Demokratie will gepflegt werden

Corona Hier wird geschlafen, da wird gehetzt. Kathrin Gerlof schüttelt den Kopf über den politischen Umgang mit der Pandemie
Ausgabe 46/2020
Ein Mitarbeiter des Bundestages desinfiziert das Rednerpult im Plenarsaal
Ein Mitarbeiter des Bundestages desinfiziert das Rednerpult im Plenarsaal

Foto: IPON/Imago Images

Wie überraschend! Die von vernünftigen Menschen prognostizierte zweite Welle der Pandemie ist tatsächlich angerollt gekommen. Da muss es also wieder schnell gehen mit der demokratischen Legitimierung politischer Eindämmungsmaßnahmen. Im Eilverfahren soll das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ noch im November beschlossen werden.

Eilverfahren scheinen als Symptom zu Corona zu gehören. Im Mai dieses Jahres wurde das zweite Pandemiegesetz durchgepeitscht, der Gesundheitsminister erhielt weitreichende Befugnisse, die jetzt noch einmal größer werden. Zuvor hatte der Bundestag nach dem Infektionsschutzgesetz eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt und ermächtigte so das Bundesministerium für Gesundheit, ohne Zustimmung des Parlaments Maßnahmen zu ergreifen.

Fein, ließe sich sagen, dass diese nun noch weiterreichenden Befugnisse einem so vernünftigen Minister wie dem Jens Spahn von der CDU in die Hände gegeben werden. Der wird das schon mit Augenmaß machen. Was der weit verbreiteten Auffassung gleichkommt, das mit den zunehmenden Überwachungsmöglichkeiten auch durch Organe der Exekutive sei gar nicht so schlimm, wenn man nichts zu verbergen habe. Eine Form blinden Vertrauens, die fahrlässig und zugleich eine Geringschätzung der Demokratie ist. Für deren Erhalt und Pflege oft zähe, mühevolle, zeitraubende und nervtötende Abläufe notwendig sind. Auch jetzt, da uns eine Pandemie zu diktieren scheint, dass wir diese Zeit nicht haben.

Als das zweite Pandemiegesetz in Kraft trat, kritisierte die Opposition, die Regierung verschaffe sich am Parlament vorbei Befugnisse und handle somit verfassungsrechtlich bedenklich. Von jenem Teil der Opposition, dem wir nicht unterstellen müssen, dass er sein eigenes, rechtsnationales Süppchen kocht, hieß es, dass außergewöhnliche Situationen nicht nur die Stunde der Exekutive, sondern auch die Stunde des Parlaments zu sein haben.

War aber nicht so. Die Koalition wand sich damit heraus, es handle sich erstens um eine Lage, in der schnell gehandelt werden müsse, und die Ermächtigungen seien zweitens auf ein Jahr begrenzt.

In einem Jahr lässt sich viel anstellen. Meint aber nicht gleich, nur Schlimmes. Die Zeit könnte genutzt werden, um die lange dringend notwendige Reform des Infektionsschutzgesetzes zu diskutieren. Ganz in Ruhe. Und zwar dort, wo eine solche Debatte geführt werden sollte. In den Parlamenten und deren Ausschüssen. Und von jenen bestimmt, denen die Demokratie wirklich am Herzen liegt. Das ist nun mal nicht die AfD. Davon war in den vergangenen Monaten jedoch nicht viel zu hören. Aber war ja Sommerpause. Auch noch.

Es ist bedauerlich und bedrückend, dass die außerparlamentarische Opposition, die sich gegenwärtig auf der Agora lautstark zu Wort meldet, von jenen dominiert scheint, denen die Demokratie nun wahrlich am Arsch vorbei geht. Sie füllen auch all jene Räume, die der Parlamentarismus gegenwärtig nicht besetzt. Man könnte sich 1968 herbeiwünschen, als Linke gegen Notstandsgesetze demonstrierten. Die dann trotz der Proteste beschlossen wurden. Aber immerhin ging dem eine fast zwanzig Jahre währende parlamentarische und außerparlamentarische Debatte voraus. Und die APO hat sich nicht kapern lassen.

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