Mal die Perspektive wechseln

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion


Ich sehe was, was Du nicht siehst und das macht nichts. Heute Abend konnte man sich am Thalia Theater in Hamburg einlassen auf das Spiel der verschiedenen Sichtweisen, Kulturen und Sprachen. Lessing hätte es gefallen.

„Hast du Bock auf Multikulti?“, dröhnt es, unterlegt mit schnellen Beats, aus den Lautsprechern auf der Bühne. „Dann komm zu uns nach Altona“. Dort befinden wir uns auch in der Gaußstraße, der Spielstätte des Thalia Theaters in Hamburg Altona. Doch die Zeilen meinen eigentlich den Fußballclub „Teutonia 05“, für den Integration an erster Stelle steht und für den Lessing daher auch in ihrem Clubsong wiederzufinden ist. Dem Publikum gefällt’s und es klatscht enthusiastisch mit im Takt.

Was, wer oder wozu aber eigentlich Lessing? Darauf geben jetzt bei Mein Stück Lessing zwölf Acts aus Norddeutschland Ihre Antwort. Das ist doch eigentlich auch das Schöne an Literatur, bildender Kunst und Theater: Es ist alles eine Angelegenheit der Perspektive. Diese Erfahrung konnte ich heute Abend mal wieder machen.

Der Herr neben mir scheint sich gar nicht entscheiden zu können, was er am besten findet, da er jedes Detail des Abends konzentriert verfolgt und die gesamte Veranstaltung mit Smartphone dokumentiert. Ständig schießt er Bilder, applaudiert eifrig und ruft „Bravo“. Das fällt heute Abend aber nicht so stark auf, denn die Begeisterung im Publikum ist groß. Allerdings weiß man nicht so recht, ob es daran liegt, dass die eigenen Schüler oder Kinder mitspielen oder die andere Art Theater zu machen die Menschen mitreißt. In der Pause verrät mir der Herr mit Smartphone dann, dass ihm die Schülergruppe vom Gymnasium Dörpsweg besonders gut gefallen hat. „Das war einfach so nah dran. So echt“, sagt er. Die Gymnasiasten hatten zwei Alltagssituationen in Bus und U-Bahn nachgespielt, in denen Ausländer klar benachteiligt wurden. Am Ende kam der erhobene Zeigefinger: die Ausländer werden auf der Gruppenfahrkarte mitgenommen und es wird zu mehr Toleranz aufgerufen. Für mich ein wenig zu klischeehaft. Aber, wie gesagt, alles eine Frage der Perspektive.

Die zahlreichen Schultheatergruppen, die oftmals die Ringparabel interpretieren, bezeichnet mein Sitznachbar als „intellektuell verdröhnt“. Besonders kreativ finde ich das auch nicht. Mir hat es der Fußballverein von ganz am Anfang angetan, dessen Song ich noch jetzt im Ohr habe: „Teutonia das ist unser Club und Schwarz-Weiß unser Look“. Die Jungs aus der D-Jugend klatschten und sangen dazu. Dann kamen vier schon ältere Kicker auf die Bühne: die Band „Enormverdadles“ und die rappen weiter: „Thalia Toleranz“. An dieser Perfomance merkte man, dass die Jungs sich nicht nur für Integration einsetzen, sondern sie auch leben - „Musik.Fußball.Leben.“

Multikulturell und vor allem auch multiperspektiv geht es weiter am Abend: Zwei Schauspieler, zwei Sprachen, zwei Sichtweisen und dazu etwas Hamlet. Um genau zu sein 7 Prozent. Denn 7% Hamlet, ein Gastspiel vom Deutschen Theater Berlin, lässt den ivorischen Tänzer und Choreographen Franck Edmond Yao und den deutschen Schauspieler Bernd Moss aufeinander los. Dabei entsteht ein Spiel aus Nähe und Distanz, Schauspiel und Bewegung, Sprache und Stille. Yao und Moss erzählen sich ihre Erfahrungen. Die verbale Sprache ist dabei nur für die Zuschauer gedacht. Yao spricht Französisch, Moss übersetzt, obwohl er selbst sagt, eigentlich gar nicht gut Französisch zu können. Die beiden verständigen sich vor allem durch ihre Mimik und die ausdruckstarken Bewegungen, die ihre Worte unterstreichen.

Die Themen reichen von Frauen, über Magie bis hin zum Bürgerkrieg an der Elfenbeinküste. Durch die Schilderungen beider erkennt man die unterschiedlichen kulturellen Dimensionen. So kann sich Moss zum Beispiel nicht entscheiden, ob er an etwas glaubt oder nicht, was für Yao keine Frage ist, weil er ganz klar an etwas glaubt. So hat für Moss sein Heimatdorf keinerlei Bedeutung und er empfindet es eher als abscheulich, wohingegen Yao sich absolut mit seinem Dorf identifiziert „Mon village, c’est moi!“. Dazwischen immer wieder Hamlet. Manchmal subtil, wie bei dem Mückenstich, über den sich beide unterhalten. Der soll die Seuche und Bedrohung, die in Hamlets Augen von Dänemark ausgeht symbolisieren. Und manchmal auch direkt mit Passagen wie „ être o ne pas être“ (Sein oder nicht sein).

Das wirklich spannende an der Performance ist jedoch nicht Hamlet, sondern die Menschen, die vor einem stehen. Das Spiel, das sie untereinander, miteinander und mit dem Publikum spielen. Was ist echt und was nicht? Was ist gewiss, was ungewiss? Und: Ist das überhaupt wichtig? Es tut so gut den Horizont zu erweitern und alles auf der Welt mal durch andere Augen zu sehen. Doch auch anstrengend. Deswegen Schluss für heute.

Dieser Blogeintrag ist Teil des Lessintageblogs, der das Theaterfestival "Um alles in der Welt - Lessingtage 2010" (24.01. - 07.02.2010) des Hamburger Thalia Theaters ständig kritisch begleitet . Immer aktuell und mitten aus dem Geschehen – Lessing 2.0.



Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Katharina Finke

global correspondent

Katharina Finke

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden