Nachrichenmüdigkeit: Die Krisen prasseln auf mich ein. Ich schalte ab
News-Burn-out Eine Flut an Informationen zu jeder Krise dieser Zeit, die andauernd ungefiltert auf uns einprasselt. Kathrin Gerlof über ein Phänomen, das es schon lange gibt: Die Nachrichtenmüdigkeit – und was man dagegen tun kann
Es gibt diesen Zustand tatsächlich: Die Fülle der Informationen ist so groß, die Informationen selbst sind dermaßen widersprüchlich, dass es unmöglich scheint, sich seiner Lage bewusst zu werden. Der US-amerikanische Philosoph Timothy Morton nennt das „Hyperobjekte“. Der Klimawandel ist ein Hyperobjekt. In all seinen Ausformungen und mit seinem Potenzial, alle Lebensbereiche, sämtliche Landschaften und jede Gesellschaft zum Schlimmeren zu verändern, ist er eine Bedrohung, deren Ausmaß nicht mehr zu überschauen ist. Die Macht des Faktischen macht das Faktische. Und dem lässt sich nicht entkommen. Es sei denn, man leugnet einfach, was verbürgt ist. Das geht, und ganz wertfrei betrachtet erhöht diese Art des Umgangs
gs wahrscheinlich auch temporär das Wohlbefinden. Allerdings bedarf es dazu der passenden Blase, schließlich verbreiten sich Nachrichten pandemisch. Fakes aber auch. Es ist trotzdem auf jeden Fall machbar und wird gemacht.Wer gegenwärtig auch nur einen gesellschaftlichen, ökonomischen oder politischen Bereich zu benennen wüsste, der nicht von krisenhaften Entwicklungen geprägt ist, gälte wahrscheinlich als nicht ernst zu nehmende Optimistin. Hölderlins Diktum, dass wo Gefahr ist, auch das Rettende wächst, gilt nicht mehr.Wo aber Polykrise ist, wächst das Rettende auch nicht mehrDie Studien, die den Menschen in Deutschland, besonders offensichtlich den jüngeren Menschen, bescheinigen, nachrichtenmüde zu sein, sind nicht neu. Forscher*innen befassen sich nun mit der Frage, wie sich digitale Resilienz in der Mediennutzung erlangen ließe, also eine gewisse Unabhängigkeit von der Fülle der überhaupt nicht mehr konsistenten Lageberichte.Das entspricht dem Umgang mit vielen großen Krisen. Das Problem an sich ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Also werden Lösungen gesucht, wie Mensch mit dem, was da ist, klarkommen könnte. Auf den Klimawandel trifft dies leider nicht zu. Hier werden nicht einmal diese Lösungen gesucht, trotz der Erkenntnis, dass sich die menschenverursachte Katastrophe nicht mehr einhegen lässt und es deswegen nur gut wäre zu überlegen, wie sich in einem vollständig gewandelten planetarischen Ökosystem über-leben lässt. Was uns im Bereich Umgang mit dem Klimawandel gegenwärtig offeriert wird, verleitet zu dem Ausruf: Wenn DAS die Lösung ist, will ich mein Problem zurück!Erschöpfung, Überforderung, Müdigkeit: Sollen wir uns abhärten für die Tagesschau?Nachrichtenresilienz scheint nur dann möglich zu sein, entzöge man sich zeitweilig oder ganz dem Ansturm der Informationen. Zeitweilig, das tun bereits viele, indem sie sich Tage verordnen, während derer sie keine Nachrichten mehr konsumieren. Bereits darin liegt auch ein gewaltiges Problem. Nachrichten werden konsumiert. Wer hat das wann so beschlossen und eingeführt? Diese Begrifflichkeit passt natürlich, denn der wichtigste Auftrag an alle, die – wenn wir uns ehrlich machen – sehr wenig Einfluss auf Geschehnisse und das Agieren politisch und ökonomisch Verantwortlicher haben, besteht im Konsumieren. Das trifft auch auf Nachrichten zu, deren Erfolg sich an Einschaltquoten, Klicks und Old-school-Abonnementmodellen misst.Nachrichtenmüdigkeit ist möglicherweise ein Indikator für eine echte Krise. Der Philosoph Wolfram Eilenberger hat in einem Interview zur Frage, ob die gegenwärtige Lage die Literatur lähme, erklärt: „Eine eminente Sinnkrise zeichnet sich dadurch aus, dass man drei Fragen nicht beantworten kann: Wer bin ich? Was soll ich tun? Und was darf ich hoffen?“ Vielleicht lassen wir beim Nachrichtenkonsum die erste Frage weg. Auf Frage zwei und drei finden sich kaum noch Antworten.Ist Nachrichtenmüdigkeit also eine angemessene und lebensverlängernde Antwort auf die Gegenwart? Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat vergangenen Sommer diese Art des Rückzugs aus Überforderung, Angst oder Gleichgültigkeit in einem Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur als „Digital Detox-Spießertum“ bezeichnet und gemahnt, nachhaltige Aufmerksamkeit sei zur Krisenbewältigung unabdingbar. Das Spießertum frage vor allem, ob es einer oder einem gut gehe mit den Nachrichten und diesen „Rückzug zu persönlicher Seelenpflege als individualistisches Wellnessprogramm“ fand Pörksen nicht gut. Stattdessen empfahl er „Rückzug und Kontemplation auf dem Weg zu einer reflektierten und authentischen, irgendwie durchgearbeiteten Partizipation“.Man kann es so sehen, aber es steckt Arroganz diesem Befund, von dem wir allerdings annehmen müssen, dass er ob vorgegebener Länge des journalistischen Formats möglicherweise recht verkürzt wiedergegeben worden ist. Trotzdem wäre eine Antwort auf die Frage, wie man sich denn eine „authentische und irgendwie durchgearbeitete Partizipation“ vorstellen kann, interessant. Die Letzte Generation ist möglicherweise nicht gemeint. Deren authentische und mehr als irgendwie durchgearbeitete Partizipation trifft auf nicht allzu viel Gegenliebe.Nur noch gute Nachrichten: Wie lange würde so was dauern?Ein Gedankenexperiment: Wie lange würde eine so altehrwürdige Form der Nachrichtenvermittlung wie die Tagesschau dauern, versuchte sie nur einmal ausschließlich gute Nachrichten zu verkünden? Vier Minuten? Fünf? Vielleicht sechs, wenn man nicht bei sieben schon in den Erzählduktus des Bergdoktors geraten möchte. Und von diesen Minuten wären möglicherweise zwei ein Spielbericht, an dessen Ende Bayern München eine Niederlage einstecken musste.Ein zweites Gedankenexperiment: Wie hoch (Schwankungen inbegriffen) ist im Schnitt der Anteil jener Nachrichten, die täglich bei hohem Konsum auf einen Menschen einstürmen und aus denen sich unmittelbar oder nach einigem Nachdenken ableiten ließe, was man jetzt tun oder eben lassen kann, um die Welt ein klein wenig besser, das Leid allerorten ein bisschen erträglicher zu machen, drohende Gefahren zu verkleinern oder gar abzuwenden? Es scheint einfacher, Bayern München auf den Relegationsplatz zu verbannen, als die Politik durch „irgendwie durchgearbeitete Partizipation“ im nationalen, europäischen und Weltmaßstab dazu zu bringen, ernsthafte Bemühungen zu unternehmen, die ökologische Katastrophe abzuwenden.Nachrichtenmüdigkeit ist ein Befund. Die kauft man sich nicht im Supermarkt, weil der Preis stimmt und ausreichend Geschmacksverstärker drinstecken. Und die wenigsten, die der Müdigkeit nachgeben, tun dies, weil sie gern mal Wellnessurlaub machen wollen. Sondern weil sie Angst haben.Placeholder authorbio-1
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