Kinder sind in der Lage, sich vorzustellen, dass jetzt, in diesem Moment, ihre kleine Welt untergeht. Ihr Gebrüll im Sandkasten angesichts eines Backförmchen klauenden Konkurrenten erreicht in solchen Momenten infernalische Qualität. Da fällt man gern drauf rein. Politiker (mehr -er als -erinnen) sind oft Menschen, die sich diese Fähigkeit bewahrt haben. Und unsere Reflexe ähneln dann denen der Eltern am Rande des Spielplatzes, darauf hoffend, dass die Kleinen ihre Konflikte irgendwie selbst regeln.
Die SPD, namentlich deren Co-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans, hat einen kleinen, aber vernünftigen Vorschlag unterbreitet, der mit dem Wortungetüm „Bodenwertzuwachssteuer“ beschrieben ist. Mit ihr wäre intendiert, den leistungslosen Wertzuwachs von Grund und Boden (zum Beispiel, wenn sich eine alte Brache plötzlich zum Filetstück mausert) ein wenig abzuschöpfen. Die Einnahmen sollen an die Kommunen gehen. Die wiederum könnten sie dann für den Bau von bezahlbaren Wohnungen verwenden. Zu zahlen hätten die Steuer jene, die ein Grundstück verkaufen, dessen Wert ohne eigenes Zutun massiv gesteigert wurde.
Es wäre falsch, diejenigen, die das tun, Spekulanten zu nennen. Aber sagen wir mal so: Von den 0,001 Prozent der Bevölkerung, die von der vorgeschlagenen Steuer, die einmalig zu entrichten ist, betroffen wären, könnte der eine oder die andere genau auf diesen Wertzuwachs spekuliert haben. Das ist im Kapitalismus nicht verwerflich, sondern entspricht seinem Wesen und Sein.
Die CDU hat die Steuer sofort als „Investitionshemmnis“ bebrüllt und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf ihr infernalisches Protestgeheule. So muss sie uns auch gar nicht erst erklären, warum es denn in all den Jahrzehnten ohne diese Steuer nicht zu ausreichenden Investitionen gekommen ist. Unionsfraktionsvize Ulrich Lange sagt, die Steuer werde Neubau unattraktiv machen. Komme sie, würden die Mieten steigen. Vielleicht, weil er es selbst so handhabte – Kosten auf die abzuwälzen, die es sich zwar nicht leisten können, aber auch keine Wahl haben.
Die FDP, deren Backförmchen immer größer und schöner ist als das der anderen, schreit, nun würden Grundstückseigentümer pauschal als Spekulanten diffamiert und mit einer Steuer bedroht. Steuern, Bedrohung, Diffamierung – dieser Dreiklang wiederum sagt einiges über die Denkhaltung der Freien Demokraten und nichts über den vernünftigen Kern des SPD-Vorschlags. Sie alle verschweigen, dass die Bodenwertzuwachssteuer tatsächlich nur jene Eigentümerinnen und -er beträfe, die verkaufen.
Die SPD hat sich auf einen Vorschlag besonnen, den sie bereits in den 1970er Jahren unterbreitet hatte. Und mit der 2019 beschlossenen Neuregelung der Grundsteuer C, die 2025 in Kraft tritt – ein erhöhter Hebesatz der Kommunen auf baureife Grundstücke als Druckmittel für den Neubau –, hat Olaf Scholz diesen Vorschlag zum Teil umgesetzt. Für die SPD gilt sowieso, dass ein Blick in die alten Papiere guttäte, weil er zum Vorschein brächte, was sie mal war und vielleicht wieder sein könnte. Eine Partei, die sich um sozialen Ausgleich und Umverteilung in die richtige Richtung bemüht. Die Abschöpfung planungsbedingter Wertzuwächse, für die man keinen Finger gerührt hat, wäre ein winziger, aber schöner Schritt. Bislang sind alle parlamentarischen Vorstöße in diese Richtung gescheitert. Die Große Koalition ist ein Garant dafür, dass es so bleibt. Was folgt daraus?
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Vogels Vermächtnis
Der frühere Bürgermeister (München/Berlin) und Justizminister hat dieses Buch verfasst und sich dabei auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezogen: Danach ist Boden keine Ware, die sich beliebig vermehren ließe. Und bedürfe daher für die lebenswichtigen Interessen der Menschen (Wohnen) eines besonderen staatlichen Schutzes.
https://www.perlentaucher.de/buch/hans-jochen-vogel/mehr-gerechtigkeit.html
Zitat:
Zu welchen ....
..... Ungerechtigkeiten die leistungslosen Gewinne aus dem Bodenbesitz führen: Um sage und schreibe 39.900 Prozent seien die Bodenpreise in München seit 1962 gestiegen, Gewinne aus Immobilienverkäufe müssen nach einer Frist von zehn Jahren nicht versteuert werden, achtzig Prozent der Neubaukosten fallen auf den Kauf von Grund und Boden. Kastner kann nicht glauben, wie wenig Mitstreiter Vogel in seinem jahrzehntelangen Kampf um eine andere Ordnung der Bodenfrage gefunden hat. Er findet Vogels Schrift so dringlich wie schlagend.
Dazu ein betagter Spiegel-Bericht
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42920344.html
Ein halber Jahrhundert später nun dies
https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtpolitik/M-nchner-Zukunftsdialog/Brauchen-wir-ein-neues-soziales-Bodenrecht-.html
Zitat aus Entscheidung des BVerfG:
„Die Tatsache, daß der Grund und Boden unvermehrbar und entbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern. Der Grund und Boden ist weder volkswirtschaftlich noch in seiner sozialen Bedeutung mit anderen Vermögenswerten ohne weiteres gleichzustellen; er kann im Rechtsverkehr nicht wie eine mobile Ware behandelt werden.“
BVerfGE 21, 73 (74) Beschluß des Ersten Senats vom 12. Januar 1967 – 1 BvR 169/63 – Randziffer 23
Die Frage am Ende, was daraus folge, kann man insoweit beantworten:
Wer ernst machen will mit den zentralen Menschheitsrechten auf angemessenes Wohnen (Heimat--> Heimatministerium) muss Vogels Vermächtnis umsetzen - oder gehen (Seehofer) bzw. aus der Ohnmacht der GroKo konsequenterweise aussteigen (auch wenn man sagt, wegen der am 1. Juli beginnenden EU-Rats-Führung Deutschlands benötige man die altgediente Kanzlerin, jedenfalls solange, bis dort für die notwendigen Veränderungsprozesse die richtigen Weichen gestellt ein würden).
Aber Letzteres scheinen nur vorgeschobene Gründe: Die besitzende Oligarchie wehrt sich gegen jede Veränderung.
https://www.sueddeutsche.de/kultur/bodenreform-hans-jochen-vogel-mehr-gerechtigkeit-rezension-1.4685469
Subtantieller Beitrag zum Thema, insbesondere wird die ALTE SPD ins helle Licht gerückt
https://www.demo-online.de/blog/bodenrechtsreform-verdraengte-herausforderung
Wohin sollen denn die Superreichen mit ihrem vielen Geld? Das Kapital sucht stets nach Anlagemöglichkeiten. Die Null-Zinspolitik der europäischen Zentralbank begünstigt die zunehmende Investition in Grund und Boden. Die im Geld Schwimmenden sammeln Kapital ein, gründen Fonds und kaufen in großem Stil Land. Nicht um Sozialwohnungen zu errichten, sondern um Appartments und Eigentumswohnungen für die Besserverdienden, die beispielsweise in Frankfurt im gewichteten Mittel 8.100 Euro pro Quadratmeter kosten. Mit anderen Worten: Eine Eigentumswohnung von 100 Quadratmetern kostet 810.000 Euro. Mit Nebenkosten, wie Steuern, Eintrag ins Grundbuch, Maklergebühren, kommt man da auf 900.000 Euro. Soll sich das eingesetzte Kapital mit drei Prozent verzinsen, beträgt die Jahresmiete ohne Nebenkosten 27.000 Euro bzw. 2.250 Euro pro Monat.
Wer in diesen Dimensionen investiert, um Wohnungen zu bauen, könnte über eine erhöhte Bodenwertsteuer hinwegsehen, weil sie prozentual betrachtet nicht dieses Gewicht im teueren Wohnsegment bekommt. In Singapur, einem hochkapitalistischen Staat, gibt es deshalb überhaupt keinen privaten Grundbesitz.