Endlösung der Klischeefrage

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Das Projekt „Dritte Generation“ bringt Positionen aus Palästina, Israel und Deutschland auf die Bühne und arbeitet mit einer Enttabuisierung dieser die Vergangenheit auf.

Würdest Du mit einem Käfer oder einer Pflanze ficken? Nein. Falsche Antwort. Oder bist Du etwa ein Natur-Fascho? Wem so ein Umgang mit Klischees zu hart ist, hat bei der Inszenierung „Dritte Generation“ nichts zu suchen. Denn hier werden Klischees rund um Israel, Deutschland und Palästina politisch inkorrekt ausgesprochen und in Szene gesetzt.

Ok, ich muss zugeben: Am Anfang bin ich auch ein wenig befremdet: Der erste deutsche Schauspieler eröffnet die Show, indem er sich erstmal grundsätzlich für den Holocaust entschuldigt. Soll ich jetzt lachen oder empört sein? Er macht weiter und entschuldigt sich im Laufe der nächsten 90 Minuten für alles und jeden. Zunächst aber dafür, dass es im Stück kein richtiges Bühnenbild gibt und keine richtigen Kostüme. „Sie müssen entschuldigen, in Israel läuft das nun mal anders“, sagt der er während auch die anderen Schauspieler auf die Bühne kommen: Deutsche, Israelische und Palästinensische. Alle tragen eine Jogginghose in grau oder schwarz. Dazu ein rotes T-Shirt mit dem Aufdruck „3G“ für die dritte Generation.

Nun übernimmt die israelische Fraktion, um über den Holocaust zu sprechen und ihre Sicht der Dinge zu erklären: „Deutschland ist Deutschland. Palästinenser sind Palästinenser und der Holocaust ist der Holocaust. Es ist ein einmaliges Erlebnis (...). Es gab natürlich auch andere Völkermorde, aber das ist überhaupt nicht zu vergleichen!“ Darauf behaaren die israelischen Schauspieler immer wieder. Auch nicht zu vergleichen seien Mauer, Ghettos und Rassismus. Langsam ist das Konzept beim Publikum angekommen und die ersten schmunzeln. Auch ich ziehe die Mundwinkel nach oben. Aber immer noch etwas verlegen.

Doch nicht nur die Wirkung des Holocaust nach außen, sondern auch auf die Deutschen wird thematisiert. So gerne würde man als Deutscher ins Ausland reisen und nicht immer Schuldgefühle haben müssen klagt einer der deutschen Schauspieler. „Warum kann man nicht mehr stolz sein als Deutscher?“

Die Palästinenser sind nun dran, sie schildern die Folgen des Gaza-Krieges. „Komm erzählen wir doch von der Apartheid Israels.“ Natürlich könnten die Israels sich alles erlauben, sie können sogar gegen internationales Recht verstoßen. „Typisch Israel keine Selbstreflexion!“ Mittlerweile lacht jeder im Publikum.

Der Dialog geht weiter: alle Nationen und Glaubensrichtungen bringen ihre eigenen Argumente ein. Dabei bleibt es nicht bei bloßen Anspielungen, die Positionen werden ohne Tabus benannt und den anderen regelrecht ins Gesicht gespielt. Die Auseinandersetzungen führen die Schauspieler von dem Hier und Jetzt zu den Ursprüngen für das Selbstverständnis zurück.

Selbst untereinander sind sie sich nicht immer einig, denn in Deutschland gibt es Ossis und Wessis, in Palästina Muslime und Christen und in Israel Zionisten und Orthodoxe. Und was ist überhaupt schlimmer: Holocaust, Hamas oder Nakba? Wer sind die Opfer und wer sind die Täter? Diese Fragen spitzen sich so zu, dass das politisch inkorrekte Spektakel in einem Täter-Opfer-Finale endet, bei dem alle Schauspieler aufeinander losgehen und danach mit Wundverbänden zum Applaus erscheinen. Der ist gewaltig: die Menschen trampeln, klatschen und lachen. „Doch kann man alles weglachen?“

Scheinbar nicht jeder. Denn in Berlin warfen einige der Autorin und Regisseurin Yael Ronen vor, sie würde den Holocaust relativieren und habe ihn mit der Vertreibung der Palästinenser aus Israel verglichen. Wer sich davon selbst überzeugen will, der hat heute Abend, 29.01.2010 in der Gaußstraße noch einmal die Möglichkeit sich die Work-In-Progress-Koproduktion zwischenSchaubühne Berlin, dem Habima National Theatre of Israel und der Ruhrtriennale 2009 anzusehen.

Dieser Blogeintrag ist Teil des Lessintageblogs, der das Theaterfestival "Um alles in der Welt - Lessingtage 2010" (24.01. - 07.02.2010) des Hamburger Thalia Theaters ständig kritisch begleitet . Immer aktuell und mitten aus dem Geschehen – Lessing 2.0.



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Geschrieben von

Katharina Finke

global correspondent

Katharina Finke

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