Es gibt drei Erzählungen, wie es zum Hornberger Schießen kam. Die schönste ist, dass sich die Beteiligten bei einem Freischießen nicht über den Ablauf einig werden konnten und der geplante Event am Ende ausfiel. So wird es mit der Vermögensabgabe oder Millionärssteuer oder Reichensteuer kommen. Zum jetzigen Zeitpunkt ließe sich sagen: Sie ist vom Tisch. Auf dem hat sie allerdings bislang noch gar nicht gelegen.
98,6 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen prognostiziert der Arbeitskreis Steuerschätzung für 2020. Das ist viel. Und bedürfte einer Idee. Vor knapp 70 Jahren beschloss die Bundesregierung eine gestreckte Vermögensabgabe für die, denen nach dem Krieg oder mit dem Krieg noch beträchtliche Vermögen geblieben waren. 50 Prozent über Jahre verteilt, ohne die Substanz anzugreifen, stattdessen aus den jährlichen Ertragswerten gezogen. Das war der Deal. Es wird auch diesmal Gewinner und dazu jene geben, die – einen verlässlichen Staat im Rücken – weich fallen oder ob ihrer vermeintlichen oder wirklichen Systemrelevanz gar nicht sterben können. Das sind oft auch diejenigen, die am lautesten „Hilfe!“ schreien. Während sie sich gleichzeitig, wie BMW, Dividenden auszahlen oder mürrisch, wie die Lufthansa, offenlegen, wie viele Tochtergesellschaften sie in welchen Steueroasen haben.
Der Begriff „Reichensteuer“ kursiert seit 2005. Schnell kam das Wort „Neidsteuer“ in Umlauf. Schlechter Start und erneut bewiesen: Am Anfang war das Wort. Man hätte die Steuer auch „Nutzungsentgelt“ nennen können. Schließlich ist unternehmerischer Erfolg davon abhängig, dass der Staat den Entrepreneuren Infrastruktur, Rechtssicherheit, hochsubventionierte Handlungsspielräume und garantierte Freiheitsrechte, einschließlich des unbedingten Schutzes von Eigentum, bereitstellt. Dazu ein im besten Fall gut versorgtes und bei Laune gehaltenes Arbeitsheer, dessen unternehmerisch aussortierten Teil dieser Staat dann auch noch zumindest so gut grundabsichert, dass es stets zum erneuten Verkauf der Arbeitskraft in der Lage ist. Auf dieser Basis können durch private Aneignung gesellschaftlicher Arbeit Vermögen erwirtschaftet werden. Vermögen, die durch das Vorhalten öffentlicher Güter und die Bereitstellung von Infrastruktur entstehen. Nicht, wie uns Heinz Hermann Thiele, dem das Unternehmen Knorr-Bremse gehört und der nun nach der Lufthansa greift, deren größter Aktionär er inzwischen ist, weismachen will: durch reine Willenskraft und unternehmerisches Talent. Thiele, einer der reichsten Deutschen überhaupt, spekuliert zu Recht darauf, dass der Bund die Airline retten und er davon profitieren wird. Gerade bekommt Thiele vom Staat Kurzarbeitergeld. Also nicht er, sondern 5.000 MitarbeiterInnen, die schon vorher unter der Tarifflucht ihres Herrn zu leiden hatten. Thiele sagt zugleich, eine Vermögenssteuer sei der falsche Weg und ungerecht. Ist der Mann ein Mistkerl? Es damit abzutun, bedeutete, von der ökonomischen auf die Gefühlsebene zu wechseln. Heinz Hermann Thiele handelt ökonomisch sinnvoll. Wir reden von Kapitalismus und nicht über die Zehn Gebote. Ökonomisch sinnvolles Handeln verlangt ein gewisses Maß an Asozialität.
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) erklärt, die zusätzlichen Schulden würden sich ab 2023 nur zurückführen lassen, wenn es ein faires, gerechtes Steuersystem gibt. Er hat auch mal kurz mit einer Vermögensabgabe geliebäugelt. Warum haben wir dieses faire Steuersystem eigentlich nicht, ließe sich fragen, und es wäre nur gerecht, der SPD diese Frage zu stellen. Die Antwort der CDU kennen wir ja. Warum steht im Koalitionsvertrag, dass es keine Steuererhöhungen geben wird, obwohl vorausschauende Politik doch immer mit Krisen rechnen muss? Aber bitte kein SPD-Bashing. Die tut, was sie kann. Sie kann halt nur nicht viel tun. Besser wäre, sie zu ertüchtigen. Kevin Kühnert – ja, der ist auch SPD, sogar Vizechef – hatte vorgeschlagen, BMW zu kollektivieren und die Wirtschaft zu demokratisieren.
Die Gemengelage ist nicht unübersichtlich. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hält Vermögensabgaben für den falschen Weg, denn jede zusätzliche Last nähme Unternehmen die Luft zum Atmen. Stattdessen müssten die steuerlichen Regeln der „Verlustnutzung“ erweitert werden. Das Institut der Deutschen Wirtschaft merkt an, höhere Steuern reduzierten Konsum- und Investitionsanreize – als investierten Staat und Kommunen nicht, stattdessen nur Unternehmen. Das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaft: Steuerausfälle sind automatisch ein Konjunkturprogramm. Deutscher Industrie- und Handelskammertag: Jeder Versuch, Löcher mit höheren Abgaben zu stopfen, verschlimmert die Krise. Wirtschaftsminister Altmaier: Abschreibungs- und Steuererleichterungen, Impulse für privaten Konsum setzen. FDP und CDU/CSU: Man belastet die schwächelnde Wirtschaft nicht mit höheren Steuern, das sei Gift fürs Wachstum. Grüne: irgendwas mit starken und schwachen Schultern und auf Steuersenkungen verzichten. Linke: solidarische Vermögensabgabe, Streichung der Schuldenbremse aus dem Grundgesetz.
Vielleicht kommt noch mal eine Diskussion über eine einmalige Vermögensabgabe in Gang. Nur damit wir am Ende dankbar sein werden, wenn es für Unternehmen zumindest keine Steuersenkungen gibt.
Das Hornberger Schießen aber fällt aus.
Kommentare 5
>>Man hätte die Steuer auch „Nutzungsentgelt“ nennen können.<<
Zweifellos die bessere Formulierung, dagegen eine „Neid“-Kampange zu fahren wäre nicht so einfach.
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>>…einschließlich des unbedingten Schutzes von Eigentum…<<
Wobei das Grundgesetz* den Schutz nicht bedingungslos gewährt: Zwar erlaubt es, aus investiertem Vermögen Profit zu ziehen, setzt aber voraus dass sein Gebrauch „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit“ dienen soll. Im Interesse des Allgemeinwohles sind auch Enteignungen vorgesehen. Man könnte Leute wie Thiele durchaus mit dem GG kontern, nur traut sich offenbar fast niemand. Na ja, ausser Kühnert, aber den Shitstorm, den seine Partei“Genossen“ daraufhin unisono mit C-Parteien und FDP entfachten erinnern wir ja noch.
* GG Art. 14
GG Art. 15
>>...ist es sinnvoll den Bürgern ein möglichst hohes Grundeinkommen zur Verfügung zu stellen, allerdings nur, wenn der Empfänger auch alles ausgibt.<<
Einen Teil davon in guten Zeiten anzusparen, um z. B. bei Kurzarbeit wg. Pandemie was auf der Kante zu haben ist auch nicht schlecht. Die Reserve muss ja nicht komplett in Klopapier investiert werden.
dem dritten abschnitt des obigen kommentars ist von vorne bis hinten komplett zuzustimmen.
ich meine den absatz, der so beginnt:
"Der Begriff „Reichensteuer“ kursiert seit 2005. Schnell kam...."
Dann war der erste Bundeswirtschaftsminister nach dem Zweiten Weltkrieg, Ludwig Erhard von der CDU, auch ein "Linker".
Schließlich schrieb dieser Ludwig Erhard in einem Buch mit dem bezeichnenden Titel "Wohlstand für Alle" (1957):
„… So wollte ich jeden Zweifel beseitigt wissen, daß ich die Verwirklichung einer Wirtschaftsverfassung anstrebe, die immer weitere und breitere Schichten unseres Volkes zu Wohlstand zu führen vermag. Am Ausgangspunkt stand da der Wunsch, über eine breitgeschichtete Massenkaufkraft die alte k o n s e r v a t i v e soziale Struktur endgültig zu überwinden. Diese überkommene Hierarchie war auf der einen Seite durch eine d ü n n e O b e r s c h i c h t, w e l c h e s i c h j e d e n K o n s u m l e i s t e n k o n n t e, wie andererseits durch eine quantitativ s e h r b r e i t e U n t e r s c h i c h t m i t u n z u r e i c h e n d e r K a u f k r a f t gekennzeichnet. Die Neugestaltung unserer Wirtschaftsordnung musste also die Voraussetzungen dafür schaffen, daß dieser einer fortschrittlichen Entwicklung entgegenstehende Zustand und damit zugleich auch endlich das Ressentiment zwischen ‚arm‘ und ‚reich‘ überwunden werden konnten."
Diese Schere zwischen "Arm" und "Reich" war historisch gesehen eine der maßgeblichen sozialen bzw. ökonomischen Ursachen für den Erfolg der NSDAP. Am Ende der Weimarer Republik wussten viele Bürger nicht, womit sie ihre Miete zahlen sollten, und die anderen beschwerten sich darüber, dass es im Hotel Adlon zum Abendessen schon wieder Hummer und Kaviar gab. Die Nazis und der Zweite Weltkrieg sind nicht einfach so vom Himmel gefallen.
Vielleicht sind Konservative, Rechte und Neoliberale tatsächlich zu dämlich, um etwas aus der Geschichte zu lernen? Oder wollen sie nichts aus der Geschichete lernen?
Wenn die Rechten, Neoliberalen und Apogoleten des freien Marktes von heute immer behaupten, eine Vermögensteuer für Multimilliardäre, eine Luxussteuer auf Luxusartikel oder ein höherer Grenzsteuersatz für Einkommensmillionäre würde nichts bringen, was bitte bringt dann etwas: Steuersenkungen für die oberen Zehntausend und die Erhöhung von Steuern und Sozialabgaben für die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung haben doch gerade zu dieser Schere zwischen "Arm" und "Reich" geführt. Von den als "Sparmaßnahmen" getarnten Kürzungen bei den Arbeitslosen, Obdachlosen, Kranken, Behinderten usw. ganz zu schweigen.
Oder liegt es daran, dass Konservative, Rechte und Neoliberale nur zu feige sind, offen zuzugeben, dass die meisten von ihnen scheinheilige und verlogene Opportunisten sind, die nach unten treten, nach oben buckeln, den eigenen Hals nicht voll kriegen und denen die Lebensumstände von Normalverdienern, Kurzarbeitern, Arbeitslosen, Obdachlosen usw. ganz einfach am fetten Arsch vorbeigehen?
Genau meine Meinung. Firmen die hier keine Steuern bezahlen und die Infrastruktur in Anspruch bekommen staatliche Unterstützung . Alle Branchen jammern. Dabei sind alle betroffenen . Weltweit. Der BDI und Co will keine Vermögensteuer. Das ist doch klar. Die Grundrenteist nicht finanzierbar. Der Mindestlohn soll eingefroren werden. Die die sowieso nichts haben, solllen bluten.Sozial und christlich sieht anders aus .