Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident von der CSU, liegt diesmal richtig. Sein Land will wie Baden-Württemberg nicht mehr beim Nationalen Bildungsrat mitmachen. Söder fürchtet, dass die Vereinheitlichung von Bildungsstandards zu einem „Berliner Abitur“ führen könnte. Recht hat er. Irgendwo in der Mitte müsste man sich ja treffen – heute Mittelmaß, bald Mittelmäßigkeit?
Umgekehrt haben wir Berliner eine Heidenangst, das Abitur nach bayrischem Standard könnte sich durchsetzen! Auch vor den schlauen Sachsen hat unsereins Respekt. Ostdeutsche Bundesländer absolvieren das Abitur in der Regel in 12 Jahren. Im Westen dagegen ist die G8-Einführung gehörig gescheitert. Neuerungen schlagen meist fehl, wenn sie nur aufgestülpt wurden, und nicht regional, kulturell oder historisch gewachsen sind.
Überhaupt: Warum sollten Schülerinnen und Schüler an der Ostsee das Gleiche lernen wie die im Alpenvorland? Gerade das Vertiefen des Spezifischen ist doch die Chance, dass individuell Erlerntes flexibel angewandt und produktiv ausgetauscht wird. Deutschland ist eine vielfältige Nation. Das ist erfreulich und eine Herausforderung. Die Gesellschaft ist typisch deutsch, mancherorts vor allem migrantisch geprägt, einige Gegenden sind strukturschwach oder immer noch traditionell verhaftet. Es gibt landauf, landab verschiedene Schulformen und Unterrichtskonzepte, keine Lehrerin ist wie die andere. Was soll die Gleichmacherei? Nur damit ein Kind aus Berlin-Kreuzberg nicht sitzenbleibt, wenn die Eltern nach Bamberg ziehen?
Übrigens: Man kriegt auch in Hamburg oder Hessen nichts geschenkt. Das Bildungswesen ist aber kein Konzern im globalen Wettbewerb. Weshalb auch internationale Vergleichstests wie Pisa keinen Sinn machen. Sind wir wie China? Nein.
Die „Süd-Länder“ fordern nun ihre Kompetenz zurück. Das ist gut so. Ob Schullaufbahn in der schwäbischen Provinz oder in einem sozialen Bremer Brennpunkt – zur Vorbereitung auf die Uni sind die Brückenkurse sowieso hilfreicher. Ein Staatsvertrag, wie jetzt vorgeschlagen, wird weiter nichts lösen, solange man die Probleme fehlinterpretiert.
Kommentare 57
Die Bildungslandschaft in Deutschland ist wirklich sehr vielfältig. Es gibt so viele Schulversuche und Versuchsschulen, so viele Projekte, dass selbst langjährige Schulminister*innen dies nicht mehr überblicken können.
Doch was sich bei alledem durchgesetzt hat, ist die Kompetenzen- und Wettbewerbslogik im Schul- und Universitätswesen, denn der Wettbewerb gilt als Garant bestmöglicher Bildung zu niedrigen Kosten. Grundpfeiler dieser Logik ist naturgemäß die Messbarkeit der Bildung und dies führt zu zahlreichen Messungen, Zentralabitur, zentrale Abschlussprüfungen nach der 10. Klasse, Lernstandserhebungen, Pisa-Studien. Dies führt zu Bachelor- und Masterstudiengängen mit Credit points sowie zu Rankings, Qualitätsentwicklung, -standards, -analyse und ständigen Evaluationen. Ganz nebenbei führt es natürlich auch noch zum Verschweigen von Problemen und zur Noteninflation, damit das für die PR so wichtige Image keinen Schaden nimmt.
Und auch der Rückzug von Bayern und Baden-Württemberg folgt der Wettbewerbslogik, denn man fürchtet offenbar im Ranking der im Wettbewerb befindlichen Bundesländer Schaden zu nehmen.
Mit allseitiger Bildung hat das alles nur wenig zu tun
Kleinstaaterei im vereinten Europa. Leider keine Satire. Natürlich hat sich die Bildungspolitik an den besten Ergebnissen zu orientieren. Das kostet, doch die Polit-Nullen rüsten lieber auf.
Sehr geehrter Herr Volks, ... allein 74 Mal hat unser Autor Ralf Klausnitzer das Wort „Kompetenz“ im Rahmenlehrplan des Landes Berlin gezählt. „Kompetenz“ ist eben ein Schlüsselbegriff im heutigen Bildungsdiskurs. Was daran falsch sein soll? An sich nichts, aber wo ein Begriff derart inflationär verwendet wird, stimmt was nicht. - Lesen doch unser Wochenthema dazu, morgen im Freitag, Print. Mit besten Grüßen, Katharina Schmitz
Ja, was soll die Gleichmacherei? Wenn es zum Studium geht, steht dort die Wand des Numerus Clausus. Wie gut haben's dann die Schülerinnen Berlins mit ihren einfacheren Abiturinhalten gegenüber beispielsweise ihren bayrischen Konkurrenten um einen Studienplatz.
Und noch was fällt auf: Alle Bundesländer warten mit ihren Durchschnittsabinoten mit einer Zwei vor dem Komma auf, obwohl die Anzahl derer, die die Reifeprüfung erlangen, ständig steigt.
Und so wird gegen Gleichmacherei gearbeitet. Die SZ nennt ein Beispiel:
"Im vergangenen Jahr etwa wählten Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern zwar dieselbe Aufgabe in Englisch aus, die Schüler im Nordosten durften aber ein zweisprachiges Lexikon verwenden, die im Südwesten nur ein einsprachiges."
Der Numerus Clausus ist sowieso eine fiese Methode der Selektion, im Übrigen auch völlig anachronistisch: Ärzte werden ja dringend benötigt. Und noch ist nicht bewiesen, dass Einserkandidaten die besseren Operateure sind. Es sind die Vorkurse an den Unis, die wichtig sind und sinnvoll.
Und: Kinder lernen heute vor allem, WIE man sich Wissen erarbeitet und erschließt. Das kann man gut oder schlecht finden. Deshalb ist ein einsprachiges Lexikon ist für mich jetzt kein Nachweis für eine Reifeprüfung auf höherem Niveau. Das zweisprachige eher Nachweis für den herrschenden Zeitgeist der Methodik. Warum sollten Schüler hier benachteiligt werden, wenn es keinen Konsens darüber gibt. Dazu müsste man mir erstmal erklären, warum darauf so prinzipiell Wert gelegt wird.
"Überhaupt: Warum sollten Schülerinnen und Schüler an der Ostsee das Gleiche lernen wie die im Alpenvorland? Gerade das Vertiefen des Spezifischen ist doch die Chance, dass individuell Erlerntes flexibel angewandt und produktiv ausgetauscht wird. Deutschland ist eine vielfältige Nation. Das ist erfreulich und eine Herausforderung. Die Gesellschaft ist typisch deutsch, mancherorts vor allem migrantisch geprägt, einige Gegenden sind strukturschwach oder immer noch traditionell verhaftet. Es gibt landauf, landab verschiedene Schulformen und Unterrichtskonzepte, keine Lehrerin ist wie die andere [... usw.]"
Was - ich bitte um Verzeihung - wollen uns diese leeren Floskeln sagen?
"Das Vertiefen des Spezifischen ist doch die Chance, dass individuell Erlerntes flexibel angewandt und produktiv ausgetauscht wird."
Welche Spezifika wären das im Unterschied zwischen Ostsee und Alpenvorland? Reden wir von Schulabschlüssen und Abitur oder von Fischernetzknüpfen und Almabtrieb?
"Deutschland ist eine vielfältige Nation. Das ist erfreulich und eine Herausforderung. Die Gesellschaft ist typisch deutsch, mancherorts vor allem migrantisch geprägt, einige Gegenden sind strukturschwach oder immer noch traditionell verhaftet."
Was soll man nun daraus konkret für die Grund- und Ausbildung schließen? Die Menschen sind überall verschieden und Menschen aus Bayern sind nicht per se in, sagen wir Mathematik, kompetenter als die Menschen aus Mecklenburg. Sie wollen offenbar nahelegen, dass die Unterschiede etwa zwischen dem bayerischen und dem Bremer oder Berliner Abitur eine Art naturgegebene Begründung haben und Ausweis einer begrüßenswerten Diversität seien. Ersteres wäre ein klar auf der Hand liegender Blödsinn und letzteres gefährlicher Wahnwitz.
"Markus Söders Entscheidung, nicht an der Vereinheitlichung der Bildungsstandards mitzuwirken, ist richtig." - Zweifellos. Aber "richtig" im Sinne welcher Interessen? Wo bleibt hier die originär linke Frage: "Wem nützt es?", also nach den Kriterien der jeweiligen "Richtigkeit"? Ich behaupte, dass selbst Söder einer Illusion unterliegt. Es geht dem Herrn um Symbolik, um ein distinktives Anliegen. Ist es so, dass im BMW-Konzern mehrheitlich Kerle Karriere machen, die vom bayrischen Schulsystem emittiert wurden? Würde mich wundern, wenn sich das statistisch-soziologisch nachweisen ließe. Weniger wundern würde mich, wenn die Typen von Harvard, Oxford oder solchen Institutionen kämen. Die Schule lehrt einen vieles. Das kann ich aus eigener Lebenserfahrung bestätigen. (In meinem Fall die Vorläufer des Brandenburger Schulmodells. :-)) Aber nicht alles. Nichtmal das wesentliche. Auch die bayrischen Schulen tun das nict. Egal, was Söder behauptet.
Lieber Miauxx,
ich verwende hier bewusst Unternehmensfloskelen wie "flexibel" und "produktiv", es scheint mancherorts das Leitbild der Schule von heute zu sein, dass Schüler und Schülerinnen "formatiert" werden für die "Zukunft". Da bleibt in einem überfrachteteten, unklar konfektionierten, kompetenzorientierten Rahmenlehrplan nicht mehr viel, was Regionen ausdrücklich im guten Sinne spezifisch macht. Vergessen Sie die Digitalisierung nicht.
Vielleicht rede ich sogar vom Fischernetzknüpfen. Wäre das nicht das Humboldtsche Ideal? Nicht nur übers Klima lernen (da kriegen wir ohnehin schon Probleme, weil sie die "gemäßigte Zone" beispielsweise schon nicht mehr erklären können ohne Weltwirklichkeit miteinzubeziehen. Die Realiität ist nämlich weniger kompakt denn komplex). Ich weiß also was übers Klima zum Beispiel und bin mit meiner Klasse zum Fischer gefahren. In Bayern sollen sie gern mal Ski fahren.
Deutschland ist vielfältig genau, da können Sie in der äh Goethestrasse noch ein altromantisches Gymnasium haben und zwei Straßen weiter durch einen Problemkiez fahren. Heißt: eine plurale, heterogene Gesellschaft mithin auch Schülerschaft kann nicht in Konfektionsgrößen sortiert werden, finde ich. Dann soll die Schule auch noch Chancengerechtigkeit herstellen, garantieren. Ganz schön viel verlangt, das schafft ja nichtmal die Politik. Und sie wird ad absurdum geführt, wenn Schulen fehlen und Lehrer. Wie hier dramatisch in Berlin.
Und was den Kanon angeht, also bitte, es heißt zwar Allgemeine Hochschulreife, aber da muss man mir schonmal erklären, wie allgemein das ist, wenn ich zwischen Kern- und Nebenfächern wählen kann, sogar Fächer abwählen. Was weiß ich, Bildung ist heutzutage so vollgepackt mit Content und Zeitgeist, dass es mir sehr viel besser erscheint, wir behalten den Förderalismus, ich habe keine Ahnung wie man dieses Süppchen national kochen soll und jede Menge bildungsideologische Rezepturen dazu kommen - plus: reformpädagogische Erfolge und Flops. Ich habe übrigens ein Problem mit manchen nationalen Strategien, soviel dazu.
Jetzt habe ich noch gar nicht von den vielen Schulformen gesprochen, die heutzutage zum Abitur führen, die sich schwerlich vereinheitlichen lassen. Wenn Sie also Standards wollen, müssten die erstmal transparent sein. Von "naturgegeben" ist hier nun wirklich nicht die Rede, aber von lokalen Besonderheiten, denen sie mit Gleichmacherei überhaupt nicht gerecht werden können. Es braucht nach Ihnen dann auch keinen Schulpreis für Schulen, die ja gerade dafür ausgelobt werden, dass sie nach einem ganz eigenem Leitbild, das zu ihnen passt, das Bestmögliche erreichen. Übrigens sind das die Schulen, an denen sich auch die Lehrer, die den Job ja machen, am meisten mit ihrer Arbeit identifizieren und mit viel Engagement einbringen, schätze ich. Und ich finde es sehr traurig, dass das oft die gleichen Schulen sind, bei denen die Schulinspektion abhakt, ob genügend Projektunterricht stattfindet und nicht etwa vorrangig der böse Frontalunterricht.
Mit besten Grüßen, Katharina Schmitz
Lieber Goedzak, mir ist ein bisschen egal, ob Söder der bad guy ist. In meiner Heimatstadt gab es schon zwei Gymnasien und ein offenes Geheimnis, an dem auf dem Berg war das Abitur leichter zu schaffen. Da war ich auch. Und solange man andere Abschlüsse als das Abitur sukzessive entwertet und de facto jeder Zweite heutzutage Abitur macht, muss auch möglich sein, in einer Bildungskatastrophenstadt wie Berlin das Abitur abzulegen, und das, obwohl Schulen und Lehrer fehlen, hier ein Reformflop nach dem anderen hingelegt wird, ständig Unterricht ausfällt etcetera. Ich weiß nicht, wie es in Bayern aussieht, aber die Berliner haben schon genügend Probleme, die nationale Anpassung ist nicht das, was hier realistisch in den nächsten Jahren zu bewältigen ist. Das Zentralabitur nach bayrischem Vorbild ist nicht zu schaffen, jedenfalls nicht, wenn das Berliner Kind nicht ein Elite-Gymnasium besucht, sondern über holprige Wege über die gymnasiale Oberstufe zur Allgemeinen Hochschulreife geführt wird. Das Abitur im klassischen Sinn scheint mir in heutigen Zeiten eine Illusion. Es wäre aber nicht gerecht, dass Kinder unter den Bedingungen leiden, die Bildungspolitk bereithält.
Die Schule lehrt einen vieles. Aber nicht alles. Nichtmal das Wesentliche. Genau! ;-)
>>Der Numerus Clausus ist sowieso eine fiese Methode der Selektion, im Übrigen auch völlig anachronistisch...<<
Dem würde ich kein Argument dagegensetzen wollen. Aber: Wenn die Diversität der schulischen Landschaft weiter gepflegt werden soll, wird deren Ungerechtigkeit spätestens beim Numerus Clausus sichtbar, weil alle Studierwilligen, die in D ihr Abitur ablegten, über diesen Leisten geschlagen werden. Die Uni-Profs liegen nicht falsch, wenn sie einem Teil ihrer Studentenschaft die Studierreife absprechen. Sicher hängt damit auch die hohe Abrecherquote zusammen, die rund ein Drittel aller Studierenden betrifft.
Wer gegen den NC ist, braucht natürlich Alternativen, die besser sind. Aber welche sind das? Etwa Eingangsgespräche, um die Persönlichkeit kennenzulernen? Dafür fehlt jegliche personelle Kapazität. Und der Objektivität wird mit derlei Maßnahmen auch nicht gerade zugearbeitet. Oder etwa Eingangstests, die wegen der Freiheit von Lehre und Forschung unterschiedlich ausfielen. Und das Kriterium Wartezeit, das derzeit eine Rolle spielt, hat auch nicht direkt etwas mit Bildung zu tun.
Lieber Achtermann,
also ich finde die Brückenkurse sehr gut, die gibt´s sogar im Internet. Ich habe das mal aus Spaß für das Fach Psychologie gemacht, oha, kann ich nur sagen, so ein Kurs hilft übrigens auch, um ein bisschen etwas über ein Fach herauszufinden, bevor man sich immatrikuliert und einige Semester mit der Überraschung verschwendet, das man sich unter dem Studium der Psychologie doch etwas anderes vorgestellt hat. Ganz schön viel Mathe! Es sind ja auch die Studienplätze, die blockiert werden von Leuten mit Super-Abischnitt, die aber vielleicht doch lieber Künstler werden wollen.
Für das Studium der Malerei braucht´s ja übrigens auch eine Mappe, so grundsätzlich ist es nicht schlecht, wenn sich angehende Studierende ein bisschen mit ihrer Fächerkombination beschäftigen. Eingangstests: Warum sollte man sich darauf nicht vorbereiten können (und dafür je nach Uni Anhaltspunkte kriegen). Nicht umsonst ist die Studienplatzwahl jetzt auch ein großes Betätigungsfeld für Helikoptereltern, weil der Hochschuldschungel einige Fallen bereithält und ziemlich verwildert ist ;-)
Und: gibt es eigentlich noch das große Latinum als Anforderung für geisteswissenschaftliche Fächer? Das ist nämlich auch eine ganz unfaire Form der Selektion, (weil nicht alle Schulwege das Latinum mitnehmen).
Ich habe auch keine Instant-Lösung, aber wenn es um Berufe gibt, in denen Fachkräftemangel herrscht, würde ja schon eine Erweiterung der Studienplatz-Kapazitäten sinnvoll Abhilfe schaffen. Es kann doch nicht sein, dass - wieder das Beispiel Berlin - Lehrer fehlen, aber nicht entsprechend für Kapazitäten an der Uni gesorgt wird, damit dann auch endlich mehr Lehrer ausgebildet werden. Oder, Beispiel Ärzte: da will jemand unbedingt Arzt werden und es reicht nicht, weil der Numerus Clausus bei 1.x liegt? Das ist doch verrückt.
Noten jedenfalls sagen viel über die Begabung aus, sich gut anpassen zu können, für kritisches Mitdenken gibt´s ja meist kein Sternchen. Dass aber nur die freie Studienwahl haben, die mindestens unter 2.0 liegen, ist doch sehr unfair. Das Abitur ist doch schon Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife, das mich angeblich befähigen soll. Und das hieße ja auch, mein Abitur ist nicht mehr wert als ein mittlerer Schulabschluss, wenn er der Schnitt über 2.5 liegt. Und in Bayern dann ein 3.5 bedeutet.
Ich weiß auch nicht, ob die die Diversität weiter gepflegt werden soll, sie ist aber eine Realität. Weil so unterschiedliche Schul-/und Unterrichtsformen und Konzezpte nebenher laufen. Und da müsste also erstmal ideologisch aufgeräumt werden und wie schwer das ist, lehrt die Erfahrung - eher flattern noch zig Bildungsstudien durchs Land.
Sehr geehrte Frau Schmitz,
wenn es um eine Einschätzung der Bedeutung des Kompetenzbegriffs (Sach-, Medien-, Methoden-,Urteils- und Handlungskompetenzen usw.) geht, ist es lohnend, sich einmal den Einfluss der Bertelsmann Stiftung auf die Bildungspolitik anzusehen. Die Antwort der damaligen Landesregierung NRW auf eine Anfrage der Piratenpartei zu diesem Thema ist da sehr aufschlussreich.
Die Argumente für die Einführung von G 8 waren doch offiziell die größere Effizienz und die Verbesserung der Wettbewerbsposition der Jugend gegenüber Ländern wie Spanien und Portugal, in denen schon mit 17-18 Jahren das Abitur erlangt werden konnte. Doch eigentlich ging es um Kostensenkung bei Lehrerstellen, Klassenräumen etc. bei gleichzeitig höherer Abiturientenproduktion. Denn die Bildungsrepublik Deutschland und die deutsche Wissensgesellschaft brauchten mehr Abiturienten*innen, um im internationalen Abiturientenranking weiter nach oben zu kommen. Um diesen Ansprüchen zu genügen, werden aus Schulen Dienstleistungsunternehmen, die sich auf dem Bildungsmarkt den Kundeninteressen anzupassen haben. Und wenn man feststellt, dass bestimmte Basisfähigkeiten, wie z.B. Rechtschreibung, Grammatik, verstehendes und kritisches Lesen, den Erfolg dieses Geschäftsmodells entgegenstehen, dann wird ihre Bedeutung befinden Bewertungskriterien der zahlreichen Leistungsevaluationen eben heruntergefahren.
Leit(d)sätze gegenwärtiger Bildungspolitik sind:
Wir brauchen einen immer höheren Anteil von Abiturienten*innen.
Bildungsproduktivität lässt sich ebenso messen wie die Produktivität eines Unternehmens, das Autoreifen herstellt.
Der wichtigste Bereich der Bildung sind die MINT-Fächer, denn sie sind entscheidend für den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb.
Oberste Priorität hat die Digitalisierung aller Bildungsbereiche. Je schneller das Internet und je mehr Smartboards und Laptops umso besser die Lernerfolge.
Wer diese Leitsätze kritisiert, ist ein Ewiggestriger, der die digitalen Zeichen der digitalisierten Zukunft nicht erkennen will und unseren Kindern den Weg in die digitale Zukunft verbauen will.
Katharina, eine Anmerkung zum Trost: Guckt man sich im Netz unter dem Stichwort "Studienabbrecher" um, wird sehr oft darauf hingewiesen, dass sie gesuchte Leute seien und gute Chancen hätten, sich im Erbwerbsleben zu etablieren.
Schule (ich spreche hier von der idealen, nicht der realen Schule) ist im Wesentlichen kognitive Bildung, darf aber die physische und psychische Bildung nicht völlig vernachlässigen. Bildung ist ein Formungsprozeß, er findet individuell und sozial von familiär bis gesamtgesellschaftlich organisiert statt. Schule ist die Institution des letztgenannten, ihre sozialisatorische Aufgabe ist erstens die Hebung auf das allgemeine gesellschaftliche Bildungsniveau, sie sorgt für die Erlangung eines Mindeststandards, der allen das Kommunizieren und Interagieren auf diesem Niveau ermöglicht, und zweitens eine Ausschöpfung der individuellen Potentiale, die Ausbildung eines je individuellen Reflexionsvermögens, das die spezifische Formung in Frage stellen kann und so die Kultur dynamisiert.
Die Funktion der kognitiven Formung ist die Befähigung, in der materiellen und der sozialen Welt angemessen und zielorientiert handeln zu können, daraus ergibt sich das doppelte Ziel, die objektiven Gegebenheiten korrekt zu erfassen und die subjektiven reflektieren und beurteilen zu können, die Naturwissenschaften sind die verläßlichsten Helfer bei dem einen, dem zielorientierten, instrumentellen, die Geisteswissenschaften bei dem anderen, dem wert-/sinnorientierten Handeln. Selbstverständlich greift beides ineinander, kann nicht vollkommen unabhängig voneinander betrieben werden.
Aber genau so selbstverständlich wird das Objektwissen und -erkennen unter dem Aspekt der objektiven Wahrheit behandelt. Es gibt keine bayrische oder friesische Physik, Physik ist kein spezifisches Kulturgut, allenfalls das Gewicht, das man diesem Wissensgebiet zumißt. Länderspezifische Unterschiede in den Lehrplänen der naturwissenschaftlichen Fächer macht keinen Sinn. Andrerseits erfordern kulturelle Unterschiede eine entsprechend unterschiedliche Sozialisation, Schule ist eingebettet in die lokale Kultur. Der bei weitem stärkste kulturelle Faktor ist die Sprachgemeinschaft, sie hauptsächlich bestimmt die spezifische Anforderung an kulturelle Reproduktion und Innovation, das ist für die meisten Länder das länderspezifische, eine manchmal länderübergreifende, manchmal einen nationalen Pluralismus implizierende, meist länderbezogene Bildungsspezifität. Daß etwa das Bayrische eine erhaltenswerte Subkultur darstellt, ist mE nicht einmal unter bayrischen Bürgern mehrheitsfähig, auch hier sehe ich keinen Bedarf für Länderautonomie. Ganz anders die unterschiedlichen Subkulturen von Land und Großstadt, von sozialen Umfeldern. Hierauf muß Schule spezifisch reagieren. Es bedarf also einer nationalen Strategie, mit den sozialen Unwuchten ausgleichend und integrierend umzugehen. Die Probleme sind nicht horizontal, sondern vertikal.
Daher halte ich die Perspektive des Beitrags für falsch.
Lieber Herr Volks, ich kann Ihnen nur zustimmen. Die Früheinschulung von Kindern mit 5 Jahren bzw. knapp darf man wohl zu diesem Plan hinzufügen.
Lieber Herr Volks, ich kann Ihnen nur zustimmen. Die Früheinschulung von Kindern mit 5 Jahren bzw. knapp darf man wohl zu diesem Plan hinzufügen.
ich bin weniger optimistisch, ein Bachelor ist ja fast schon zwingend für die meisten Berufe. Aber: neulich wieder gehört, Elektriker und Installateure sind die Berufe der Zukunft, möglicherweise sogar lukrativer als manch ein akademischer Job.
Liebe w.endemann, verzeihen Sie, aber Sie klingen wie jene Bildungsexperten, die noch nicht so oft vor einer Klasse unterrichtet haben. Sie überfrachte die Schule mit einem Auftrag, den diese gar nicht leisten kann. Schule kann nicht zaubern. Sie kann auch (soziale) Ungleichheit mit all den Randerscheinungen nicht weg-unterrichten. Aber Sie kann eine gute Basis liefern für alle Schüler*innen und somit versuchen, Chancengerechtigkeit zu ermöglichen, dies freilich, solange nicht wild und nach neuesten Studienergebnissen herumexperimentiert wird. Länderspezifische Unterschiede auch in den Naturwissenschaften sind nicht komplett sinnlos, weil sie sich eignen einen Thema durch konkrete Beobachtung und Anwendung zu vertiefen. Ich halte das Bayrische auch nicht für eine schützenswerte Subkultur, ich sehe nur wenig Sinn darin, eine Binnendifferenzierung krampfhaft auszuhebeln, nur um dann bei Abirpüfungen darüber zu streiten, dass die einen ein einsprachiges, die anderen ein zweisprachiges Lexikon verwenden durften. Die Probleme sind auch horinzontal, das widerspreche ich, gerade die Lernergebnisse zwischen jahrgangsübergreifenden Lernen und der Überstrapazierung des individualisierten Lernen verglichen mit Old School Grundschule sind ggffs. sehr groß. Und das Argument ist dann immer: Die Idee war super, aber die Auführung ist schlecht. Wer leidet darunter: die Schüler.
Beste Grüße, Katharina Schmitz
sorry: Rechtschreibfehler und das beim Thema Schule! ;-)
Ich dachte, dass es für die Kinder, die mit ihren Eltern in ein anderes Bundesland ziehen, vielleicht einfacher wäre, wenn sie dort ähnliche - ganz gleich ist doch sowieso nichts - Verhältnisse und Lehrpläne vorfinden. Von daher ist mir das Gerangel nicht verständlich. So sorgsam gepflegte Unterschiedlichkeiten zwischen einzelnen Ländern schaffen am Ende vielleicht eher Unfrieden und - wie heißt der Mist? - Distinktion am falschen Ende.
Das ist richtig. Die unterschiedlichen Schularten in den Bundesländern, die außer dem Gymnasium kaum noch zu überschauen sind, sprechen gegen die Diversität. Jetzt begann auch der Ferienstreit gegen die Privilegien von Bayern und BaWü, die immer am Ende liegen, während alle anderen Bundesländer rotieren müssen. Das kann dazu führen, dass bei einem Wechsel des Bundeslandes die Ferien im Sommer zwischen zwei und zehn Wochen dauern.
Die rotierenden Bundesländer haben unterschiedlich lange Schuljahre. Der Stoff ist jedoch der selbe. Und dann gibt es noch den Einzelfall RLP mit dem Abitur ab Januar eines jeden Jahres, während die anderen Bundesländer erst im Frühsommer mit den Prüfungen einsteigen.
Das Beherbergungsgewerbe wird sich wie immer durchsetzen, wenn es um die Ferienregelung geht - möglichst zeitlich auseinandergeschobene Ferien.
Da haben Sie mich wohl etwas mißverstanden, denn „sie kann eine gute Basis liefern für alle Schüler*innen und somit versuchen, Chancengerechtigkeit zu ermöglichen“ unterscheidet sich kaum von meiner Zielbestimmung, daß Schule einen normiertes Minimalniveau kognitiver Kompetenzen herzustellen sucht. Ich lehne die Alternative Breitenbildung versus Begabtenförderung ab, halte aber erstere für vordringlicher. Auch habe ich nicht dem Experimentierfeld Schule das Wort geredet, im Gegenteil, Wissenschaft muß experimentieren, Schule darf erst und sollte dann auch hinreichend sichere Ergebnisse der Wissenschaft umsetzen. Die vielfach hysterisch abgeglittene und ideologisch verhärtete Diskussion der Rechtschreibreform war keine bildungspolitische Meisterleistung, die Ergebnisse teils überflüssig, teils unsinnig, mit ein paar Verbesserungen, aber insgesamt dilettantisch geführt.
Ich überfrachte die Schule mit einem nicht leistbaren Anspruch? Ich denke nicht, denn ich betone höchstens, was ohnehin schon, vielleicht zu zaghaft, gemacht wird. Es gibt den vorschulischen Förderunterricht (bspw Sprachlernen für Migrantenkinder, musikalische Früherziehung); ich spreche mich nicht gegen 12 Schuljahre aus, wo man gut damit klarkommt, aber wenn man was angleichend ändern will, sollte auf 13 Jahre verlängert, nicht auf 12 verkürzt werden, das würde die Lehrpläne und kontraproduktiven Schulstress entlasten.
Daß man das Abstrakte bzw Verallgemeinerbare vorzugsweise am Konkreten lernt, ist doch klar, das wird immer automatisch so geschehen, braucht nicht extra gefordert werden. Keine Sorge, in Bayern wissen die Kinder so früh, was ein Almabtrieb ist, wie die meernah lebenden Kinder, wie der Seemannsknoten geht. Aber halten Sie es für sinnvoll, daß die föderale Bildungspolitik solche Unterschiede fördert? Und überhaupt, mein Argument war ja, daß sich münchner und berliner Kinder kulturell sehr viel näher sind, als diese Großstadtkinder und solche vom Alpenvor- oder Marschland. Logisch wäre es noch, man würde auf die Unterschiede regionaler Dialekte Bezug nehmen, so provinziell sind aber selbst oder gerade konservative Bildungspolitiker nicht. Die wollen, daß ihr angeblich besonders hohes Bildungsniveau nicht verwässert wird. Wo also sind die landesspezifischen Kulturdifferenzen, die es zu befördern gilt? Geht es nicht vielmehr um Konzepte konservativer oder progressiver Zielsetzungen in der Bildungspolitik, eine Auseinandersetzung, die nicht ideologisch geführt werden sollte?
Beispielsweise ist doch die Frage nach dem Wörterbuch als Hilfsmittel ganz allgemein zu beantworten, in der frühen Sprachlernphase ist das zweisprachige etwas effektiver, später das einsprachige eindeutig besser. Da bleibt dennoch viel zu klären, aber auf wissenschaftlichem, nicht auf Stammtischniveau.
>>Da bleibt dennoch viel zu klären...<<
Sicher. Zum Beispiel der Einfluss der Wirtschaft, die mit Vehemenz die Digitalisierung vorantreibt. Soft- und Hardware für Milliarden von Euro werden in die Schulen hineingepumpt, ohne dass didaktische und bildungstheoretische Konzepte von den Fachleuten - Pädagogen, Psychologen, Soziologen - abgerufen werden würden. Diese Schleuse wird benutzt, um Computerprogramme mit "Spielanleitungen" oder elektronische Arbeitsblätter, etwa aus der Foodindustrie, in die Schulen zu drücken. Die Bildungshoheit der Länder, wie das Länderkleinklein der Schulpolitik genannt wird, geht zunehmend an diejenigen über, die in Marktanteilen denken. Bildung kann man das nicht mehr nennen. Es ist eher die Zurichtung für den Markt, die die Edukanden und indirekt ihre Familien über sich ergehen lassen müssen, mit all den Persönlichkeitsschädigungen als Folge. Über musische Bildung redet doch kaum noch jemand.
Lieber Herr w.endemann, da haben wir uns wirklich missverstanden und sind uns in vielen Dingen ja sehr einig. Übrigens: aus welchen Gründen die Bayern ausgestiegen sind, ist mir gar nicht so wichtig. Mir geht es darum, dass eine "nationale Strategie" bei der Ausgangslage (Baustelle Schule) einfach nur ein weiterer politscher PR-Gag sein kann, (nach der digitalen Offensive und etc.). Hier in Berlin haben wir Folgendes: zu wenige Schulplätze, keine Lehrer, massiver Unterrichtsausfall, Schulen im Bau. In anderen Städten ist die Situation ja ähnlich, wenn nicht allzu drastisch. Dazu kommen in Berlin fragwürdige Schul-Reformen der letzten Jahre, wie die Früheinschulung, die Gemeinschaftsschule etc., -
Wie schön wäre das, wenn wir musikalische Früherziehung, Kunst-Kurse am Nachmittag hätten. Wo gibt´s das? Sowas steht in Konzepten, aber die Realisierung ist abhängig von ...
Solange also vielerlorts Schule so läuft, nämlich ziemlich defizitär, weiß ich nicht genau, was man vereintlichen soll und kann. Die Bildungspolitiker und- Experten argumentieren leider selbst öfter auf Stammtischniveau und mit Bildungsfloskeln und natürlich ideologisch gefärbt. Und gestritten wird ja schon in den einzelnen Bundesländern, in den Städten und Kommunen, was gute Bildung sein soll. Sollte das auf Bundesebene besser laufen?
Ein Beispiel: Ist die flächendeckende gebundene Gantagsschule mit rhythmysierten Unterricht die ideale Schule? Ich finde, nein. Sie ist aber politisch gewollt. Mit einer nationalen Strategie ginge die Einführung evtl. noch schneller. Ich will aber, dass meine freie Schul(form)wahl einst derart beschränkt wird.
Hallo Achtermann, genau so ist. Musische Bildung? An den Berliner Schulen Fehlanzeige. Ich kenne nicht eine Schule im Kiez, die musische Bildung im Unterricht oder am Nachmittag sonderlich fördert. Und alles was angeboten wird, muss gezahlt werden.
bella1956 - wir können natürlich noch eine Ost-West-Debatte daraus machen, aber wenn Sie meinen Kommentar gelesen haben, werden Sie gelesen haben, dass das Schulsytem in den ostdeutschen Ländern bravourös funktioniert, weil lange erprobt etc. -
es geht überhaupt nicht um die Beibehaltung von "westdeutschen Kulturchaos", (das dreigliedrige Schulsystem übrigens, das ich aus dem Westen kenne, hatte nicht nur Nachteile). Jedenfalls - die Gesamtschule nach ostdeutschem Modell, prima! Ist aber was Anderes als die Gesamtschule nach westdeutschem Modell. Je nach Leitbild kommt hier das jahrgangsübergreifende Lernen, der individualiserte Unterricht, der Lerncoach dazu - das hat dann wiederum null mit dem System zu tun, das sie kennen und sicher ein gutes war.
Was das mit rechts und neoliberal zu tun hat, keine Ahnung, dazu doch bitte gerne die klugen Kommentare hier zu Bertelsmann lesen. Ich habe zwei Kinder in Schulen, ich spreche u.a. aus der Praxis. Herzliche Grüße, Katharina Schmitz
"Die Forderung nach Chancengleichheit ist keine sozialistische Forderung, sondern eine zutiefst bürgerliche, die auf die Zeit der französischen Revolution zurückgeht. "Jeder trägt den Marschallsstab im Tornister" war eine Losung der französischen Revolutionsheere."
Ich dachte, auf Luther.
Luther hatte im Sinn, dass jeder die Bibel lesen und verstehen können soll, damit explizit auch die armen und bis dato ungebildeten Menschen, Frauen und Kinder inklusive. Die protestantische Arbeitsmoral ist ja berüchtigt, andererseits ist es heute noch so, dass es evangelisch geprägten Regionen in puncto Wohlstand nachhaltig besser geht. Wäre ja auch mal ein Modell, an was man denken kann, Erfolg durch Bildung. Nur, um mal was vollkommen Verrücktes rauszuhauen.
Man kann natürlich auch ein Recht auf Faulheit und Selbstzerstörung proklamieren und wenn dann einer nicht mehr genügend Geld hat, einfach die Gelddruckmaschine anwerfen. ;-)
"Man kann natürlich auch ein Recht auf Faulheit und Selbstzerstörung proklamieren"
Natürlich sollte es ein (An-)Recht auf "Faulheit"* geben.
Warum verbindest Du Faulheit mit Selbstzerstörung?Die "berüchtigte protestantische Arbeitsmoral" (laut Weber Grundpfeiler und Geist des Kapitalismus')** zerstört(e) wohl weit mehr an Menschen und Umwelt als das süsse Nichtstun.
*https://taz.de/Buch-ueber-Musse-und-Arbeit/!5075446/
**https://www.deutschlandfunk.de/max-weber-das-stahlharte-gehaeuse-des-kapitalismus.2540.de.html?dram:article_id=445856
Man muß das ein bißchen dialektischer sehen. Das „Recht auf Faulheit“ wird beansprucht gegen den „Arbeitszwang“, ist insofern emanzipativ. Untätigkeit ruft bei einem unbeschädigten Menschen das Bedürfnis nach Tätigkeit/Betätigung hervor. Jeder sollte individuell sein rechtes Maß, Gleichgewicht finden. Und natürlich ist der Durchschnittswert abhängig von der Kultur. Man kann eine produktivitätsfördernde Kultur gut finden, was ich tue, wenn sie vernünftige Ideale propagiert.
Also ist gut, faul zu sein, wo Fleiß widersinnig ist, und eifrig sein, wo wir uns mit Tun identifizieren können. Tätigkeit/Untätigkeit nach Maßgabe eines inneren Kompasses dessen, was gut oder schlecht ist. Hoffentlich sind wir klug genug, das zu erkennen.
Und Schule kann sehr wichtig sein für solche produktivitätsfördernde Kultur.
„Warum verbindest Du Faulheit mit Selbstzerstörung?“
So wollte ich mich nicht verstanden wissen, insofern, danke, für die Nachfrage. Beides kann jedoch überlappen, ich führe das gerne aus.
Faulheit. Muße, gepflegtes Nichtstun, Innehalten und so weiter sehe ich durchaus als Qualitäten an, die für mich in den Bereich fallen, Dinge um ihrer selbst willen (nicht) zu tun, was halbwegs meinem Lebensideal entspricht: Also Sport machen, weil man sich gerne bewegen will, Essen, weil man gerade Hunger hat, aber auch, weil man Spaß am Kochen hat, an der Gemeinschaft usw. Oder eben Ruhe, Müßiggang und Nichtstun, weil es gerade nichts zu tun gibt, oder man nicht will.
Letztlich bin ich da irgendwie sogar Hedonist, mit der Idee, dass auch Erkenntnisse zu mehren Teil des privaten Glücks sein kann (bei mir zum Beispiel), aber bei anderen ist das nicht zwingend so, das weiß ich.
Gesellschaftlich sollte es m.E. daher Refugien geben, in denen man tun kann, was man will und nicht tun muss, wozu man keine Lust hat. Ich glaube auch, dass es gut wäre, so zu lernen, dass es also gewissermaßen ein organisches Lernen gibt – das ist ja das Thema von Frau Schmitz' Artikel – das interessegeleitet ist oder sein könnte und das genaue Gegenteil, die Verschulung des Lernens um eine Homogenität und Vergleichbarkeit herzustellen, die ich auf ablehne. Zwar gibt es keine Nordsee- und Alpen-Mathematik, aber es gibt m.E. sehr abweichende Einstiege ins Lernen.
Meine Schulkarriere ist nun nicht optimal verlaufen, allenfalls ein so eben noch, bei nachhaltig geringster Motivation, dabei lerne ich extrem gerne und auch die vertanen Jahre in der Schulzeiten konnten das nicht nachhaltig erschüttern.
Ein Recht auf Selbstzerstörung ist insgesamt schwierig, zumindest dann, wenn man gleichzeitig an Solidarität appelliert. Da es schwierig ist, ist es nicht in einem Satz zu lösen, letztlich sehe ich einen ethischen Anspruch, der darauf hinaus läuft, dass der, der kann, auch sollte, aber wie oben beschrieben eben nicht gegen seine „Natur“ im aller breitesten, aber auch konkreten Sinne. Das würde für mich gleitenden Arbeitszeiten, aber auch späteren Schulbeginn bedeuten, da die Forschung sagt, dass man die ersten Stunden Schule ohnehin ersatzlos streichen kann. Wieso tut man es nicht?
Insgesamt finde ich es nicht solidarisch, nicht gerecht, logisch nicht konsistent und auch nicht sinnvoll, dass jemand nichts tun will, sich systematisch hinrichtet und bei weitreichendem Erfolg dann nach der Solidargemeinschaft ruft, deren Teil man vorher nie sein wollte. Auf einmal fällt einem ein, dass die Leute, die einen vorher immer kräftig am Arsch lecken konnten, doch bitte nicht so über mich selbst denken sollten, wie ich über sie gedacht habe.
Nun mag es auch für so eine Einstellung Gründe geben und da ich psychologisch geschult bin, kenne ich die sogar und daher würde ich sofort anerkennen, dass jemand der weder zu dumm, noch zu schwach ist, aus 1000 Gründen seinen Beitrag leisten sollte. Wer sich dem verweigert, braucht vielleicht Hilfe, da es auch für globalen Hass auf „die anderen“ Gründe geben kann. Die können pathologischer oder ideologischer Natur sein und beides kann sich überlagern. Auch darauf muss eine Gesellschaft reagieren, was aber vom Thema weg führt.
„Die "berüchtigte protestantische Arbeitsmoral" (laut Weber Grundpfeiler und Geist des Kapitalismus')** zerstört(e) wohl weit mehr an Menschen und Umwelt als das süsse Nichtstun.“
Wie will man das messen, testen oder beurteilen? Ein Beitrag zur Gemeinschaft muss m.E. nicht in Arbeit im klassischen Sinne bestehen. Sie sollte m.E. auch kein gesetzlicher Zwang sein, ich bin ja ein dezidierter Verfechter einer Stärkung der Moral. Interessant ist, dass das Feld von Moral und Ethik bei Linken und Kapitalisten (und Naturalisten) gleichermaßen unter die Räder kommt. Die alberne Verwissenschaftlichung der Welt, der Szientismus, ist ein weiteres Symptom dieser unguten Entwicklung, nicht ihre Lösung. Dann das Objektivierbare und Messbare – damit auch das auf diese Art Normierende und Funktionalisierende – hat ja genau diesen entsubjektivierenden, entmündigenden und auch entmoralisierenden Trend, aber das ist ein Großthema, was man ebenfalls schlecht in ein paar Zeilen quetschen kann. Ungeheuer gut – man musste es nicht erwarten – sind dazu die Ausführungen von Jürgen Habermas neuestem Buch, das ja auch ein launiges Resümee hätte werden können, aber er legt sich hier noch mal die großen Fragen vor, die uns nachmetaphysisch geblieben sind und zeichnet die Aufspaltung der Wege ab Kant und Hume nach, auf einem imposanten Reflexionsniveau. Allein die Seiten über Wahrheit und Heidegger sind es wert, das Buch zu lesen und die stehen noch ziemlich am Anfang. Der Fokus auf Objektivierbarkeit und Messbarkeit ist aber genau das Thema, verbunden mit der Sorge vor einem Niveaurutsch, der Söderschen Verweigerung.
"Chancengleichheit hat also mit vernünftiger Organisation des Lernens nichts zu tun. Im Gegenteil, sie steht für die schulische Unvernunft, die das Lernen als Leistungslernen, also als Konkurrenzveranstaltung zwischen allen Schülern einer Klasse oder eines Jahrgangs veranstaltet."
"Würde man jedem Schüler und jeder Schülerin zum Lernen des Unterrichtsstoffes soviel Zeit, dazu die Mittel und Hilfestellungen einräumen, die sie jeweils benötigen, dann hätte sich die Sache mit der Chancengleichheit erledigt. Zur Aneignung von Wissen und Kenntnissen braucht es nämlich keine Chancen und schon gar keine gleichen Chancen. Die stören dann nur. Es braucht nur Umstände, die den individuellen Bedingungen des Lernenden entsprechen."
Missverständnis „Chancengleichheit“
Leider stimmt das, was Sie schreiben. Vor zwei Jahren zogen Bekannte des Berufs wegen von Berlin nach Stuttgart. Die beiden Söhne, sehr gut Schüler an Berliner Gymnasien, hingen nahezu eine Jahrgangsstufe hinterher. In den Fremdsprachen und naturwissenschaftlichen Fächern ist das kaum aufzuholen in einem Schuljahr. Nur unter großem Fleiß und Verzicht auf Freizeit konnten sie anschließen, und dies auch nur, weil die Eltern in der Lage waren, für ihre Nachhilfe kräftig in die Tasche zu greifen. Im Südwesten, ist anders als in Berlin, Nachhilfe nicht fün Appel und en Ei zu kriegen . Jedenfalls waren insbesondere die Kinder sehr frustriert, was ja gut nachvollziehbar ist. Die haben das einfach nicht verstanden, zumal sie ganz und gar nicht an einer Berliner Brennpunktschule unterrichtet wurden. Wären sie bereits in der Oberstufe, wo es um die Abiturnoten geht, hätten sie sicherlich die Klasse wiederholt. Für in die Pubertät kommende Kinder und Eltern keine tolle Aussicht
Der Fakt, dass von Menschen heute Mobilität erwartet wird, verlangt nach Einheits- bzw Mindeststandards bundesweit. Übrigens, hat z.B. Bremen sehr wohl von PISA profitiert, indem die Fakten anerkannt wurden, und in Brennpunkten nachgerüstet wurde.
Nein! Auch ich bin kein Söder-Fan. Musste damals trotz ZVS-Zulassung mein Abitur in irgendeinem Münchener Bildungsministerium überprüfen lassen und fand das ziemlich daneben.
gute
Ich bin nun wirklich keine BMW und Siemensmitarbeiterin. Traditionell rekrutieren die ihren Nachwuchs aus dem Pool von Werkstudenten_Innen der TU und LMU München, den diversen Fachhochschulen. Die bieten bundesweit ausgeschriebene Master- und Doktorarbeiten an, was sich bis heute bezahlt macht.
In der Pharma-Industrie ist das ähnlich und andere Schlüsselindustrien machen das hierzulande auch so. Die müssen nicht in Harvard und Oxford Ausschau halten.
Wer an den Ivy Leagues in den USA studiert, stößt am Ende auf seinen headhunter.
>>Die protestantische Arbeitsmoral ist ja berüchtigt, andererseits ist es heute noch so, dass es evangelisch geprägten Regionen in puncto Wohlstand nachhaltig besser geht. <<
Das halte ich für ein Vorurteil. Je südlicher in Deutschland, desto katholischer wird's. Und dort, etwa in Bayern, ist der Wohlstand größer als im Norden, wo die Evangelischen in der Mehrzahl sind. Die Protestanten scheinen ihren Arbeitsethos zugunsten eines Hallodri-Daseins aufgegeben zu haben.
Liebe Frau Schmitz,
Ich schätze ihre Artikel sehr. Aber diesmal kann ich nur sehr schwer ruhig sein
Waren sie den schon einmal in einer Schule in Bayern ?
Es ist egal, welche Form der Schule sie in diesem Bundesland besuchen , die Kinder unterliegen einem Druck und zum Teil auch einer Aroganz der Lehrer, dass es für Eltern sehr schwer ist dies überhaupt auszuhalten. Haben sie den schon einmal gehört wie Eltern, gerade in Bayern von Lehrer*innen zum Teil abgekanzelt werden? Ich bin weit weg davon Lehrer*innen madig machen zu wollen. Im Gegenteil, wir haben auch in Bayern Leher*innen die sehr einfühlsam und wertschätzend mit Kinder und Eltern umgehen. Die einfach nur tolle, fachlich sehr kompetent Menschen sind.
Aber der Schulalltag in Bayern dauert für die meisten Kinder ungefähr 6 - 7 Schulstunden und dann geht es mit den Hausaufgaben weiter. ( nichts von wegen 38 Stunden Woche.) Haben sie schon mal etwas von unangesagten EXen gehört? Das Kind muss jeden Tag damit rechnen, dass einfach eine Kurzarbeit geschrieben wird. Haben sie einen Arbeitsplatz an dem ihr Chef , wenn sie dann einen haben, einfach so zu ihnen kommt und dann sagt: " So Frau Schmitz, jetzt schauen wir mal wie es um ihr Wissen bestellt ist. Sagen sie mir....."
In keinem anderen Bundesland ist es so wichtig, dass die Eltern Akademiker sind , bzw. viel Geld haben, damit ihre Kinder überhaupt aufs Gymi kommen. In keinem andern Bundesland wird im Untericht mit der Ausage ""argumentiert" . "Deine Leistung entspricht nicht den Anforderungen eines bayerischen Gymnasiums" (Mir ist schon klar, dass die anderen Leher*nnen natürlich ihr Bundesland nennen müßten.) Kein anderes Bundesland erlaubt sich, die anderen Bundesländer in Bausch und Bogen so äbschätzend zu behaneln wie Bayern dies tut.
Der Weg für Kinder mit Migrationshintergrund führt in Bayer, sehr schnell in " Schulen mit einem Sonderauftrag". Die Inklusion ist ein Jammerspiel.
Und was den Minsterpräsidenten betrifft , wenn er ein Beispiel für die Reife, die das Bayerische Gymnasium seinen Schülern vermittelt sein soll , so geht dies aber gründlich daneben. Die Sommerferien sollen so bleiben wie sie sind " sie entsprechen dem bayerischen Bio - Rhytmus (Originalton) Die Mietwohung des Landes Bayern, hat er als Finanzminster zu einem Schnäppchenpreis an einen Investor verkauft. ( Wohnungsknappheit ???!!!)
Sein Kollege Scheuer "glänzt" gerade als Verkehsminster in dem er Millionen in den Sand gesetzt hat. ( Mathe??) Wie war das mit seinem Doktotittel ?) War da nicht etwas mit einem Verteidigungsminister ?
Und - was mich als Familientherapeut und als Heilpädagoge am meisten bedrückt, ist die Tatsache, dass die psychischen Erkrankung von Kindern und Jugendlichen auch in Bayern drastisch zu nehmen. Nicht zu letzt , weil der Druck auf die Schüler und Eltern enorm hoch ist.
Verstehen sie diese Stellungnahme bitte nicht als Angriff, sondern als den Versuch die andere Seite ebenfalls sichtbar zu machen.
"Vielleicht rede ich sogar vom Fischernetzknüpfen. Wäre das nicht das Humboldtsche Ideal?"
Das ist sympathisch, mit dem Fischernetzknüpfen. Das Humboldtsche Ideal? Nunja, ich glaube, so war es nicht gemeint. Der Fischer wäre nie an eine Hochschule gekommen und der Akademikus hätte sich das vielleicht einmal angesehen und irgendwie romantisch empfunden.
"Ich weiß also was übers Klima zum Beispiel und bin mit meiner Klasse zum Fischer gefahren. In Bayern sollen sie gern mal Ski fahren."
Das Skifahren mag heute in Bayern mit allem Möglichen zu tun haben - nur mit Klimabewusstsein gerade gar nichts.
Ich weiß nun nicht, was der Bildungsrat vorgehabt hätte. Aber Regelungen, die für ein Bundesland gelten, setzen ebenso Standards, die nicht die Diversität ermöglichen, die Ihnen vielleicht vorschwebt. Mit einer Schule in Nikolassee hat man andere Möglichkeiten, als im Märkischen Viertel; ebenso im Münsterland vs. Dortmunder Nordstadt. Ob es da nun den Unterschied machen würde, ob es weiterhin Berliner- bzw. NRW-Regelungen gibt, oder ob das auf Bundesebene übergeht ... Will heißen: Es müssen ohnehin immer lokalspezifische Entscheidungen getroffen werden und die bayerischen passen auch in Bayern nicht überall gleichermaßen. Insofern brauchen wir nicht so tun, als hätten wir jetzt in Deutschland eine wunderbare Patchwork-Bildungslandschaft, bei der alle ihr jeweils lokaltypisches und vor allem passendes Fleckchen abbekämen.
Ich würde sagen, mit protestantischer Arbeitsmoral kann man nicht mehr kommen; der wirtschaftliche Erfolg hängt heute nicht mehr daran. Nach meiner Wahrnehmung hängt der wirtschaftliche Erfolg in Bayern jedenfalls mitnichten an einer höheren Arbeitsmoral als etwa in Berlin (ich kenne beide "Welten" mittlerweile recht gut). "Arbeitsmoral" ist heute keine anwendbare Kategorie mehr und schon gar nicht haben wirtschaftlicher Erfolg und Wohlstand heute noch etwas mit der jeweils überwiegenden Konfession zu tun. Das kapitalistische System herrscht lange genug, so dass die Leute heute überall gleich konditioniert sind und überall die gleichen Sachzwänge herrschen. Der derzeitige wirtschaftliche Abschwung wird derzeit ausgerechnet in den südlichen Technologie- und Autowirtschafts-Regionen spürbar; dort steigt momentan die Arbeitslosigkeit am meisten. Da es Regionen mit nahezu Vollbeschäftigung sind, schlägt das zwar im Ganzen noch nicht so zu Buche, wie es andernorts wäre, aber eben dennoch. Wenn die Uhren für die Autoindustrie also allmählich anders gehen, kannst du "Arbeitsmoral" haben, wie du willst - entscheidend ist das nicht. Entscheidungen fallen heute zum einen immer mehr auf globaler Ebene und hängen zum anderen auch zu einem viel größeren Teil an der jeweils lokalen Politik, als an katholisch oder protestantisch.
>>Ich würde sagen, mit protestantischer Arbeitsmoral kann man nicht mehr kommen; der wirtschaftliche Erfolg hängt heute nicht mehr daran.<<
Da sind wir uns einig. Ich reagierte auf den Blogger "Moorleiche", der diese These vertritt. Mit dem einfachen Hinweis, dass es dem überwiegend katholischen Bayern wirtschaftlich besser geht als dem überwiegend evangelisch geprägten Norden dieser Republik, wollte ich auf die Fragwürdigkeit seines Arguments hinweisen. Ich jedenfalls konnte mit meinen persönlichen Erfahrungen im Arbeitsleben noch niemals eine Verbindung von Religionszugehörigkeit und Arbeitsmoral bei meinen KollegInnen bemerken.
>>Aber der Schulalltag in Bayern dauert für die meisten Kinder ungefähr 6 - 7 Schulstunden und dann geht es mit den Hausaufgaben weiter. ( nichts von wegen 38 Stunden Woche.) Haben sie schon mal etwas von unangesagten EXen gehört? Das Kind muss jeden Tag damit rechnen, dass einfach eine Kurzarbeit geschrieben wird.<<
Ich sehe bei den EXen keinen Unterschied zu dem Bundesland RLP. Die unangekündigten schriftlichen Tests heißen hier an den Gymnasien HÜ (Hausaufgabenüberprüfung). Eigentlich dürfte nur der Stoff der letzten Unterrichtsstunde überprüft werden. Tatsächlich betrifft eine HÜ immer mehrere zurückliegende Stunden. So kommen die LehrerInnen zu ihren "mündlichen" Noten. Sie müssen ja im Streitfall ihre Notengebung als hinreichend belegt dokumentieren können.
Und die Stundentafel Baden-Württembergs entspricht der in Bayern, um ein weiteres Beispiel aufzuführen, das die Exklusivität Bayerns doch nicht so exklusiv macht, wie immer gerne behauptet wird.
„Das halte ich für ein Vorurteil. Je südlicher in Deutschland, desto katholischer wird's. Und dort, etwa in Bayern, ist der Wohlstand größer als im Norden, wo die Evangelischen in der Mehrzahl sind. Die Protestanten scheinen ihren Arbeitsethos zugunsten eines Hallodri-Daseins aufgegeben zu haben.“
Es gab einen schönen Artikel in einer Zeitung (Online-Ausgabe), den ich nach einigen Kombinationen von Suchbegriffen nicht mehr finde, der das klar darstellte, aber ähnliche Artikel gibt es noch, etwa: Arbeiten Katholiken weniger gern? Oder: Protestanten verdienen mehr als Katholiken
Über die historische Rolle der Reformation kurz:
„Ganz ohne böse Hintergedanken sind die preußischen oder deutschen Tugenden zum festen Begriff für echte Qualität geworden. Hier lohnt sich ein näherer Blick, bei dem man historisch einiges findet. Die deutschen Tugenden sind eine Mischung aus den Werten der Aufklärung und der evangelischen Reformation. Was erstmal ziemlich dröge wirkt, hatte ganz handfeste Effekte. Der indische Gelehrte Prabhu Guptara schreibt:
„Obwohl ich eine gute Schuldbildung erfahren habe, war mir bevor ich nach Europa kam, niemals bewusst, dass Europa trotz der Errungenschaften des Römischen Reiches eine der ärmsten und am weitesten zurückgebliebenen Regionen der Welt war – bis zur Reformation.“[2]
Dort war es dann, laut Guptara, die Mischung aus Fleiß und Arbeit, der Anerkennung der Einmaligkeit des Lebens, Bildung und Alphabetisierung für breite Schichten, Mäßigung und Gehorsam, die eine kumulative Wirkung entfalteten und die Demokratisierung vorantrieben. Der Effekt war, dass Europa zum Turbo wurde und bis in die jüngste Vergangenheit für Fortschritt, Entwicklung und Qualität stand und teilweise noch immer steht, nicht nur auf dem Gebiet der Technologie, sondern auch was Gleichberechtigung und soziale Standards angeht. Der andere Effekt ist, dass es Ländern und Landesteilen mit evangelischer Prägung noch immer wirtschaftlich besser geht, als anderen. Die negativen Seiten, unsere Burnout– und Perfektionismus-Kultur schreibt Guptara nicht dem Evangelismus, sondern postchristlichen Einflüssen zu, die vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg aufkamen.[3]
Ordnung, Fleiß, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Disziplin, Demut und Bescheidenheit sind also nicht nur verstaubte Tugenden, mit der Tendenz die Bevölkerung zu drangsalieren, sondern haben deutlich messbare Effekte, die historisch tiefe Spuren hinterlassen haben. Menschen, die normale Zwangsstörungen haben, leben zu einem guten Teil diese Tugenden und sie tun es gerne, in diesem Spannungsfeld zwischen tiefer innerer Überzeugung und sich einschleichender Pathologie.“ (Quelle)
Wie immer und überall, gibt es nicht den einen Faktor, der alles erklärt, dass der Vorsprung durch Bildung heute zwar statistisch noch da ist, aber schwächer wird, bzw. sich auf bestimmte, meist technische Bereiche verlagert, würde ich auch so sehen, Geisteswissenschaftler leben mitunter prekär, bei Lehrern nimmt man inzwischen auch schon jeden, der nicht wegrennt, zu Künstlern mit Stipendium (kriegt man keinesfalls nachgeschmissen), habe ich gehört, dass sie zu 97% von ihrer Kunst nicht leben können. So geht es den Dichtern und Denkern.
Der eine link klappte nicht, hier noch mal:
Arbeiten Katholiken weniger gern?
Warum nimmt man sich nicht man die Länder zum Vorbild. in denen das Schulsystem nachweislich zu besseren Ergebnissen beim Schüler führen? Einfach mal Richtung Skandinavien schauen.
Oder in Richtung Südkorea bzw. Singapur. Laut neuester Pisa-Studie liegen diese in der Spitzengruppe.
einfach mal schauen, ist einfach mal fatal, öfter, gerade wenn man System überstülpt, die anderswo vielleicht funktionieren, aber schwerlich zu übertragen sind. Und gerade um die Finnen ranken sich die Mythen, z.B. auch dass sie beim 1. Pisa-Test noch gut abschnitten, bis dahin galt das finnische Schulssystem auch noch als recht autoritär
Liebe Anne Mohnen, mein Punkt ist, dass allein bei den vielen verschiedenen Wegen, das Abitur abzulegen, was hier in Berlin der Idee folgt, Chancengleichheit herzustellen, kann ich mir einfach nicht vorstellen, wie sich das zentralisieren lässt, ohne eben z.B. Berliner Schüler zu benachteiligen (oder Bremer oder etc.), die anders als die Bayern ans Abitur herangeführt wurden. Ich meine vielmehr, dass das Zentralabitur beispielsweise die Selektion mit anderen Mitteln wieder einführt und gerade das versucht man doch bildungspolitisch seit Jahren zu vermeiden, (mehr schlecht als recht, aber das steht auf einem anderen Blatt Papier). Nun kann es schon sein, dass Kinder durch einen Umzug mit vielen anderen Gegebenheiten konfrontiert sind. Hier in Berlin sacken die Grundschüler schon um eine Note ab, wenn es zum Gynmnasium geht, ganz normal ist das. Ich will sagen, hier am Berliner System stimmt schon einiges nicht, und eine Zentralisierung scheint mir der schlechtmöglichste Weg hier Besserung zu erreichen. Söder mag aus anderen Interessen entschieden haben. Fakt ist trotzdem, dass unter der Vereinheitlichung von Standards wieder mehrere Schülergenerationen leiden müssen, so war es beim G8, so war es bei der Früheinschulung, etc. pp. Beste Grüße, KS
Entschuldigen Sie, dass ich erst heute antworte.
1. Ich habe Sie richtig verstanden. Für das bayerische Zentralabitur bin ich auch nicht, wohl aber, dass spätestens mit Klassen- und Schulabschlüssen, annähernd Vergleichbarkeit hergestellt wird. Denn auch dies gehört zur Gerechtigkeitsdebatte, dass z.B. Berliner 1.-Abiturientinnen und Abiturienten mit AbsolventenInnen, SchulabgängerInnen mit jenen andere Bundesländern bei der Vergabe von Studien- und Lehrstellenplätzen in Konkurrenz stehen. Außerdem verlange ich vom System um der Kinder willen(!!), dass Lernzeile erreicht werden müssen und können. 2. Das Schulsystem in Bayern wie andernorts ist so durchlässig, dass der Weg zur Universität, zum Ausbildungsplatz in Etappen und über Umwege bestritten werden kann. Ich verstehe zwar, warum Eltern über Privatschulen nachdenken, nicht aber, dass sie ihren Kindern keine Etappen oder gar Umwege zugestehen wollen.3. Ein völlig politisch unterdrücktes, weil PC-mäßig nicht gewolltes Thema in Berlin ist, die Benachteiligung durch den Wohnort. Stichwort: u.a. Flüchtlinge!
Auch Achtermann ist herzlichst gegrüsst, Ausdauer, Hut ab.
Meine liebe Helena Neumann, auch Sie bekommen einen Knicks von mir, welche Ausdauer. , 10 Jahre oder so sind eine lange Zeit. Herzlichen Gruss
Also, die Finnen machen schon einiges richtig. Zum Beispiel in Sachen Integration, kleine Klassenverbände, individulle Föderung. Nichtsdestotrotz haben Sie natürlich recht. Beim Vergleich fehlt inzwischen das "Tertium comparationis"
Allein in Berlin sind innerhalb von wenigen Jahren 84.000 Flüchtlinge hinzugekommen, u.a. weil u.a. die Skandinavier, freundlich formuliert, sich "bedeckt" hielten. Wohl gemerkt, ich betrachte das eben auch als herausragende Kulturleistung, Menschen nicht verrecken zu lassen. Manche Lehrenden, Erzieherinnen würde es sicher freuen, wenn die kolossalen Herausforderungen, vor denen sie damit stehen, mehr gewürdigt und sie entsprechend unterstützt würden. Und kollektiv, dürfen wir uns dafür auch mal auf die Schultern klopfen . Ermutigungen sind umso wichtiger, weil die Herausforderung, 3/4 der bildungsfernen Flüchtlingsfamilien zu integrieren, eine Generationen übergreifende eine Herkulesaufgabe ist. Darüber schweigt man sich gerne aus- zu Lasten aller Kinder.
LG am
Jaja, wie alles wir so treiben, immer nur um der lieben Kinder(!!) WILLEN. Und um derentwillen braucht’s da selbstverständlich auch eine VERGLEICHBARKEIT, wenn’s darum geht, die Sortierungsresultate einer auf geherrschten und unter das MASS DER ZEIT gesetzten Lernkonkurrenz, auch im Gesamtdeutschen Maßstab, gaaahhnz fürchterlich gerecht ermitteln zu können.
Danke!