„Ich zieh denen im Büro den Stecker raus“

Interview Mark Schapiro ist US-Umweltjournalist. Seinen Landsleuten Nachhaltigkeit zu vermitteln gehört zu seinen härtesten Aufgaben
Ausgabe 34/2015
„In Amerika glaubt man immer noch, wir hätten unendliche Ressourcen“
„In Amerika glaubt man immer noch, wir hätten unendliche Ressourcen“

Bild: David Weyand für der Freitag

Mark Schapiro ist nach Hamburg gekommen, um bei einer Tagung über sein Lebensthema zu reden: investigativen Umweltjournalismus. Wir treffen uns in einem kühlen Café im Schanzenviertel. Draußen ist es unfassbar heiß, der Klimawandel greift nun mal überall.

der Freitag: Herr Schapiro, Sie sind ein klassischer Vielflieger. Im Dienst der Umwelt jetten Sie seit 30 Jahren um die Welt. Haben Sie kein schlechtes Gewissen?

Mark Schapiro: Schon, aber wir Passagiere sind nur Kleinvieh im Vergleich zu den multinationalen Unternehmen wie McDonald’s und Starbucks. Die fliegen ihre Waren um die ganze Welt, um wirklich überall präsent zu sein.

So wie Sie. Fünf Jahre waren Sie auf Recherche unterwegs, an den Krisenherden der Erde, Brasilien, Großbritannien, Spanien, Belgien und den USA. Daraus ist ein Buch geworden, „Carbon Shock“.

Ich möchte die Leser anhand von Alltagsbeispielen schockieren und zum Umdenken bewegen.

Es geht etwa ums Essen: Industriell hergestelltes sei im Grunde teurer als Bio. Das sieht im Supermarkt anders aus.

Ja, weil die Kosten, die bei der Produktion von industriellem Essen entstehen, erst einmal nicht bei den Verbrauchern ankommen. Langfristig aber schon. Denn die Verwendung von Chemikalien und der hohe CO2-Ausstoß aufgrund der Benutzung energiefressender Maschinen schadet der Umwelt und langfristig auch jedem Einzelnen.

Man spürt das aber nicht im Portemonnaie.

Dafür aber später an der Gesundheit, wenn sich beispielsweise die Luftverschmutzung auf die Lungen auswirkt. Politik und Wirtschaft sollten daher gemeinsam in ökologische Landwirtschaft investieren, etwa durch Subventionen. Dann wird Bio-Essen für alle günstiger.

In Deutschland wird häufig über Billigmarken debattiert.

Leider. Denn man sollte sich nicht fragen, warum etwas so teuer ist, sondern warum so günstig. Wenn man sich klarmacht, was man für ein Produkt in den Händen hält, wird man feststellen, dass jemand dafür ausgebeutet wurde. Nicht nur die Natur, sondern auch Menschen. Während der Produktion von Kleidung entstehen neben den sozialen auch noch andere reale hohe Kosten, weil sie und der dabei entstehende Müll woanders hintransportiert und vor allem verbrannt werden. Aber auch andere Konsumgüter wie Fernseher werden gern in Afrika verschrottet. Dabei entsteht wieder CO2.

Was bedeutet das für Ihr eigenes Konsumverhalten?

Ich habe keinen Fernseher, aber ein Tablet, was nicht unbedingt besser ist.

Warum nicht?

Ein Tablet sieht auf den ersten Blick alles andere als schmutzig aus. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass es fair hergestellt wurde. Man muss aber erst einmal die gesamte Wertschöpfungskette aufdecken, um zu erkennen, was in diesem Prozess der Umwelt geschadet hat. Früher stand in jedem Haushalt ein Fernseher, und niemand hat sich gefragt, wo das Ding eigentlich herkommt und welche Einflüsse es auf die Umwelt hat. Inzwischen hinterfragen das viele, die Menschen sind gebildeter und haben gelernt, dass die Umweltzerstörung einen direkten Einfluss auf ihr Leben hat.

Und worauf achten Sie noch?

Ich versuche, nur Klamotten aus Baumwolle zu kaufen und auch mal was nähen zu lassen. Meine Umhängetasche ist aus recycelter Plane.

So etwas gehört mittlerweile zum guten Leben vieler in der Mitte der Gesellschaft.

Ja, die Wahrnehmung der Menschen hat sich verändert. Zu Beginn der 80er Jahre musste man die Leute noch davon überzeugen, dass es so etwas wie Umwelt überhaupt gibt – und dass wir dabei sind, sie zu zerstören. Wenn man den Menschen damals erklärt hat, dass ein Fluss verschmutzt ist und man das Gift identifizieren kann, wo es herkommt und wer darunter leidet, konnte man sie richtig schockieren. Inzwischen wissen wir viel mehr, auch dank des Internets.

Zum Beispiel?

Ich habe auf einmal nicht nur festgestellt, dass das Palmöl für meinen Schokoriegel aus Malaysia kommt und dort dafür der Regenwald abgeholzt wird. Ich konnte mir auch ein genaues Bild davon auf meinem Computer ansehen. Gleichzeitig sind die Dinge komplexer geworden, als sie noch vor drei Jahrzehnten waren.

Info

Mark Schapiro wurde 1955 in Los Angeles als Sohn eines Neurologen und einer Lehrerin geboren. Mit 18 Jahren verließ er die Stadt, um an der Universität Santa Cruz Politik, Literatur und Geschichte zu studieren. 1979 wurde er Mitglied der Non-Profit-Organisation Center for Investigative Reporting. Bei seinen ersten Geschichten über Gifte und Emissionen ist ihm bewusst geworden, welchen enormen Einfluss der Mensch auf die Umwelt hat. Schapiro hatte sein Thema gefunden, die WochenzeitschriftThe Nation beauftragte ihn, eintransnationales Netzwerk für investigativen Umweltjournalismus zu etablieren.

Anfang der 80er Jahre war Mark Schapiro dafür in Deutschland unterwegs und berichetete unter anderem über die Entstehung der grünen-Partei. Er ging dann für drei Jahre nach Paris, zog weiter nach Prag und schrieb Reportagen aus Holland, Polen, Tschechien, Großbritannien oder Spanien. Als US-Amerikaner beeindruckte ihn besonders der hohe Stellenwert des öffentlichen Nahverkehrs in Europa. Schapiro, der in Afrika das Network of Centers for Investigative Reporting berät und auch in ganz Lateinamerika sehr präsent ist, publiziert in zahlreichen angesehenen US-amerikanischen Medien. Für seine Reportagen wurde er mehrfach preisgekrönt, er ist Buchautor und doziert außerdem seit 2012 an der Berkeley School of Journalism.

In seinem Buch Carbon Shock: A Tale of Risk and Calculus on the Front Lines of the Disrupted Global Economy (240 Seiten, erschienen bei Chelsea Green Publishing) beschäftigt sich Mark Schapiro vor allem mit den Kosten des Klimawandels weltweit.

Sie haben als Korrespondent die Entstehung der grünen-Partei begleitet. Wie war das?

Inspirierend. Ich konnte beobachten, wie eine Partei, die Umweltpolitik ganz oben auf ihre Agenda setzt, so viel Einfluss bekommen kann. Ich traf Petra Kelly ...

... eine Ikone der Bewegung …

… die eine beeindruckende Rednerin war. Doch für meinen Geschmack etwas zu sehr von sich selbst überzeugt.

In Deutschland haben sich die Grünen schnell in der politischen Szene etabliert.

Ja, der westeuropäische Parlamentarismus macht es möglich, dass auch kleinere Parteien ganz oben mitspielen können. In den USA ist die Macht durch das Zweiparteiensystem äußerst limitiert. Dass bei uns eine Drittpartei nationalen Einfluss wie die Grünen bekommt, halte ich für unwahrscheinlich.

Wie lassen sich politische Ideen auf den Alltag übertragen?

Europäer sind definitiv aufmerksamer. Ein Beispiel dafür sind Verpackungen. In Deutschland muss man für eine Plastiktüte meist zahlen, wenn auch nur ein wenig. In den USA bekommt man bei dem Kauf einer Dose Cola gleich zwei aufgeschwatzt. Selbst in den umweltfreundlicheren Geschäften muss man dazusagen, dass man keine Tüte haben möchte. Die Müllberge der Wegwerfgesellschaft sind katastrophal. Und es dauert ewig, solche Gewohnheiten zu ändern.

Woher kommt dieses mangelnde Umweltbewusstsein in den USA?

Das hat vor allem soziokulturelle Gründe. In Europa besteht ein festeres gesellschaftliches Gefüge als in den USA. Die Amerikaner sind ja sehr individualistisch. Und Europa ist viel älter und viel kleiner. Die Menschen hatten mehr Zeit, zu lernen und sich mit ihrem Kontinent auseinanderzusetzen. In den USA herrscht weitgehend immer noch das Denken, es gebe unendlich viele Ressourcen. Deswegen konsumieren die Menschen auch auf diese Weise und recyceln so gut wie nichts. Das muss sich ändern. Dafür brauchen die Leute aber ein ganz persönliches Initiationserlebnis.

Welches war es bei Ihnen?

Ich habe die Folgen des 2002 an der Nordwestküste Spaniens gesunkenen Öltankers Prestige gesehen. Da sind 64.000 Tonnen Schweröl ausgelaufen, die 2.900 Kilometer der französischen und spanischen Küste verschmutzt haben – eine der größten Umweltkatastrophen Europas. Ein halbes Jahr später bin ich für Recherchen hingereist. Als ich ankam, war am Strand immer noch alles voller Öl, das Freiwillige mit Löffel und Gabel von der Küste kratzten. Ich konnte diesen Anblick nicht vergessen. Ich habe einen der ölverschmierten Steine eingesteckt und nehme ihn seitdem immer mit auf Reisen. Er soll mich jeden Tag daran erinnern, was Umweltzerstörung tatsächlich bedeutet.

Der Stein sagt Ihnen auch, was Sie tun sollen?

Wirklich etwas verändert habe ich vor allem, als ich später eine Reise zum Amazonas unternommen habe. Als ich dort tief im Dschungel saß, realisierte ich auf einmal, wie wichtig Bäume sind. Ich habe sie wahrgenommen. Sie geben uns Sauerstoff, den wir zum Leben brauchen. Diese simple Erkenntnis hatte eine starke Wirkung. Zu Hause in Kalifornien fing ich dann an, auf meinen Papierkonsum zu achten, und seitdem benutze ich die Küchentücher immer mehrmals. Und ich drucke weniger aus.

Was machen Sie noch?

Ich habe mir, was den Stromverbrauch angeht, etwas von Europa abgeschaut. In vielen Büros in Frankreich, wo ich Ende der 80er gelebt und gearbeitet habe, ging sofort, als ich den Raum verließ, das Licht aus. In Deutschland habe ich beobachtet, wie Mitarbeiter die Stecker aus der Steckdose gezogen haben, sobald sie das Gerät nicht mehr benutzten. Darauf achte ich jetzt in den USA auch. Dort lassen die meisten das Licht und den Fernseher immer an.

Außer der Fliegerei haben Sie keine weiteren Umweltlaster?

Doch, doch. Auf mein Auto kann ich einfach nicht verzichten. Ich bin in Los Angeles groß geworden, da geht es nicht ohne, und das prägt. Außerdem fahre ich gern. In Hamburg sind mir die vielen Radfahrer aufgefallen. Das versuche ich jetzt auch.

Barack Obama hat gerade eine grüne Revolution ausgerufen. Eine Utopie?

Obwohl ich der Obama-Regierung immer sehr kritisch gegenüberstand, gibt mir dieser Ansatz Hoffnung. Denn Obama hat es damit geschafft, den absurden, von den Republikanern dominierten Kongress zu umgehen. Die sogenannte Klimarevolution ist im Grunde die allmähliche Anerkennung, dass nicht die Klimaziele die Wirtschaft unterspülen, sondern das Gegenteil der Fall ist.

Warum ist das US-Amerikanern so schwer zu vermitteln?

Weil bei uns die ökonomischen Ziele meist über den ökologischen stehen. Da ergeben sich Konflikte. Die Stahlgewerkschaft etwa ist in den USA eine der größten Industriegewerkschaften – und ein harter Gegner von erneuerbaren Energien wegen des potenziellen Verlusts von Arbeitsplätzen.

Eigentlich ein ungewöhnlicher Gegner des Umweltschutzes.

Ja, aber es gibt auch modernere Gewerkschaften. Die fangen damit an, ihren Mitgliedern die Umschulung auf erneuerbare Energien zu ermöglichen: blue-green alliance nennen sie das, nach blue-collar, dem Arbeiter im Blaumann. Sie haben erkannt, dass Nachhaltigkeit nützlicher ist. Die Mitglieder bekommen neue Arbeitsplätze, entwickeln ein anderes Umweltbewusstsein, das wiederum zu sinnvollerem Konsumverhalten führen kann.

Können Europäer auch etwas von Amerikanern lernen?

Na ja. Es gibt bei uns zwar immer mehr Geschäfte, in denen sich die Kunden ihre Produkte selbst abfüllen können, Nüsse, Reis oder Nudeln. Man spart die Verpackung. Allerdings glaube ich nicht, dass die Leute das aus Umweltbewusstsein machen. Sondern weil sie Spaß daran haben. Auch bei den persönlichen wiederverwendbaren Coffee-to-go-Bechern geht es mehr um Style als um Haltung.

Aber es ergibt Sinn.

Ja. Ich hab meinen Hamburger Medienfreunden auch einen Kaffeebecher mitgebracht, einen in Form einer Kameralinse.

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