Gibt es ein Gen für Altruismus?

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Miriam Yung Min Stein in "Black Tie" von Rimini Protokoll bei den Lessingtagen 2010. Spielstätte: Kampnagel

Haiti ist mal wieder ein schönes Beispiel für gekauften Altruismus. Helfen um später einen Überweisungsbeleg zu erhalten, den man von der Steuer absetzen kann und der vor allem eins kann: Das Gewissen beruhigen.

„Das kotzt mich an, das kotzt mich an, das kotzt mich an“, sagt Miriam Yung Min Stein, die nicht nur Hauptdarstellerin von „Black Tie“ ist, sondern um deren Biografie sich der Abend von Rimini Protokoll auch dreht.

Geboren ist Stein in Südkorea. Aufgewachsen jedoch in Osnabrück. Jetzt lebt sie in Berlin. Doch nach Deutschland ist sie alleine gekommen. Ihre Eltern hat sie nie kennen gelernt, sie weiß noch nicht einmal ihr genaues Geburtsdatum. Nur, dass sie 1977 in einer Schachtel in Zeitungspapier eingewickelt in Südkorea gefunden wurde. Angeblich. Dann wurde sie von einer deutschen Familie adoptiert. Viele Migrationsgeschichten waren bei den Lessingtagen 2010 bisher schon zu sehen. Eine Adoption bisher nicht. Genau um die geht es in „Black Tie“.

Wie erzählt man seine Geschichte, wenn man eigentlich gar nicht weiß, wer man ist? Diese Frage stellt Stein auf einer Bühne, die mit Ausdrucken ihres Genoms bedruckt ist. 276 Mal sagt sie „ich“, auch wenn sie selbst nicht weiß, wer dieses „Ich“ überhaupt ist. Mit der distanzierten, emotionsarmen Form, in der sie ihre eigene Geschichte darstellt, thematisiert sie ihre Abneigung und Frustration über einen Altruismus, der in Wirklichkeit keiner ist. Wie wenig Mensch und wie viel Gewissenshandel oft hinter als Altruismus getarnten Aktionen steht, betont sie, indem sie immer wieder einen zynischen Blick auf die seelenlose Ökonomie und

Bürokratie des Adoptionsvorgangs aufzeigt. Sie sei nur eine „Versuchsanordnung“. Das erste was sie bekommt, als sie gefunden wird, ist eine Nummer: K77-2178. Und dann ihren Namen: „Wie Simone Müller oder Maria Mustermann in Deutschland“. Von ihren Adoptiveltern bekommt sie zwar einen deutschen Namen, doch sie sieht anders aus. Dieses Anderssein macht sie sich selbst fremd. Ihre Adoptivmutter versucht ihr das mit „Manche Babys kommen aus dem Bauch, manche aus dem Flugzeug“, zu erklären. Doch nach Studium der Dokumente und Berichte, die über sie verfasst werden, sieht sie sich später selbst als „zwischenstaatliches Belegexemplar.“

Leid tut sie sich dabei aber selber nicht. Sagt sie. Sie sei nur frustriert, wie wenig die Menschen Dinge in einen Zusammenhang setzen können. Dass nicht alles mathematisch oder faktisch begründbar sei. Denn sie ist nicht einfach nur K77-2178 oder die Aufschlüsselung ihres Erbgutes, die sie bei zwei verschiedenen Internetanbietern bestellt, sie aber nur über ihre Krankheitsrisiken aufklärt und nicht darüber, wer sie ist.

Mit der Geschichte von Stein stellte Rimini Protokoll eine Frage in den Raum, die viel zu selten thematisiert wird: Was ist das für ein Altruismus, bei dem ein gutes Gewissen auf ökonomischen Maßstäben basiert? Denn gäbe es wirklich ein Gen für Altruismus wäre es auf Grund der hohen Nachfrage bestimmt schon ausverkauft.



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Geschrieben von

Katharina Finke

global correspondent

Katharina Finke

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