Für sogenannte normale Menschen stellt sich das Leben von Mateusz als bemitleidenswert dar. Der Junge ist körperlich behindert und nicht in der Lage, mit seiner Umwelt zu kommunizieren – die Ärzte erklären ihn kurzerhand zu einer „Pflanze“. Doch Mateusz hat einen optimistischen Blick auf die Welt, er liebt die Sterne, den Anblick nackter Brüste und wartet nur auf den Moment, in dem er Rest endlich zeigen kann, dass er nicht limitiert ist.
Basierend auf einer wahren Geschichte wird mit In meinem Kopf ein Universum erstmals in einem polnischen Film ein körperlich behinderter Mensch zum Protagonisten gemacht. Die Normalität, mit der Mateusz gezeigt wird, hat wahre Begeisterungsstürme unter polnischen Kritikern hervorgerufen. 300.000 Zuschauer haben den Film, der nun in Deutschland startet, in Kinos des Landes gesehen. Eine fast bescheidene Zahl, wenn man bedenkt, dass heimische Filme in den letzten Jahren Millionen von Polen in die Kinos lockten.
Jede dritte Eintrittskarte, die 2014 an Polens Kinokasse verkauft wurde, führte in eine polnische Produktion (im mehr als doppelt so großen Deutschland liegt der Marktanteil hiesiger Filme unter einem Viertel). Bogowie („Die Götter“), ein Film über die erste erfolgreiche Herztransplantation in Polen, das Warschauer-Aufstand-Drama Miasto 44 („Stadt 44“) und Jack Strong, ein Thriller über einen Offizier, der im Kalten Krieg für die CIA spionierte, waren beliebter als Blockbuster wie Hobbit 3.
Auf gerade einmal 120.000 Zuschauer kam Ida. Das Drama um eine Novizin, die sich im Polen der 60er Jahre auf die Suche nach ihrer jüdischen Identität macht, wurde zwiespältig aufgenommen, auch als „antipolnisch“ kritisiert. Vor einem Monat gewann der Film, nach dem Europäischen Filmpreis, als erster polnischer den Oscar für den besten fremdsprachigen Film und erlebt seither eine andere Wertschätzung.
Solche Erfolge sind Ergebnis der reformierten Filmförderung. Zuvor war der Film staatlich gefördert worden, das Budget niedrig und unsicher. Es kam vor, dass Regisseure mitten in der Produktion auf den Kosten sitzengelassen wurden, weil die Reparatur eines Denkmals plötzlich dringender war.
Reformierte Förderung
Die Wende kam mit dem „Gesetz zur Kinematografie“, das im Jahr 2005 vom polnischen Parlament verabschiedet wurde. Seitdem sind die öffentlichen und privaten Fernsehsender, Kinobetreiber und Videoverleiher verpflichtet, 1,5 Prozent ihrer Einnahmen an das Polnische Institut für Filmkunst abzuführen – eine unabhängige Institution, die das Geld in neue Projekte investiert. Seitdem hat sich die Zahl der polnischen Arbeiten verdoppelt. Junge Filmemacher, die von einer der inzwischen zahlreichen polnischen Fachhochschulen kommen, werden besonders gefördert.
Miasto 44, mit einem Budget von umgerechnet sechs Millionen Euro der teuerste polnische Film des vergangenen Jahres, wäre ohne diese Förderung undenkbar gewesen. Regisseur Jan Komasa war erst 25 Jahre alt, als er sich vor acht Jahren des Projekts annahm. Keine leichte Aufgabe, seit 1990 wird in Polen darüber debattiert, ob der moralische Sieg, den die jungen Kämpfenden mit dem Warschauer Aufstand errangen, die Zerstörung der Hauptstadt und die Ermordung Tausender Zivilisten rechtfertigte. Komasa schlägt sich auf keine der beiden Seiten, sondern zeigt Mut und Naivität der Jugend im Krieg.
„Unsere Liebe zu historischen Filmen hebt uns von anderen europäischen Ländern ab“, hat die polnische Filmwissenschaftlerin Anna Wróblewska einmal gesagt. Dies trifft vor allem auf Filme über den Zweiten Weltkrieg zu, die in Polen als Garant für ein Millionenpublikum gelten.
Ein seit Jahren ebenfalls beliebter Stoff: Biografien. Ob das mehrfach erzählte Leben des polnischen Papstes Karol Wojtyła, das Solidarność-Anführers Lech Wałęsa oder das von Kommunisten ermordeten Priesters Jerzy Popiełuszko – meist interessieren sich Polen für Menschen, die gegen das autoritäre sozialistische System aufbegehrten. Im Fall von Bogowie gelang erstmals eine ironische Distanz zur damaligen Zeit. Der Film erzählt den Kampf des Chirurgen Zbigniew Religa um den Traum einer Herztransplantation und macht dabei nicht Halt vor der Peinlichkeit des damaligen Zeitgeists: In einer Zeit, in der es an allem mangelte, musste man erst ein paar Gläser Schnaps heben, um etwas zu erreichen. Das Herz, für viele Menschen kein Muskel, sondern ein Symbol wie das Herz Christi, durfte ja von keinem jüdischen oder gar homosexuellen Spender stammen.
Die Beliebtheit der Filme erklärt Dariusz Jabłoński, Regisseur und Präsident der Polnischen Filmakademie, mit dem Bedürfnis, Vergangenes aufzuarbeiten: „Das sind Geschichten, die wir uns gern früher erzählt hätten, es aber im Kommunismus nicht tun konnten.“
Dass ein Film zu einem immer noch heiklen Thema (wie Ida) auch nach 15 Jahren eine kleine Renaissance erleben kann, zeigt der Fall von Das Purimwunder (2000), einer Komödie über eine antisemitische polnische Familie, der plötzlich das Erbe eines jüdischen Verwandten zugesprochen wird. Fußballfans, die bei einem Ligaspiel antisemitische Sprüchen skandierten, wurden von einem Warschauer Amtsgericht dazu verurteilt, sich den Film anzuschauen. Ende Januar hat ein Revisionsgericht das ungewöhnliche Urteil bestätigt. Die pädagogische Maßnahme bescherte dem Film so viel mediale Aufmerksamkeit, dass einige Kulturhäuser sich entschieden, den Film wieder ins Programm aufzunehmen.
Film
In meinem Kopf ein Universum Maciej Pieprzyca Polen 2013, 112 Minuten
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