Türkisch für Fortgeschrittene

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Nachdem das Schweizer Minaretten-Verbot für Aufregung gesorgt hat, macht man sich auch hierzulande Sorgen um Islamophobie. Denn auch in Deutschland ist Migration ein Thema mit vielen offenen Fragen. Immer mehr Migranten versuchen sich daher selbst zu helfen und gründen ihre eigenen Institutionen.

Quietschende Turnschuhe, fröhliches Kreischen und ein immer wieder ertönendes dumpfes „Ping-Pong“ von der Tischtennisplatte. So hört es sich an, wenn die fünfte Klasse am Alsterring-Gymnasium in Hamburg Pause hat. Es ist die einzige Klasse an der Schule derzeit. Das hindert die Schüler jedoch nicht daran sich auszutoben. „Die Pause ist zu Ende!“, ruft die Lehrerin Gülümser Aytekin. Mit etwas Widerwillen gehen die Schüler in ihr Klassenzimmer zurück. Dort setzen sie sich sehr diszipliniert auf ihre Plätze. Heute Nachmittag steht Türkisch auf dem Stundenplan.

So selbstverständlich ist das in deutschen Klassenzimmern bisher nicht. „Mehr Türkischunterricht an deutschen Schulen“ forderte 2008 der hessische Grünen-Chef Cem Özdemir und jüngst auch von der Integrationsbeauftragten des Bundestages Maria Böhmer (CDU). Genau das, nämlich Türkisch als weitere Fremdsprache wird am Alsterring-Gymnasium angeboten. Als erstes Privatgymnasium mit türkischen Trägerverein, dem Alsterbildungsring, öffnete es im September 2008 in Hamburg seine Pforten. Das Gymnasium gibt exemplarisch Antworten auf die Debatten in der bundesweiten, aber insbesondere Hamburger Schulpolitik. Nicht zuletzt wegen der PISA-Studie wird versucht ihre größten Defizite zu benennen. Woher kommen die Leistungsunterschiede? Welche Rolle spielt Migration in diesem Zusammenhang? Warum werden immer mehr Privatschulen gegründet und kann „Eine Schule für alle“ diese Probleme lösen?

Sehr ruhig ist es im Klassenzimmer in Barmbek-Süd. Die Klasse von Gülümser Aytekin zählt nur 19 Schüler. „An öffentlichen Schulen gibt es zu große Klassen und keine intensive Betreuung, deshalb kümmern wir uns intensiv um die Kinder“, so GülümserAytekin. Auch Horst-Helmut Koeller, Vorstandsvorsitzender von dem deutsch-türkischen Bildungsverein „Tüdesb“ in Berlin, hat die „stark reformbedürftige“ Lage öffentlicher Schulen erkannt. Zu große Klassen, zu wenig individuelle Förderung und schlecht ausgestatte Schulen beklagen Lehrer, Eltern und Politiker gleichermaßen. Außerdem habe Hamburg die ältesten Lehrer Deutschlands, so Klaus Bullan Vorstandsvorsitzender von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Hamburg. Jeder zweite Lehrer sei über 55 Jahre alt.

„Um den Kindern jedoch eine bessere schulische Ausbildung bieten zu können, ist vor drei Jahren die Idee für das Alsterring-Gymnasium entstanden“, erzählt Suat Aytekin, Vereinsvorsitzender vom Alsterbildungsring.Letztes Jahr erhielt das Alsterring-Gymnasium die staatliche Genehmigung als deutsche Privatschule. Die Privatschulen sehen ihren Vorteil darin, dass sich Konzepte besser durchsetzen lassen und Schüler individueller gefördert werden können.

Das Alsterring-Gymnasium ist nur eine von 86 Privatschulen in Hamburg. „Derzeit besuchen knapp 10 Prozent der Hamburger Privatschulen, Tendenz steigend“, so Thies Raabe, Schulpolitischer Sprecher der Hamburger SPD. Doch wie einfach ist es eine Privatschule zu gründen? Nach dem Hamburgischen Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft (HmbSfTG), kann grundsätzlich jeder eine Ersatz- oder Ergänzungsschule gründen. „Es gibt aber eine ganze Reihe von Anforderungen, die erfüllt werden müssen, damit ein Schulangebot mit dem Standard der staatlichen Schulen gewährleistet ist. Wichtig ist das besondere pädagogische Interesse der Schule für Hamburg “, betont Bildungssenatorin Christa Goetsch.

Die Kinder am Alsterring-Gymnasium stammen aus allen sozialen Schichten. Aber eins haben sie gemeinsam: den Migrationshintergrund. Jeder von ihnen stammt aus der Türkei. Daher stand die Schule schon oft in der Kritik. Auch jetzt sehen Lehrer, wie Ulrich Mumm vom Altonaer Gymnasium Allee oder auch Manfred Hoepner von der Norderstedter Realschule eine Gefahr, falls keine Durchmischung stattfindet. Doch das Alsterring-Gymnasium selbst wünscht sich nichts sehnlicher als sich als „Mulitikulti-Gymnasium“ zu etablieren. „Wir müssen nur genug Werbung machen“, sagt Suat Aytekin vom Alsterbildungsring nachdrücklich.

Nach der Veröffentlichung der letzten PISA-Studie nannte Bildungssenatorin Christa Goetsch den Migrationshintergrund als Hauptursache für Leistungsunterschiede an Hamburger Schulen. Allerdings ist sie nun zurückgerudert und hat betont, wie stark der soziale Hintergrund eines Kindes die Bildungschancen bestimmt. Auch Hamburger Lehrer glauben nicht, dass Leistungsunterschiede auf dem Migrationshintergrund beruhen, sondern viel mehr ein soziales Problem sind. Manchmal seien Schüler mit Migrationshintergrund sogar leistungsstärker. Manchmal auch nicht. „Um die Benachteiligung von Kindern mit Migration, insbesondere im Sprachenbereich zu verbessern, sollen sie mehr individuelle Förderung erhalten“, erklärt Christa Goetsch.

Der Türkischunterricht ist nun beendet. Die Kinder gehen in die Mittagspause, in der sie „überwiegend Deutsch sprechen“, so die Lehrerin Gülümser Aytekin. Danach geht es mit Neigungskursen, wie Hamburger Stadtgeschichte und Darstellendem Spiel weiter.Im Anschluss haben die Kinder Zeit, um Hausaufgaben zu machen. „Außerdem ist die Förderung der Lesekompetenz sehr wichtig“, erklärt Gülümser Aytekin. Den Schülern gefällt es hier, weil die Lehrer freundlich und direkt auf sie zugehen und sie alle Aufgaben in der Schule erledigen können. „Auch die Eltern sind sehr zufrieden“, so Suat Aytekin vom Altserbildungsring. Insbesondere die intensive Elternarbeit, bei der Hausbesuche und Schulprojekte organisiert werden, werde sehr geschätzt.

Damit geht das Alsterring-Gymnasium mit gutem Beispiel voran. Doch sind Privatschulen eine Lösung? Wie sieht es mit Neuerungen an öffentlichen Schulen aus? Was muss hier geschehen?

Immer mehr Privatschulen entstehen derzeit in Hamburg. Es gibt Befürchtungen, dass öffentliche Schulen zu „Restschulen“ verkommen, an denen sich die Probleme häufen.Das könnte zu einer gesellschaftlichen Spaltung führen. Gerecht ist das nicht, denn Privatschulen kann sich, selbst bei einem auf maximal 200 Euro pro Monat festgelegten Schulgeld, nicht jeder leisten. Lehrer, Gewerkschaften und Politiker fordern daherdie vorhandene positive Energie mehr in die öffentlichen Schulen zu investieren statt in private Konzepte. Allerdings dienen diese auch zur Inspiration. Hier sind sich Bildungssenatorin Christa Goetsch und SPD-Bildungssprecher Thies Raabe einig.

Vieles soll in der Hamburger Schulreform umgesetzt werden. Obwohl das Konzept von „Eine Schule für alle“ gescheitert ist, nähert man sich strukturell der Gemeinschaftsschule an. Denn seit 2008 werden ab der siebten Klasse keine neuen Hauptschulklassen mehr eingerichtet. Daneben unterstützt Christa Goetsch Cem Özdemirs Forderung und bekräftigt: „Kinder aus türkischen Familien sollten die große Chance haben, sowohl ihre Muttersprache als auch Deutsch in der Schule richtig zu lernen, statt in beiden Sprachen unsicher zu sein“. Ganz oben auf der Liste der Schulreform stehen jedoch die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund und die intensivere Förderung an Schulen in sozialen Brennpunkten. „Dort stellen wir zusätzliche Erzieher ein, schaffen mehr Lehrerstunden für Sprachförderung, “ verspricht Bildungssenatorin Goetsch.

Demgegenüber steht jedoch die Tatsache, dass Deutschland vergleichsweise wenig in Bildung investiert. Lediglich 5,1 Prozent des Bruttoinlandproduktes flossen 2005 dem Bildungssektor zu. Deutschland liegt damit sogar unter dem OECD-Durchschnitt von 5,8 Prozent. Es bleibt also weiterhin fraglich, ob die offensichtlich schlechtfinanzierte Schulreform ihren Ansprüchen gerecht werden kann oder immer mehr Eltern versuchen werden, das Glück ihrer Kinder in Privatschulen, wie dem Alsterring-Gymnasium, zu finden.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Katharina Finke

global correspondent

Katharina Finke

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