„The Dead Don’t Die“, heißt der neue Film von Jim Jarmusch. Ein B-Movie mit einem Haufen A-List-Darstellern und lauter Megawitzen, schreiben die Kritikerinnen. Klingt fast nach einer Beschreibung gegenwärtiger Zustände. Es ist ein Zombie-Film.
Arbeitet man sich dieser Wochen durch die Unmengen an Texten über die Ostdeutschen kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg, denen gern reflexhaft angedichtet wird, das Zeug zu Schicksalswahlen zu haben, kann einem dieser Film in den Sinn kommen. Die Wende kehrt zurück. Nicht als Treppenwitz, stattdessen möglicherweise als Zombie. Bei Jim Jarmusch wollen die auferstandenen Toten nur, was sie schon zu Lebzeiten bis zum Überdruss geliebt haben. Kaffee zum Beispiel. Internet. Essen. Psychopharmaka. Andere hauen. Ist schon ein bisschen lustig, wie die Untoten sich selbst spielen, nur dass sie jetzt hässlich bis eklig aussehen und irgendwie auch nicht mehr nett sind.
Und zack, fertig ist der Ossi
Wenn wir nicht weiterwissen, neigen wir dazu, auf die Sprache der Psychologie zurückzugreifen und Verhaltensweisen zu pathologisieren. Und dazu, möglichst alle in einen Topf zu werfen. Oder in einen Hut zu quetschen, wie es der Spiegel mit seinem Titel „So isser, der Ossi“ tat. Ironisch gebrochen, natürlich. Es ist so anstrengend, zu differenzieren – und einfach, es nicht zu tun: Himmelsrichtung plus Nationalität, dazu eine nicklig-böse Kurzform, zack, schon sind wir mittendrin. Der Ossi.
Schizophrenie, Kränkung, narzisstische Störung, Traumata – all das musste und muss herhalten, dem ethnologischen Blick auf eine vermeintlich besondere Spezies ein wenig Ernsthaftigkeit zu geben. Samt kennste einen, kennste alle. Da geht dann schnell mal unter, dass wir zwar von einem beachtlichen Teil, aber am Ende eben doch nur von einem Viertel der geschrumpften ostdeutschen Bevölkerung sprechen, wenn wir „Die Ostdeutschen“ sagen und damit meinen: wählen rechts, sind Nazis, wissen nicht, wie Demokratie geht.
Kehren „die Ostdeutschen“ (wenn wir wenigstens aufhörten, sie Ossis zu nennen) also gerade als Zombies zurück – bis in Gestalt ihrer jüngeren Nachfahren –, um die Wende zu vollenden? Die AfD macht sich diese grausame Vorstellung zu eigen und bastelt daraus Wahlplakate. Diese Partei aber kommt nicht aus den Gräbern der Vergangenheit, sie ist ein munteres Kind der Gegenwart, gewachsen auf dem Boden einer parlamentarischen (Stellvertreter-)Demokratie, die ihren Bürgerinnen permanent erklärt, dass es keine Alternativen zu diesem und jenem gibt und dass sie sich, wenn sie Probleme haben, an den Markt wenden sollen, der alles richten wird.
Die Matrix, auf der die AfD und deren Ableger auf der Straße tun können, was sie tun, nährt sich jedoch sicher auch aus der Vergangenheit, die der Kultursoziologe Wolfgang Engler so beschrieb: „Die Ostdeutschen lebten bis 1989 in einer ethnisch und kulturell sehr homogenen Gesellschaft“, deren Zusammenbruch im Zeitraffer zu einer Front fremdenfeindlicher Ausfälle (und damit ist alles Fremde, sind nicht nur die Fremden gemeint) geführt habe, die damals, nach der Wende, tatsächlich auf die DDR verwies. Ach, denken viele: Wusste ich’s doch!
Wer aber heute, sagt Engler jedoch weiter, die Demokratiefeindschaft vieler Ostdeutscher der DDR zuschreibe, infantilisiere die im Osten lebenden Menschen, indem die Erfahrungen seit 1989 für irrelevant erklärt würden, betrachte das habituelle Erbe der DDR eindimensional und rechtfertige zugleich all das, was in den vergangenen dreißig Jahren an Fehlentwicklungen, Ungerechtigkeiten und Kränkungen auf politisches Geheiß passiert sei. „Die notorische Ausblendung der Nachwendegeschichte bei der Ergründung der Ursachen für die ‚Rechtslastigkeit‘ der Ostdeutschen ist interessensgeleitet, ist ordinäre Ideologie.“
So weit lässt sich folgen und so ist der Begriff der Kränkung akzeptabel. Eine Kränkung, die bei den anstehenden Wahlen in einer Art Selbstjustiz oder – auch wenn es wehtut – Selbstermächtigung mündet. Mit einem Kreuz auf dem Wahlzettel und der Wiederauflage von Obrigkeitshörigkeit gegenüber jenen, die versprechen, dass nun mal Schluss mit der Demütigung sei.
Engler schreibt auch, es hätte den ’89er-Herbst mit gelernten Duckmäusern niemals gegeben. Das bedarf noch des Beweises. Diejenigen, die den Anstoß gaben, die (nicht erst ’89, sondern schon Jahre um Jahre zuvor) mutig gegen die DDR-Obrigkeit und den so wenig demokratischen Staat opponierten, sind 1989 schnell abgewählt worden. Und zwar so schnell, dass man sich schon die Frage stellen kann, ob diese Wende, die als friedliche Revolution angefangen hat, am Ende nicht doch von gelernten Duckmäusern vollzogen wurde. Ehrlich: 40 Jahre sind lang genug, um einer Bevölkerung den Ehrgeiz auszutreiben, sich um sich selbst zu kümmern und dafür im Zweifelsfall hohe Risiken in Kauf zu nehmen.
Natürlich waren die Straßen 1989 voll, und somit machtvoll. Die Wahlergebnisse im März 1990, nur vier Monate nach dem Fall der Mauer, schienen dies jedoch ad absurdum zu führen. 40,8 Prozent für die CDU, 6,3 Prozent für die der CSU nahestehende DSU, 0,9 Prozent für den Demokratischen Aufbruch. Knapp drei Prozent für Bündnis 90, also jene, die sich in dem von Mauer und Grenzzaun umgebenen Land unter Gefahren den Arsch dafür aufgerissen hatten, dass sich etwas ändert.
Als Helmut Kohl im Dezember 1989 nach Dresden kam, fünf Wochen nach Maueröffnung, begrüßte das Bundesland Sachsen den Bundeskanzler begeistert. Der Historiker Konrad Jarausch teilte die Revolution 1989 in drei Phasen, wobei fraglich ist, ob Phase zwei und drei tatsächlich noch das Adjektiv revolutionär verdienen. Herbst 1989 mit dem Ziel Demokratie. Frühjahr 1990 mit dem Ziel Nation und staatliche Einheit. Sommer 1990 mit dem Ziel Westen. Die Bürgerbewegung steht für Phase eins, die schweigende Mehrheit für Phase zwei und die Bonner Regierung mit ihren ostdeutschen Vollstreckern und der Treuhandanstalt für die dritte Phase. Vielleicht war tatsächlich, wie der Kultursoziologe Bernd Lindner schrieb, nur die erste Phase eine wirkliche Revolution.
Nach der dritten Phase bekamen die Leute die Westmark, die indirekte Demokratie (für direkte Demokratie waren sie auf die Straße gegangen) und ein nicht beispielloses, aber doch beachtliches Lehrstück neoliberaler Rosskur.
All das könnte dafür herhalten, heute zu sagen, dass wir es mit der Reinkarnation einer Spezies zu tun haben, die ein abgegrenztes territoriales Gebiet bewohnt („neue Bundesländer“), traditionell zum Mitläufertum neigt, die Demokratie nicht ausreichend zu würdigen weiß, ewig unzufrieden ist und diese Unzufriedenheit gern auch kanalisiert, indem sie aus Protest rechts abbiegt. Hauptsache, jemand sagt, wo es langgeht.
Wir sind besorgter
Das aber nimmt die Politik aus der Verantwortung und schiebt sie zu den Seelenfängern und jenen, die ihnen auf den Leim gehen. Von den 75 Prozent, die das nicht tun, muss dann keiner mehr reden. Mit denen schon gar nicht. Gerade deutet nichts darauf hin, dass es ein gutes Ende nehmen wird. Niemand kann die Menschen, die in den kommenden Wochen wählen gehen und eine Entscheidung treffen, von der Verantwortung freisprechen, die damit verbunden ist. Eine schlechte Kindheit und Jugend, Kränkungen der Vergangenheit und Gegenwart taugen nicht für die Anerkennung einer Unzurechnungsfähigkeit. Die sind nicht unzurechnungsfähig. Und über 20 Prozent Zustimmung zu einer Partei, die nichts anderes im Sinn hat, als ins Totalitäre zu wenden, was als Geschichte eines demokratischen Aufbruchs gelten kann, lassen sich nicht einfach verstoffwechseln.
Wer sich von Zuschreibungen frei machen will, die wie Pech und Schwefel kleben, müsste etwas dafür tun. Machen wir ja, sagen die über 20 Prozent AfD und verweisen auf jene, die ihnen vermeintlich keine Wahl lassen, nur um dann die schlechteste aller Wahlen zu treffen. Der besorgte Bürger besorgt es sich selbst. Wobei auch hier schön wäre, die Sprache endlich mal wieder ernst zu nehmen. Besorgt, wirklich besorgt sind wahrscheinlich die 75 Prozent, die nicht undemokratisch und rechts wählen. Und zwar auch deshalb, weil sie wissen, dass dies hier keine Zombie-Nummer ist, bei der eine schlichte Gegenmaßnahme schon helfen wird. In einem der Klassiker des Film-Genres, Die Nacht der lebenden Toten, lautet sie: Schieß dem Ding in den Kopf. Nur: So geht es nicht.
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