Es ist heiß, die Luft flirrt, Menschen sieht man keine – dabei sollen hier ein paar Tausend leben. Mitten in der Wüste Südaustraliens, Hunderte Kilometer von der restlichen Zivilisation entfernt, wo roter Outback-Sand das Land unendlich erscheinen lässt. Die nächsten Grünflächen samt Rasensprengern sind viele Fahrstunden entfernt. Nur die Spuren der Menschen sind zu sehen. Übermannshohe Sandhaufen in allen Erdtönen ragen in den klaren blauen Himmel. Schön aufgereiht sind sie, und die Hügelkuppen glitzern in der Sonne. Neben ihnen dunkle Löcher – die Tore zu Coober Pedy, der Stadt unter der Wüste.
Zum Schutz vor der Hitze graben sich die Menschen hier seit knapp 100 Jahren ein paar Meter in die Tiefe. Häuser, Geschäfte, Restaurants, selbst die Kirche, liegen unter der Erde, wo es das ganze Jahr über angenehme 20 Grad hat. Sie sind durch Tunnel verbunden, und oben bei Tageslicht sieht man von Coober Pedy nicht viel mehr als den Aushub.
Entstanden ist dieses überdimensionale Maulwurfsfeld durch die Suche nach Opalen. 1915 fand ein Junge den ersten kostbaren Stein in der Gegend, die bald zu einem der größten Opalfelder der Welt werden sollte. Immer mehr Menschen aus aller Welt zog es an den unwirtlichen Ort – in der Hoffnung auf schnellen Reichtum. Sie buddelten überall im heißen Sand nach Edelsteinen, die ansässigen Aborigines muss das in einiges Staunen versetzt haben. Sie nannten sie „Kupa Piti“, „weißer Mann im Loch“, und so kam Coober Pedy zu seinem Namen.
John Dunstan ist so ein weißer Mann. Er ist groß, muskulös und seine Haut ist von der Sonne gegerbt. Zusammen mit Kollegen sitzt er im Hinterzimmer seines Opalgeschäftes. Bevor es zur Mine geht, gibt es noch einen starken Kaffee. Dunstan trägt verstaubte Arbeitshosen und Stiefel, die von einem leichten Sandfilm bedeckt sind: „Ich bin als Opalsucher geboren“, sagt er. Schon sein Vater war Opalexperte, die Familie zog von Opalstadt zu Opalstadt, und in den sechziger Jahren kamen sie dann nach Coober Pedy. „Mein Dad wusste, dass hier wahre Schätze liegen.“
Es dauerte nicht lang, und immer mehr Glückssucher zogen nach Coober Pedy, viele aus Europa und Australien. In den 60er und 70er Jahren entwickelte sich der Ort zu einer modernen Minenstadt. Auch Judy Sparrow, die zuvor zusammen mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Alice Springs, der nächstgelegenen Stadt, gelebt hatte, wagte den Neuanfang. „Wir nahmen einfach eine Tunnelmaschine und zogen nach Coober Pedy“, erzählt sie. Denn dort kann jeder nach Opalen suchen. Und die Sparrows fanden zahlreiche, ein Freund von ihnen grub sogar einen Stein im Wert von heute umgerechnet 7.000 Euro aus. „Es war ein Opalrausch, ja, wie ein Goldrausch“, erinnert sich Sparrow.
Dunstan sitzt inzwischen in seinem Geländewagen. Die Fenster sind geschlossen und die Klimaanlage läuft. Denn die Außentemperaturanzeige steht schon früh am Morgen bei 38 Grad Celsius. Der Opalsucher ist auf dem Weg zu einem der zahlreichen Felder außerhalb von Coober Pedy. Ihre Grenzen werden von großen Warnschildern markiert mit der Aufschrift „Danger“ (Gefahr) und Zeichnungen von in Schächte fallenden Menschen. Hat man diese passiert, erwarten einen unzählige Sandhügel und einige Tunnel- und Blasmaschinen, die wichtigsten Utensilien für die Opalgewinnung. Das Prinzip ist einfach: Zuerst bohrt man mit der Tunnelmaschine ein 30 Meter tiefes Loch. Dann setzt man die Blasmaschine, die wie ein Staubsauger funktioniert, darauf und saugt den Sandstein nach oben. Dadurch entstehen die Sandhügel und Schächte, in denen Opale versteckt sein können. „Es ist wie ein Glücksspiel, man muss sehr geduldig sein“, sagt Dunstan und steigt auf seinen Bulldozer. „Aber ich habe schon viele gefunden, eigentlich findet man alle zehn Jahre einen richtig Wertvollen.“
Dingos auf der Hauptstraße
Dunstan sucht mindestens sechs Stunden täglich nach Opalen. Nur selten gönnt er sich eine Pause. In den 90ern hatte er kein Geld mehr auf dem Konto, konnte aber wegen einer Rückenverletzung für mehrere Wochen nicht arbeiten. Nachdem ihn seine Bank aufforderte, Geld einzuzahlen, machte sich Dunstan wieder auf die Suche. „An dem Tag fand ich einen Stein im Wert von über 50.000 Euro“, erzählt er, „ich hatte es einfach im Gefühl.“
Mittlerweile reicht der richtige Riecher aber nicht mehr aus, denn die Lage für Opalsucher hat sich deutlich verschlechtert: „Ein Großteil des oberen Grundes ist schon leer gefegt und man muss tiefer graben“, sagt Dunstan. Die Opalsucher sind deswegen inzwischen zum so genannten Open-Cut-Mining übergegangen. Doch diese Methode ist teuer und die meisten Leute, vor allem mit Familie, wollen lieber ein geregeltes Einkommen – auch Dunstans Söhne.
Im Zentrum von Coober Pedy selbst ist schon lange nichts mehr zu holen. Hier stehen nur noch alte Autowracks und rostige Minenmaschinen. Es gibt ein paar Tankstellen und Restaurants. Der Wüstenstaub fegt durch nahezu menschenleere Straßen. Im spärlichen Schatten sitzen einige Aborigines zusammen mit ihren dösenden Dingos. Wer kann, hat sich vor der Wüstenhitze von bis zu 50 Grad nach drinnen gerettet, in die so genannten Dugouts.
„Das Besondere an ihnen: Im Sommer ist es kühl und im Winter warm, denn sie haben immer eine Temperatur von 20 bis 23 Grad“, erklärt Dunstan. Und das, ohne zusätzliche Energie für Klimaanlagen oder Heizungen zu verwenden. Anfangs buddelte man die Erdhäuser noch mit Schaufel und Hacke, später wurden sie mit Sprengstoff geschaffen, und seit den Achtzigern sucht man sich einen freien Sandhügel und bohrt sich dann waagrecht mit Tunnelmaschinen dort hinein.
Die Eingangstür und wenige Fenster sind oberirdisch in den Sandhügel eingebaut, nur hier fällt natürliches Tageslicht in das Haus. Der Hauptteil der Erdhäuser ist düsterer, die Gänge winden sich bis zu 40 Meter unter die Erde. Wände, Decken und Böden bestehen aus rötlich schimmerndem Sandstein. Tapeten sind überflüssig, die natürliche weiß-rote Musterung des Steins verleiht den Dugouts Charme. Wenige brüchige Stellen sind mit weißem Putz versehen.
Ansonsten unterscheiden sich die unterirdischen Häuser nicht von denen über der Erde: In den Küchen stehen Kühlschrank und Mikrowelle und die Wohnzimmer werden vom Fernseher dominiert. „Ich habe in meinem Dugout sogar einen Pool“, sagt Dunstan stolz.
Auch die Baukonstruktion funktioniert wie bei einem normalen Haus. Sobald in der Erde ein Fleckchen guten und festen Grunds gefunden ist, kann entschieden werden, wie groß das Haus werden soll. Dann werden Leitungen verlegt und Abwasserkanäle eingerichtet. „Wichtig ist, dass jeder Raum einen Ventilationsschacht hat“, betont Dunstan, der selbst schon neun Dugouts gebaut hat. Sein eigenes ist mit 650 Quadratmetern das größte Coober Pedys. „Man kann auch eigentlich nichts falsch machen“, sagt der Fachmann, „das Erdhaus muss am Ende nur von drei Opalsuchern begutachtet werden.“ Manch einer hat sich beim Bau allerdings schon mal verzettelt, weil beim Graben immer die Möglichkeit besteht, einen Schatz zu finden. „Ein Freund von uns fand einmal Opalspuren und grub immer weiter, am Ende hatte er 20 Zimmer“, erzählt Sparrow.
Zeche auf dem Friedhof
Es ist Abend geworden, die Sonne ist untergegangen und einige Bewohner treffen sich in einer unterirdischen Bar. Dunstan kommt herein und setzt sich zu der schon etwas angeheiterten Runde. „Und John, was gefunden heute?“, fragt ihn Sparrow. „Heute nicht“, sagt er, „nur Benzin verbraten.“ Die Kellnerin bringt ein Bier für Dunstan. „Dann auf den nächsten Fund“, sagt Sparrow und stößt mit ihm an.
Manchmal treffen sich die Coober Pedianer zum Trinken auch auf dem Friedhof bei dem großen silbernen Bierfass mit der Inschrift „Have a drink on me“ („Der Drink geht auf mich“) – ein Grabstein. Der bekannte raue Aussi-Humor ist hier besonders ausgeprägt. Auf dem Golfplatz, der bis auf drei Quadratmeter Gras komplett aus Sand besteht, steht ein Schild mit der Aufschrift: „Keep off grass“ – „Rasen betreten verboten“.
Meist zechen die Bewohner ihre Biere aber unter der Erde. Heute wird, wie so oft, Karten gespielt und auf die Politiker geschimpft: „Es ist doch kein Wunder, dass die Opalsuche vom Aussterben bedroht ist. Die Regierung erhöht alle Kosten, und wir sind denen doch sowieso egal“, sagt Dunstan. Die Runde nickt. „Ich verstehe auch nicht, warum wir für jede Kleinigkeit etwas zahlen müssen“, sagt Sparrow, „ein Bier oder ein bisschen zu schnell fahren ist doch nicht so schlimm.“ Nun legt Dunstan seine Karte, nimmt einen großen Schluck Bier und sagt: „Ist doch klar, der Staat braucht das Geld, um die Aborigines ruhigzustellen!“ „Ja, das ist schrecklich, dass sie nicht versuchen die Kulturen zu integrieren“, sagt Sparrow zustimmend.
In Coober Pedy soll das anders laufen: Mittlerweile leben dort über 3.000 Menschen aus fast 50 verschiedenen Kulturen. Und auch wenn die meisten keine Opalsucher mehr sind – so wie Sparrow, die inzwischen im unterirdischen Buchladen arbeitet – fühlen sie sich sehr wohl. Nicht mehr die Steine, etwas anderes ist für sie viel wertvoller geworden: die Einzigartigkeit des Ortes.
„Es ist nicht immer einfach, viele Kulturen zu vereinigen“, sagt Pfarrer Paul Burke, „aber immerhin hat man doch bei uns das Gefühl, eine Familie zu sein und friedlich zusammenzuleben.“ Dunstan nickt. Dann schaut Sparrow in die Runde: Griechen, Deutsche, Österreicher, Australier, Amerikaner, Spanier, Engländer und Aborigines sitzen gemeinsam am Tisch: „Es ist schön zu sehen, wie sich die Menschen füreinander interessieren, um ein Teil dieser einzigartigen Truppe zu sein.“
Nun schaltet sich Burke, der die Gemeinde sehr gut kennt und schon an vielen unterschiedlichen Orten gearbeitet hat, wieder ein: „Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass wir mitten in der Wüste leben.“ Sparrow nickt und sagt: „Ja, es ist ein Ort mit einer unglaublichen Freiheit, auch wenn es anfangs eine Herausforderung war.“
Als die Menschen in Coober Pedy ankamen, waren Infrastruktur und Versorgung schlecht. Der Arzt wurde nur in Notfällen eingeflogen. Ansonsten mussten die Bewohner 700 Kilometer über nicht asphaltierte Straßen nach Alice Springs fahren. Wasser gab es nur aus dem 850 Kilometer entfernten Adelaide. Mittlerweile gibt es zwar ein Krankenhaus und sogar einen Flughafen. Doch zum Friseur müssen die Bewohner immer noch mehrere Hundert Kilometer fahren.
„Aber ich bin froh, dass Coober Pedy seinen Outbackcharakter bewahrt hat“, sagt Sparrow. „Es ist schön, dass es hier keine Bäume, keine Wiese und nur wenige Gebäude gibt. So kann man in die Weite sehen und absolute Freiheit genießen.“ Das gefällt auch dem Opalexperten: „Wir sind ganz weit weg von dem Verkehr und der Hektik der Großstädte“, sagt Dunstan.
Durch das Leben im Outback und unter der Erde fühlen sich die Coober Pedianer der Natur noch stärker verbunden. „Es ist so rein, ruhig und friedlich“, sagt Sparrow. „Und wenn man so lange unter der Erde gelebt hat wie ich“, sagt Dunstan, „dann will man nichts anderes mehr.“
Katharina Finke ist freie Journalistin in New York. Nach der Recherche in Coober Pedy musste sie noch Hunderte von Autokilometern zurücklegen, bis sie sich im australischen Meer eine Abkühlung gönnen konnte
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