Wirklich besser als Hartz IV? „Bürgergeld“ klingt nach neoliberalem Blödsprech
Meinung Es wird viele Sitzungen gebraucht haben, bis eine Agentur auf „Bürgergeld“ kam, um die Reform von Hartz IV zu umschreiben. Semantisch ist das auch nicht besser, findet unsere Autorin
Hartz IV heißt jetzt Bürgergeld – sonst ändert sich nichts
Foto: Imago / Nikita
Eine Arbeitsvita mit so einigen Bullshitjobs, seriösen Anstellungen und Phasen der Arbeitslosigkeit, klassisch also, man gerät durcheinander, also nageln Sie mich nicht fest, aber es muss ungefähr zeitlich so zusammen gefallen sein: kurz bevor „Hartz IV“ eingeführt wurde, arbeitete ich noch bei einer Agentur für politische Kommunikation. Zu unseren Kunden gehörte die Schrödersche Bundesregierung. Unsere Agentur organisierte Kampagnen für das Bundespresseamt. Hartz IV hatten wir nicht mitverbockt, aber damals arbeiteten wir zum Beispiel an der Kampagne zum neuen „Asylbewerbergesetz“. Ich erinnere mich gerade, wie die Sitzungen (wie erklären wir die Politik pflegeleicht dem ressentimentgeneigten Wähler), im Bundespress
esseamt dazu manchmal verbal zynisch gerieten, sie waren ja off the record, einmal hätte ich fast den Raum verlassen – wie hier geredet wurde, brachte mich in einen moralischen Konflikt.Warum erzähle ich das? Hartz IV ist ja nur der Volksmundausdruck für die berüchtigte größte Arbeitsmarktreform der Bundesrepublik – aber „Bürgergeld“ hat sich jemand ausgedacht. Und wie die rot-grüne Koalition plus FDP auf das hübsche Wort „Bürgergeld“ gekommen ist, ich hätte hier gern Mäuschen gespielt. Damals jedenfalls. Es kam die Werbekrise, unsere Agentur ging pleite, ich wurde arbeitslos. Viele Agenturen gingen pleite, viele wurden arbeitslos, es war komplett aussichtslos, einen Job in der Werbung zu finden. Aber: Irgendwas wollte man ja machen. Die meisten Menschen, die arbeitslos werden, geraten zuerst in eine tolle Aufbruchstimmung. Man wittert Chancen. Da ist etwas Rebellisches. Man hofft auf etwas Neues, das da kommt. Also leiert man etwas an. Ich organisierte mir einen Business-Englisch-Kurs an einer Berlitz School, den das Arbeitsamt, äh Jobcenter finanzierte. Ich ging nach London (danke Europäische Union), denn das Arbeitslosengeld I wurde nach London transferiert. In London lebte ich in einer WG, in der WG waren alle mit Arbeitssuche und Geldproblemen in Vollzeit beschäftigt, so war London. Manchmal flitzte eine Maus durch mein Zimmer.Der längste Job: zwei MonateIch arbeitete bei Marktforschungsinstituten mit anderen gestrandeten Existenzen aus ganz Europa, die Welfare in London ist gnadenlos, man kann gar nicht nicht arbeiten. Im Marktforschungsmekka London riefen wir am Fließband aus unseren schmuddeligen Großraumbüros mit Meningitis-Warnschildern und trostlosen Yuccapalmen in unserer Heimat an.Meine Jobs kamen über Zeitarbeitsfirmen, die Aufträge gingen über eine Woche, zwei Wochen, mein längster Job: zwei Monate. Ich fuhr Doppelschichten, ein Kollege schmierte mir Pausenbrote, nachmittags wurde es dunkel und man schaute raus, es war Tristesse – aber auch lustig. Bullshitjobs schweißen zusammen, zumal ich eine subversive Zettelwirtschaft organisiert hatte: während wir telefonierten, steckten wir uns lustige Zettel zu, es war unser heimlicher Arbeitsboykott.In meiner Freizeit saß ich im Internetcafé und bewarb mich auf den nächsten Bullshitjob. London ist bekanntlich tough. Das Geld reichte nie, ein großer Teil meines schmalen Erbes ging drauf, ich hätte mich sonst nicht über Wasser halten können. Da ging ich also auch noch mit einem dicken Minus raus aus meinem Arbeitsabenteuer und redete es mir mit Erfahrung schön, war es ja auch. Ich bekam trotzdem Heimweh. Nachts zählte ich die Tage. Ich musste auf 365 erwerbstätige Tage kommen, denn zurück in Deutschland drohte das ominöse Hartz IV, die neue Arbeitslosenhilfe. Hartz IV: es war die ultimative Stigmatisierung, durchleuchtet zu werden, alles offen legen zu müssen, das Resterbe noch zu beziffern.Es ist legitim, Arbeit sinnlos zu findenHartz IV, der Name, knirschend, unfreundlich, fordernd. Das alte Arbeitsamt war ja nun ein Jobcenter, was für ein neoliberaler Blödsprech. Das altmodische Wording hingegen war ehrlich gewesen. Arbeitslosengeld I, das war konkret auch als zeitliche Phase. Du hast keinen Job, du orientierst dich jetzt, du solltest schauen, dass nicht zu viel Zeit verstreicht. Arbeitslosengeld II, das war auch konkret. Scheiße! Die Zeit ist geflogen! Du hast immer noch keinen Job, vielleicht solltest du jetzt über Alternativen nachdenken, Kompromisse eingehen. Was du auch tust. Die Ironie: bei den Kompromissen sagen dir die Arbeitgeber oft: Du hast leider kleine Kinder (das sagt dir natürlich niemand so direkt). Du bist überqualifiziert. Lustiger Hohn. Du kriegst keinen Job unter deinen Möglichkeiten, weil du überqualifiziert bist.Und nach zwei Jahren kam dann vor der Einführung von Hartz IV für manche die Sozialhilfe. Das hieß: Du hast keine Arbeit, aus vielen auch privaten und gesundheitlichen Gründen, die zum Teufel niemanden etwas angehen. Warum ein/er* nicht arbeitet, ist Privatsache. Sozialhilfe war kein super Wort, aber ein ehrliches Wort für das, was es eben auch implizierte. Eine solidarische Gesellschaft kann und muss Menschen unterstützen, die aus irgendwelchen Gründen nicht zu arbeiten in der Lage sind, sogar wenn der Grund lautet: „In meinem Job als Friseurin verdiene ich genauso viel (oder in etwa) wie Hartz IV“. Warum? Weil es ein legitimer Grund wäre.Es ist auch ein legitimer Grund, Arbeit sinnlos zu finden. Arbeit ist eben nicht für jeden sinnstiftend, schon gar nicht, wenn sie schlecht bezahlt ist. Und wem langweilig ist oder wer Dünkel hat, wer ein Feindbild braucht, der sollte sich bitte nach oben orientieren. Die „Reichen“ angreifen. Oder für Gehälter streiten, von denen der Mensch leben kann oder wofür man aufsteht, malocht, um am Ende eines Arbeitslebens ja doch keine Rente erwirtschaftet zu haben. Was ja quasi der Minimalanspruch an eine Erwerbstätigkeit wäre.Hartz IV bedeutet SchikaneAlso damals. Hartz IV bedeutete: Man rutschte geradewegs, da hatte man noch nicht seine Bewerbungsmappe zusammengestellt, gar ein schönes Passfoto gemacht, in die sogenannte Langzeitarbeitslosigkeit. Nach einem Jahr. In die seitenweise Bürokratie mit all den bekannten schikanösen Schikanen. Horror. Lähmender Horror mitunter. Jedenfalls: Zurück von London in Deutschland fehlten mir zwei Tage, mir war egal, was ich mache, ich brauchte die zwei Tage, Arbeitslosengeld ja, aber Hartz IV, no way. Ich bekam die zwei Tage, aus den zwei Tagen wurde ein Job, kein Traumjob, eher ein Bore-Out-Job.Jetzt soll Hartz IV „Bürgergeld“ heißen. Abgesehen von der inhaltlichen Ausrichtung. Es wird viele Sitzungen mit einer Agentur gegeben haben, um auf ein Wort zu kommen, das den hässlichen Sozialneid nicht befördert. Aber mich stört das Wort sehr. Es klingt karitativ. Nach Wohlfahrt. Das ist jedoch nicht richtig. Das Arbeitslosengeld steht einem zu. Es ist kein Almosen. Wer arbeitet, zahlt in eine Arbeitslosenversicherung ein. Wer seinen Job verliert, braucht Phasen der Orientierung. Das Bürgergeld ist zudem semantisch nahe am bedingungslosen Grundeinkommen. Aber genau das ist es ja nicht. Bedingungslos. Bürgergeld klingt schöner, fraglos und es gibt eine „Vertrauenszeit“. Ist das ein schöneres Wort für den Hartz IV-Claim „Fordern und Fördern“?Und auch: Vertrauenszeit, noch so ein „schwieriges“ Wort, denn wie weit entfernt ist das Misstrauen? Es ist sechs Monate weit entfernt. Das Bürgergeld, so wie ich es verstehe, ist wieder als Schonfrist angelegt. Ich vertraue dem Wort Bürgergeld nicht. Es vernebelt die Lage am Arbeitsmarkt und stigmatisiert, freilich etwas eleganter.
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