die Verhandlungen des umstrittenen Freihandelsabkommens auf Eis. Der Fall Bayer illustriert auf interessante Weise, dass ein internationales, nicht-staatliches Schiedsgericht dem Bayer-Konzern in den USA womöglich genutzt hätte oder noch nutzen kann. Diese in der TTIP-Debatte hoch umstrittenen Schiedsgerichte sollen über Schadensersatzansprüche von Unternehmen gegen die Vertragsstaaten entscheiden können. An einem Schiedsgericht könnte verhandelt werden, dass die Rechtssprechung der USA dem deutschen Konzern geschadet hat. Bayer hat ein amerikanisches Unternehmen gekauft, welches ein gesundheitsschädliches Mittel anbietet, welches ja aber bis jetzt frei verkäuflich ist. Vor einem solchem Schiedsgericht hatte der Schweizer Tabakkonzerns Philip Morris vor ein paar Jahren Uruguay auf Schadenersatz verklagt, weil das Land unter dem Krebsspezialisten und Präsidenten Tabaré Vázquez, den Raucherschutz drastisch verschärfte.
Den sechsjährigen Prozess gegen den Tabakkonzern gewann das Land zwar im Jahr 2016, womit ein Präzedenzfall verhindert wurde. Aber wenn diese Schiedsgerichte als Schutz vor staatlicher und juristischer Willkür gedacht sein sollen – die es ja zweifelsohne auch gibt, denn das amerikanische Produkthaftungsgesetz führt nur allzu oft zu astronomischen Schadensersatzansprüchen –, müsste man fairerweise auch einem bösen Konzern wie Bayer, mit dem der Verbraucher am liebsten kurzen Prozess machen würde, einen fairen Prozess wünschen. Einer vom Schlage Sigmar Gabriels müsste das jedenfalls tun.
Bleibt die Frage, inwiefern Willkür oder – harmloser ausgedrückt – Gefühle in den Prozessen eine Rolle spielten. Wer beispielsweise die grandiose Serie The People versus O.J. Simpson mitverfolgte, bekam ein Bild davon, wie die Geschworenen geradezu gecastet wurden und wie filmreif das Geschacher um Empathie und Ressentimentes der Geschworenen oft in Wirklichkeit ist. Die Anklage im Monsantoprozess soll nicht nur versucht haben, die Geschworenen davon zu überzeugen, dass Roundabout Krebs verursacht, sondern auch, dass etwa mit manipulierten Studien Risiken verschleiert wurden. Glyphosat, so das Urteil des Gerichts, ist „höchstwahrscheinlich“ krebserregend. Selbst für große Glyphosatkritiker dürfte hier ein Unbehagen bestehen. Monsanto und Bayer sind schließlich nicht die einzigen Hersteller des Produkts, der Konzern besitzt allenfalls die Marktmacht. Von Klagen scheint aber bislang hauptsächlich Monsanto betroffen. Es gibt Stimmen, die der Meinung sind, das ähnele dem VW-Diesel-Skandal mit überhöhten Strafen für deutsche Konzerne in den USA. Die meinen, das Ganze sei nicht zuletzt auch ein politisches Urteil. In einem Onlinekommentar war zu lesen, das Al Bundy in einer Folge der schrecklich netten Familie einmal eine Trillion Dollar Schadensersatz forderte. Darauf der Richter: „Wie kommen Sie auf diese Zahl?“ Antwort: „Das ist die höchste Zahl, die ich kenne“.
Kommentare 5
>>Selbstverständlich war es die blanke Idiotie von Bayer einen solchen Konzern zu kaufen.<<
Das wurde nicht vom Bayer-Management entschieden, sondern von Blackrock, Vanguard und Capital Group. Die drei Investoren sind der grösste Aktionär bei Bayer und waren das auch bei Monsanto. Sie beschlossen, Monsanto an sich selber zu verkaufen, um profitmindernde Konkurrenzeffekte auszuschalten und weil der Name Monsanto auch damals schon in der Öffentlichkeit vergiftet war und verschwinden sollte. Übrigens ist das kein Einzelfall: Die grossen Sammelinvestoren regieren mittlerweile viele Konzerne. Wobei sie immer nur so viel im einzelnen Konzern investieren dass der Verlust bei einer Fehlentscheidung im überschaubaren Rahmen bleibt.
"Pipeline" ist ein gutes Stichwort. Der Bayer Konzern hat es sich im Jahr 2006 mit einem Großteil der Bevölkerung, die am Rhein zwischen Leverkusen und Duisburg liegt, verdorben, als seine Kunststoffsparte "Bayer material sciences" mitten durch dieses dicht besiedelte Gebiet eine 67 km lange CO-Pipeline baute. Damit das überhaupt möglich wurde, hatte die damalige NRW Regierung Rüttgers extra ein Enteignungsgesetz zugunsten Bayers durch den NRW Landtag gepeitscht, schön versteckt zwischen einem Bündel anderer Gesetze. Als Begründung wurde angeführt, die Enteignungen dienten dem Gemeinwohl, weil Bayer versprach, so 3.000 Arbeitsplätze zu erhalten. Das Gesetz wurde einstimmig verabschiedet, wobei den meisten Abgeordneten wohl der Unterschied zwischen CO und CO2 nicht klar war. CO2 ist ein Klimakiller, aber ansonsten für den Menschen im unmittelbaren Kontakt ungefährlich. CO = Kohlenmonoxid hingegen ist äußerst giftig und explosiv, dabei geruchlos, und führt bereits in geringer Konzentration zum Tod (man liest ja immer wieder, das Menschen tot umfallen, wenn sie in geschlossenen Räumen im offenen Kamin Kohle verbrennen).
Verständlich, dass die betroffene Bevölkerung (einschließlich der CDU Landräte, Bürgermeister und Landtagsabgeordneten der betroffenen Kreise und Städte) dagegen Sturm lief, dass Bayer das Gebiet zur Lagerhaltung von überschüssigem CO zwischen seinen beiden Standorten Dormagen und Ürdingen missbrauchen wollte. Die Bürger erreichten immerhin, dass das Oberverwaltungsgericht Münster urteilte, Bayer dürfe die Pipeline gerne bauen, aber nicht in Betrieb nehmen. Dieses Urteil gilt bis heute, aber könnte in Zukunft gekippt werden. Bayer hat bisher tatsächlich leere Rohre im Wert von über 80 Millionen Euro im Erdboden verbuddelt.
Als Kollateralschaden fehlten der CDU von Ministerpräsident Rüttgers ("Inder statt Kinder") bei der nächsten Landtagswahl im hauptsächlich betroffenen Landkreis Mettmann (470.000 Einwohner) genau jene 37.000 Stimmen, die für eine weitere Amtszeit von Rüttgers erforderlich gewesen wären. Der Landkreis Mettmann war bis dahin immer eine Hochburg von CDU und FDP gewesen. So konnte Hannelore Kraft von der SPD zusammen mit den Grünen und unter Duldung der Linken eine Minderheitsregierung bilden. Deren unrühmliches spätere Scheitern ist bekannt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Bayer hat dann bald sein schlechtes Image entsorgt, indem es seine Kunststoffsparte als selbständige Aktiengesellschaft unter dem Namen Covestro an die Börse brachte.
Evtl. wäre das auch ein Weg, um Monsanto und das Prozessrisiko in USA wieder los zu werden. Vielleicht kaufen ja die Chinesen Monsanto, wenn sie es billig nachgeworfen kriegen? Bei Herrn Xi werden sich die horrenden Schadenersatzsummen der US Gerichte wohl kaum eintreiben lassen.
>>Vielleicht kaufen ja die Chinesen Monsanto, wenn sie es billig nachgeworfen kriegen?<<
Möglicherweise: ChemChina hat schon Adama und Syngenta gekauft und könnte mit plus Baysanto den Agro-Weltmarkt aggressiv dominieren. Dann würden die 3 Bayer & Monsanto-Investoren sich bei ChemChina einkaufen. Aus kaputtalistischer Perspekive win/win. ChemChina ist zwar bis jetzt noch Staatseigentum, aber wenn Blackrock, Vanguard & Capital Group mit Profiten winken...
>>...er verhilft zu größeren Gewinnen bei ebenfalls investierten Firmen.<<
Per Verlustausgleich mit Staatsknete? Ja, das wird wohl einkalkuliert sein. Schon weil ja die Investoren gar nicht in Erscheinung treten, sondern die Fa. Bayer als "gefallener Riese" präsentiert wird: Dass die Investoren Blackrock/Vanguard/Capital Group, die den "Monsanto/Bayer-Deal" initiiert haben, selber für die Verluste einstehen sollten verlangt ja niemand.
Der Profit läuft dann wieder, wenn die Ersatzprodukte für glyphosatresistente Agrarpflanzen auf den Markt geschmissen werden. Ich denke, das wird bald der Fall sein, weil sich bei "Unkräutern" die Glyphosatresistenz ausbreitet.
Ja,das macht es so vertrackt und es ähnelt einer Jauchegrube. Auf der einen Seite könnte Bayer durch den Deal mit dem US-Schmuddelkind Monsanto zum US- Justizfall werden, anderseits war auch ohne Trump abzusehen, dass Bayer sich keinen Gefallen mit dem Deal gemacht hat, ebenso die Politik, die ja auch im Dieselskandal bis über die Nackenkrause hinweg am Schlamassel Anteil hat. Längst ist umstritten, dass Monokulturen,für die Bayer Saatgut herstellt und Monsanto kaufte, weder die Zukunft der Landwirtschaft noch eine nachhaltige Ernährungsstrategie für die Weltbevölkerung sind, wobei das die Konkurenz bisher wenig juckte:ChemChina, der schweizerische Saatgut- und Pestizid-Riese Syngenta, Dow Chemical oder Dupont....