Maaßens CDU, FDP und AfD: Testballons über Thüringen
Rechts Schon wieder kooperieren in Thüringen CDU und FDP mit der AfD, drei Jahre nach der Kemmerich-Wahl. Und Hans-Georg Maaßen ist weiter Parteimitglied
In irgendeinem der allesamt wunderbaren Marx-Brothers-Filme fragt Groucho Marx seinen Gegenspieler: „Würden Sie das eventuell zurücknehmen?“ – „Nein!“, lautet die Antwort, und Groucho Marx verabschiedet sich daraufhin mit dem Satz: „Dann hat sich die Sache für mich erledigt.“
Hans-Georg Maaßen hat am vergangenen Sonntag zwölf Uhr mittags verstreichen lassen. Damit hatte sich das CDU-Ultimatum erledigt. Ein freiwilliger Austritt des ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz war nicht zu haben. Will man den Rechtsaußen loswerden, muss sich ein anderer Weg finden.
Einige Tage vor Ablauf des Ultimatums – „Würden Sie eventuell aus der CDU austreten?“ – hatten in Maa
hatten in Maaßens Wahlheimat Thüringen CDU, AfD und FDP gemeinsam für einen Vorschlag der FDP zur Änderung des Spielhallengesetzes gestimmt. Die Sache mit der Brandmauer, von der die CDU allenthalben spricht und mit der sie meint, dass sie sich niemals nie mit der AfD gemeinmachen würde, scheint also nicht zu funktionieren.An jenem Sonntag ohne High Noon (ein Filmklassiker aus dem Jahr 1952) jährte sich die Wahl von Thomas Kemmerich zum dritten Mal. Am 5. Februar 2020 war der FDP-Mann mit Hilfe von AfD und CDU nach einem Patt bei den Landtagswahlen, das weder eine Mehrheit für das bestehende rot-rot-grüne Bündnis noch einen Machtwechsel hin zur CDU ermöglichte, für sehr kurze Zeit zu Thüringens Ministerpräsident gekürt worden.Einen Tag nach diesem dritten Jahrestag des „Thüringer Menetekels“, am Montag dieser Woche, konnte die AfD auf eine immerhin schon zehnjährige Parteigeschichte zurückblicken, die damit begonnen hatte, dass es in Oberursel ein paar Ordo-Rechtsliberale, die vor allem eine Mischung aus fundamentaler EU-Skepsis und Nationalismus einte, wissen wollten. Aus dem kleinen Monster, das sie in die Welt brachten und mit dem sie als Väter nichts mehr zu tun haben möchten, ist inzwischen ein ausgewachsenes demokratiefeindliches, rassistisches und nationalistisches Miststück geworden. Eines, in dem ein alter weißer Mann, wie der einstige AfD-Vorsitzende Alexander Gauland, Hitler und die Zeit des Nationalsozialismus als einen „Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ bezeichnen konnte. Eines, dem es heute – zumindest auf kommunaler und Landesebene – gelingt, hin und wieder und bei Abstimmungen Teil parlamentarischer Bündnisse zu sein.Das wird in Zukunft wahrscheinlich häufiger passieren, vielleicht zur Gewohnheit werden, und die große Frage ist, ob sich die Gesellschaft dann auch daran gewöhnt. Oder ob sie tut, was die CDU nicht schafft: eine Brandmauer errichten.Ein Spielhallen-DebakelDas Spielhallen-Debakel hat eine große Vorlage, an die kurz erinnert sei: Mike Mohrings CDU stürzte bei der Landtagswahl im Herbst 2019 von 33,5 auf 21,7 Prozent ab. Mohring zog Gespräche mit dem Wahlsieger Bodo Ramelow (Linkspartei) in Betracht und wurde von seiner Partei heftigst zur Räson gerufen. Der stellvertretende Chef der CDU-Landtagsfraktion, Michael Heym, verwies stattdessen auf eine vorhandene „bürgerliche Mehrheit“ rechts vom rot-rot-grünen Siff und meinte damit CDU, FDP und AfD. Das muss Björn Höcke ziemlich gefreut haben. Den Heym etwas problematisch fand, während er eine AfD ohne Höcke, dem man wirklich Wiedergeburts- und Führerqualitäten nachsagen kann, sehr wohl als natürlichen Koalitionspartner ansah.17 Thüringer CDU-Funktionäre plädierten für ergebnisoffene Gespräche mit der AfD, während die Bundes-CDU in Gestalt ihres Generalsekretärs Paul Ziemiak auf den Unvereinbarkeitsbeschluss verwies, der Koalitionen mit der Linken und mit der AfD verunmöglichen sollte. Auf Bundes- und Landesebene. Ziemiak und die Seinen wussten sehr wohl, dass sich eine außer Rand und Band geratene Landes-CDU zu der Zeit noch ziemlich schlecht würde verstoffwechseln lassen. Und dass es in der CDU sehr viele aufrecht konservative Demokrat:innen gibt, denen es nicht im Traum einfiele, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen.Es herrschte allgemeine Ratlosigkeit, Kemmerich wurde mit AfD-Stimmen gewählt, knapp 90 Jahre nachdem die Nationalsozialisten im Januar 1930 zum ersten Mal an einer Landesregierung beteiligt worden waren. In Thüringen. Dass sich so etwas auf ewig vererbt, stimmt nicht. Ein gutes historisches Gedächtnis aber kann als Voraussetzung für eine wirklich funktionierende Brandmauer angenommen werden. Tatsächlich ließe sich aus Geschichte lernen. Betrachtet man sie nicht als Vogelschiss.Es darf nicht vergessen werden, dass Thüringen gegenwärtig für etwas ganz und gar anderes steht. Einen linken Ministerpräsidenten, eine seit 2014 amtierende rot-rot-grüne Koalition, eine darob starke Polarisierung zur AfD, einen besonderen Kooperationsmodus auch bei schwierigen, komplizierten Mehrheitsverhältnissen.Allerdings kann von einer demokratischen Fünf-Fraktionen-Mehrheit angesichts eines Abstimmungsverhaltens wie in der vergangenen Woche wohl nicht die Rede sein. Denn selbst wenn es eine Abstimmung über die allerletzte Lappalie gewesen wäre: Sie ist mit AfD-Stimmen für den Antrag einer Regierungspartei auf Bundesebene gewonnen worden. Die CDU öffnet sich mehr und mehr nach rechts und schafft somit ein handlungsfähiges rechtes Lager. Vor Friedrich Merz scheint das anders gewesen zu sein. Aber der Beweis dafür steht noch aus.Die Älteren im Land werden sich wohl noch an Zeiten erinnern, da CDU/CSU und SPD bei Bundestagswahlen rund 90 Prozent aller Stimmen auf sich vereinten. 1972 und 1976 war das. Das entsprach rund 76 beziehungsweise 82 Prozent aller Wahlberechtigten. Zu der Zeit, schrieb Oliver Nachtwey 2019 in der Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik, hätten beide großen Volksparteien noch über nennenswerte weltanschauliche Unterschiede verfügt und seien trotzdem beide Sozialstaatsparteien gewesen, fest verankert in der Zivilgesellschaft. In den 1990ern konnten rechte Parteien erste Erfolge einfahren, ihr Aufschwung sei, so Nachtwey, allerdings dadurch aufgehalten worden, dass die Parteien der Mitte nach rechts rückten.Bundesparteien – und zwar durch die Bank alle – haben die Angewohnheit, darauf zu verweisen, dass Landespolitik gar keinen Bundestrend verkörpere oder gar vorwegnehme, wenn es schlecht läuft. Klappt was gut, schmücken sie sich mit den Erfolgen. Dazu gesellt sich im schlechten Fall (Aufwind für die Rechten) die Erzählung, dass der Osten anders tickt als die gesamte Republik. Im guten Fall steht er für die so hervorragend vollendete deutsche Einheit. Das kann verwirren. Und nicht wirklich darüber hinwegtäuschen, dass politische Tabubrüche ihre Testlabore meist in den regionalen Niederungen, erst kommunaler, dann der Landespolitik finden.Wo Friedrich Merz stehtStellt sich also Frage, ob die von der CDU postulierte Brandmauer – die man ja nur errichtet, wenn es die Befürchtung gibt, dass ein Brand übergreift aufs Eigene – wirklich hält, was mit ihr versprochen wurde. Im Südthüringer Wahlkreis 196 ist Hans-Georg Maaßen mit 37 von 43 Stimmen zum Spitzenkandidaten der CDU für die jüngste Bundestagswahl gekürt worden. Wegen, nicht trotz Chemnitz. Aus hohen CDU-Kreisen war damals zu hören, Maaßen sei eine Randfigur im ansonsten demokratischen Spektrum der Partei. Aber dieser Rand ist nicht allzu weit weg vom hart-autoritären Gehabe eines Friedrich Merz, des Vorsitzenden einer Volkspartei, wie die AfD laut einem internen Strategiepapier bis 2025 auch eine werden will. Immer wieder auszutesten, ob diese Strategie aufgeht, dazu eignet sich auch eine Abstimmung über das Wohl und Wehe von Spielbanken, wahrscheinlich ein Thema, das gegenwärtig nicht allzu viele Menschen umtreibt. Hat sich eine solche Sache für die CDU oder die FDP schnell wieder erledigt, kann am nächsten Testballon gearbeitet werden.Es sei aber auch daran erinnert, dass Thüringen für die 1997 verabschiedete „Erfurter Erklärung“ steht, eine kluge Wortmeldung aus der Zivilgesellschaft, in der es hieß, dass ein Bündnis für soziale Demokratie das Gebot der Stunde sei. Der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow war einer der Mitunterzeichner. Der Wortlaut dieser Erklärung klingt nach einer Brandmauer, die wirklich gewollt und ernst gemeint ist.
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