In den Gängen bleiben

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Seit diesem Sommer sorgt der Streit um das Hamburger Gängeviertel für Aufmerksamkeit. Künstler kämpfen dort für den Erhalt des Viertels und werden von der Stadt geduldet. Aber bisher ist es der Stadt nicht gelungen, die Gebäude vom Investor zurückzukaufen. Die Stimmung bleibt angespannt.

In der Hamburger Innenstadt wuchern vielgeschossige Bürogebäude aus Glas und Stahl. Daneben stehen meterhohe Kräne für die nächsten Einheitshäuser bereit. Mitten in der Schlucht dieser Gebäuderiesen, an der Ecke Caffermacherreihe und Valentinskamp, liegt das Gängeviertel - der letzte Rest des Arbeiterviertels aus dem 19. Jahrhundert. Vom Hafenrand über den Großneumarkt bis hin zum Gänsemarkt boten die engbebauten Wohnquartiere damals Zuflucht für die sozial Schwächsten der Stadt. Heute stehen hier nur noch zwölf kleine Häuser aus rotem Backstein. Ihr Zustand: Dringend sanierungsbedürftig. Die Kosten dafür enorm hoch. Die wollte die Stadt bislang nicht selbst übernehmen und vergab das Grundstück an die meistbietenden Investoren. Doch auch sie konnten die Raten nicht zahlen. Und so musste Hamburg 2006 einen neuen Investor finden - die niederländische Hanzevast-Gruppe. Auch die lies sich mit ihrer Ratenzahlung Zeit. Die Konsequenz: Die Häuser standen siebe Jahre lang leer und rotteten vor sich hin.

Bespielung statt Besetzung

Doch diesen Sommer, am 22.August 2009 änderte sich das: 200 Künstler zogen in das Gängeviertel ein und mit ihnen das Leben. In einem der Häuser sind nun die „Butze“ und die„VoKü“ (Volksküche) untergebracht. Hier gibt es zweimal täglich Essen. Abwaschen muss jeder selbst. Dafür steht in der „VoKü“ ein großer, mit Wasser gefüllter, Plastikbehälter bereit. In der „Butze“ kann man es sich dann gemütlich machen. Neben ihr steht eins der vier großen, rot bemalten Holzräder mit der Aufschrift„Komm in die Gänge“. Der Name der Initiative, die sich in einem offenen Brief an den Hamburger Senat wandte und ihn aufforderte „das historische Viertel in seiner gegenwärtigen Substanz zu erhalten“ und „Verantwortung für die kulturelle und soziale Vielfalt der Stadt“ zu übernehmen. Der parteilosen Kultursenatorin Karin von Welck ist es seit Beginn der Aktion wichtig, „das Anliegen ernst zu nehmen und eine gemeinsame Lösung zu finden“. Im September einigten sich Stadt und Kreative daher auf eine Teilnutzung. Seitdem gibt es im Erdgeschoss der verfallenden Arbeiterwohnungen Siebdruckillustrationen, Instrumentenparkours und Videoinstallationen (siehe Video). Neben den regelmäßigen Ausstellungen finden auch Konzerte und andere Veranstaltungen statt, die nach Angaben der Initiative bislang 15.000 Besucher angezogen haben. Die Initiative spricht daher von Bespielung des Raums. Bewohnt sind die Räume bislang nicht.


Kleinster gemeinsamer Nenner: Machen

Kunst ist hier überall: Auch die Außenfassaden der Häuser sind mit Streetart übersäht. Vom kleinen Tag, über Stencils bis hin zu flächendeckenden Graffitis und Bildern. Auf dem Boden stehen vereinzelt kleine rote Teelichter: Die Überreste von der Lichterkette im Oktober, die hunderte Sympathisanten anzog, um für den Erhalt des Gängeviertels zu demonstrieren. Zuspruch erhält die Initiative nicht nur von Kulturschaffenden, sondern auch von weiten Teilen der Politik und Medien aus allen Lagern- von Bild bis taz und von Linke bis CDU. An einigen Häusern ist ein Lageplan angebracht. Zwei Häuser sind darauf mit einem kleinen Totenkreuz und -datum versehen: Die „Druckerei“ und die „Tischlerei“. Sie sind für die Künstler vorerst gestorben. Nachdem der Investor im Oktober Räumungen angekündigt hatte, gaben die Aktivisten freiwillig zwei Häuser auf, um in den Verhandlungen weiter voranzukommen. „Als Ersatz hat uns die Stadt die Habitatgalerie gegeben“, sagt der Videokünstler Sebastian Kubersky. Er ist Teil des Künstlerkollektivs "niedervoltuodini" – „unser kleinster gemeinsamer Nenner: machen“, erklärt Kubersky. Derzeit stellt er in der Habitatgalerie aus und ist von den Aktionen im Gängeviertel begeistert. „Es ist ein tolles Gefühl, das viel Energie frei setzt. Aber ich bin froh, dass nur die Wenigsten dies in ihrer Kunst verarbeitet haben, denn das wäre zu banal“, sagt der Videokünstler. Bei der Namensgebung der Ausstellung hat er das Gängeviertel allerdings miteinbezogen. Der Titel „Keiner hält was er verspricht“ spiegle wieder, was derzeit im Gängeviertel passiert. „Mit dem Investor und der Stadt zu verhandeln, ist ein natürlicher Prozess, aber es läuft nicht alles so, wie man es versprochen bekommen hat“, sagt Kubersky.

„Hört auf mit dem Scheiß“

Ende Oktober legten daher Künstler, wie Ted Gaier und Rocko Schamoni mit dem Manifest "Not In Our Name Marke Hamburg"noch einmal nach: „Hört auf mit dem Scheiß. Wir lassen uns nicht für blöd verkaufen“. Das zweieinhalbseitige Manifest wurde von 500 Hamburgern unterschrieben und in einer gefälschten Ausgabe der Stadt Marketing-Broschüre „Hamburg“, mit der Titelzeile "Unter Geiern. Wie Hamburgs Politiker die Stadt verkaufen" abgedruckt. Beides kritisierte das Hamburger Marketing-Konzept, bei dem „Kultur zum Ornament einer Art Turbo-Gentrifizierung werden soll“, in einer Stadt, in der es "zunehmend schwer ist, halbwegs bezahlbare Ateliers, Studio- und Proberäume zu finden".

Auch Kubersky kennt dieses Problem. „Gearbeitet haben wir im Gängeviertel noch nicht, aber bald, hoffe ich“, sagt er und denkt dabei an das Nutzungskonzept, das die Initiative „Komm in die Gänge“ bereits im August veröffentlicht hat. Das sieht vor die Gebäude im Gängeviertel zu 70 Prozent zu erhalten und eine Durchmischung aus Gewerbe, Gastronomie, Ateliers und Wohnungen zu schaffen.


Es bleibt spannend

Der Investor fordert allerdings eine sofortige Räumung. "Wir haben kein Interesse mehr daran, den rechtswidrigen Zustand zu dulden", sagte Thomas Meyer, Rechtsanwalt der Hanzevast-Gruppe. Denn diese befürchtet, die Künstler könnten das Gängeviertel bald auch bewohnen, wodurch eine Räumung noch schwerer werden würde.

Anfang November rief die Initiative daher unter dem Motto „Wir bleiben alle gerne!“ erneut zu einer Demonstration auf: 300 Menschen kamen in die Hamburger Innenstadt. Daraufhin gab die Stadt bekannt, das Gängeviertel vom Investor zurückzukaufen und die Künstler in die Planung mit einzubeziehen. „Um unseren Nutzungsplan zu verwirklichen, wollen wir viel in Eigenleistung realisieren, wir sind aber auch in Gesprächen mit Partnern“, sagt Marion Walter, Sprecherin der Initiative. Ende November, 25.11.2009, entschied allerdings das Oberlandesgericht, dass die Stadt, solange der Vertrag mit Hanzevast besteht, keinen Nutzungsvertrag mit Dritten über die verkauften Grundstücke abschließen darf. Nichtsdestotrotz werden die Künstler offiziell in den Gängen geduldet. Währenddessen laufen die Verhandlungen übern den Rückkauf durch die Stadt weiter. Doch selbst wenn dieser gelingen sollte, bleibt unklar, ob die Initiative einen Sponsor bekommt, die Stadt einen neuen Investor sucht oder die Wohnungsbaugesellschaft Saga die Sanierung übernimmt.

Zwar “haben die Künstler Fragen aufgeworfen, die sehr viele Menschen beschäftigen und Stadtentwicklungspolitik ist ein Thema geworden“, sagt Marion Walter, „aber was daraus wird, bleibt abzuwarten“. In diesem Sinne hält das Gängeviertel seine über 6000 Fans auf Facebook auf dem Laufendem mit: „Es bleibt spannend!“.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Katharina Finke

global correspondent

Katharina Finke

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