Mysterien im städtischen Leben

Berliner Abende Ich lese, zur Freude meiner Kinder und zum gelinden Erstaunen des Liebsten, eine ziemliche Menge U-Literatur. Genauer gesagt, ich lese Krimis und ...

Ich lese, zur Freude meiner Kinder und zum gelinden Erstaunen des Liebsten, eine ziemliche Menge U-Literatur. Genauer gesagt, ich lese Krimis und schlimmere Sachen. Zum Beispiel Steven King und Thomas Harris. Am liebsten aber mag ich jene Bücher, die mich mit der Welt des vermeintlich real existierenden Verbrechens konfrontieren, das von immer den gleichen Kommissaren, forensischen Pathologinnen, Strafverteidigerinnen, Privatdetektiven, Inspektoren und Agenten aufgeklärt und am Ende gesühnt wird. Da fast all diese Leute in Städten operieren, weil nur hier das wahrhaft große Verbrechen zu Hause ist, kann ich als Berlinerin immer Orte und Personen imaginieren, die mir vertraut und bekannt sind. Heißt, ich verlege die Handlungen gern in unmittelbare Nähe, zum Beispiel in eine dunkle Seitenstraße der Karl-Marx-Allee, und lasse meine Lieblingskommissare in einer Genossenschaftswohnung nebenan hausen, zum Beispiel den hübschen Schweden Erik Winter. Da hörte er dann John Coltrane und "The Clash", brächte seinen Müll selbst runter und fände dabei die Leiche einer hübschen Stripteasetänzerin, die nichts weiter in der Hand hat als einen Antrag auf Wohngeld und einen Leitfaden des Bezirksamtes Mitte. So beginnen doch gute Geschichten.

Nun will ich nicht behaupten, dass mir der Sinn nach mehr Verbrechen steht, zumal es immer noch möglich ist, mit ganz einfachen und unschädlichen Mitteln Spannung zu erzeugen, zu halten und wieder abzubauen. Zum Beispiel mit Überraschungseiern oder einem Gang in die Schönhauser AlleeArcaden. Es ist eher so, dass ich stets auf der Suche nach dem mystischen Element im städtischen Leben bin. Da genügen schon Kleinigkeiten, um mich zufrieden zu stellen. Es muss nicht zwingend ein Serienmörder sein, der seinen Opfern mit einem Aquarellpinsel Runenzeichen auf die Stirn malt, die sich am Ende als Begrüßungstext einer thailändischen Speisekarte entpuppen.

Bei der Suche nach jenen mystischen Elementen im Stadtleben bin ich inzwischen auch schon fündig geworden. Das Lichtmysterium beispielsweise ist so eine Sache. Man läuft abends oder nachts auf hell erleuchteten Gehwegen nach Hause und jede Laterne geht just in jenem Moment aus, da man sich direkt unter ihr befindet. Ich habe es schon bis zu fünf Laternen hintereinander gebracht, deren Licht verlosch, als ich den Kegel desselben betrat. Das gibt zumindest so ein leichtes Kribbeln im Bauch.

Mystisch ist auch, wenn man dreimal am Tag die gleiche und zugleich fremde Person trifft. Bevorzugt natürlich ein Mann und noch bevorzugter an drei möglichst verschiedenen Orten: Wilhelmstraße Ecke Bunsenstraße, Pressebuchladen im S-Bahnhof Alexanderplatz und Sanitätshaus Recknagel in der Bötzowstraße. Ja, das klingt unwahrscheinlich, aber es kann passieren. Aus welchem Stoff sind sonst gute Kriminalgeschichten gewebt?

Seltsame Gefühle wecken in mir Telefonanrufe, bei denen mich eine wildfremde Frau fragt: Hast du alles bekommen? Und ich sage: Ja. Und die Frau sagt: Ich kann aber erst morgen. Und ich sage: ... Und die Frau sagt: Oh. Und legt auf. Nie werde ich erfahren, welches Verbrechen da geplant, welche Schandtat so vorbereitet war. Man muss sich die Dinge nur hindenken und schon ist man mittendrin im schönsten Schlammassel, in der wildesten Story, im abgefahrensten Plot.

Durch mein Studium der U-Literatur bin ich genau dazu in der Lage. Nur so konnte es passieren, dass ich die beiden Männer, die in einem unscheinbaren Auto vor unserem Haus Stunde um Stunde ausharrten - schweigend - für Fahnder im Dienste einer mindestens guten Sache hielt. Mir schien der Beobachtungsposten zwar ein wenig sonderbar, andererseits, sollte wirklich eine Person in meiner unmittelbaren Nachbarschaft observiert werden, gab es keinen besseren Platz. Schließlich haben diese Häuser keinen Hintereingang.

Diesmal war es der Liebste, der mein schönes Konstrukt zerstörte und mich einer noch besseren Illusion beraubte. Er ist auch geblitzt worden. In meinem Auto. Von den Fahndern. Der Post des Polizeipräsidenten kann ich leider überhaupt nichts Mystisches abgewinnen. Wenn dieser Mann mich mal vorlüde, um mir zu sagen, dass der Kerl da auf dem Foto einer der meistgesuchten Heiratsschwindler Deutschlands sei und unter vier verschiedenen Namen sein Unwesen treibe, dann wäre mein Hunger nach Abenteuer gut bedient. So aber schickt der Polizeipräsident einfach nur einen Überweisungsvordruck. Bei Erik Winter verliefen die Geschichten nicht so banal im Sande. In meinem Kopf auch nicht.

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