Pandemie In der Pandemie profitieren die Reichen und multinationale Konzerne. Denn Rücksicht gibt es für die Wirtschaft, nicht aber für die Menschen. Das hat fatale Folgen
1.763 Konzerne profitieren von der Pandemie. Die Kassen der Kommunen aber sind leer
Foto: Sean Gallup/Getty Images
Rund 30 Prozent der Bevölkerung haben noch Vertrauen in die Parteien Deutschlands, so gibt es der „Standard Eurobarometer“ der Europäischen Kommission 2021 an. 66 Prozent haben also keins. Vielleicht wurde deshalb ein Bundeswehr-General zum Leiter des Corona-Krisenstabs der Bundesregierung gemacht. Das funktioniert in Katastrophenfilmen ja auch immer. Tatsächlich stehen die Chancen gut, dass General Breuer es besser hinbekommt. Der Umkehrschluss dieser Vermutung legt Verzweiflung nahe.
2G plus für Gaststätten steht stellvertretend für diese Verzweiflung und ist nur ein Beispiel von vielen. Nach einem weiteren Sommer, in dem es zwar Wahlkampf gab, aber wieder nur kaum messbare Maßnahmen ergriffen wurden, die auf die nächste Pandemiewelle vo
er Bevölkerung haben noch Vertrauen in die Parteien Deutschlands, so gibt es der „Standard Eurobarometer“ der Europäischen Kommission 2021 an. 66 Prozent haben also keins. Vielleicht wurde deshalb ein Bundeswehr-General zum Leiter des Corona-Krisenstabs der Bundesregierung gemacht. Das funktioniert in Katastrophenfilmen ja auch immer. Tatsächlich stehen die Chancen gut, dass General Breuer es besser hinbekommt. Der Umkehrschluss dieser Vermutung legt Verzweiflung nahe.2G plus für Gaststätten steht stellvertretend für diese Verzweiflung und ist nur ein Beispiel von vielen. Nach einem weiteren Sommer, in dem es zwar Wahlkampf gab, aber wieder nur kaum messbare MaXX-replace-me-XXX223;nahmen ergriffen wurden, die auf die nächste Pandemiewelle vorbereiten, werden erneut Beschlüsse gefasst, die auf wenig Erlerntes hinweisen. Die Gastronomiebranche soll als Druckmittel dafür herhalten, dass die Menschen sich eine dritte Impfung abholen. In der Pflegebranche wird an Ausgewählte eine Einmalprämie gezahlt. Statt fundamentaler Aufwertung ihrer lebenswichtigen Arbeit durch Entlastung der Arbeitenden, durch höhere Löhne, Maßnahmen zum Umbau des Gesundheits- und Pflegesystems, weg von profitgetriebenem Agieren und hin zur Daseinsvorsorge. Eine Einmalbestechung sozusagen.Bleib in deiner Bruchbude!Im November vergangenen Jahres nannte eine Studie Zahlen dazu, wie hoch die Milliardengewinne großer Konzerne sind, die an der Pandemie verdienen. Erstellt wurde sie von der Prager Karls-Universität im Auftrag der Linksfraktion im EU-Parlament: Außerordentliche Gewinne multinationaler Konzerne in Höhe von 360 Milliarden Euro, Pandemieprofite von rund 100 Milliarden Euro. 1.763 internationale Unternehmen konnten sich über die Auswirkungen der weltumspannenden Katastrophe freuen, so die Studie. Gleichzeitig kündigen hierzulande Kommunen an, ihre Finanznot nehme in der Pandemie so stark zu, dass sie die Kosten für Wasserversorgung und Müllabfuhr anheben, örtliche Schwimmbäder schließen, andere freiwillige kommunale Leistungen kürzen müssen. Die Politik (die neue Koalition hätte noch die Chance, unter Beweis zu stellen, dass sie es anders kann) hat nicht einmal im Ansatz einen fairen Lastenausgleich geschafft. Und zugleich ständig eingefordert, man möge ihr vertrauen.Anfang dieses Jahres erbrachte eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, dass der Anteil der Geringverdienenden unter den Vollzeitbeschäftigten 2020 bei rund 18,7 Prozent gelegen habe. Geringverdienend ist, wer weniger als zwei Drittel des mittleren monatlichen Bruttolohns aller sozialversicherungspflichtig Vollbeschäftigten erhält. Seit zwei Jahren wird diesen Menschen und all jenen, die aufgrund von ALG-II-Armut und anderen prekären Lebensverhältnissen schlimme Mühen haben, in allen Tonlagen gepredigt, sie sollten sich verantwortlich verhalten, Distanz einhalten, um die Verbreitung des Virus zu vermeiden. Egal, wie klein die Bruchbude ist, in der sie leben. Wer gleichzeitig erwartet, dass diese Menschen tatsächlich Vertrauen in die Politik haben, ist mindestens ein sehr optimistischer Mensch.Placeholder authorbio-1Vielleicht ist das Ende der Sackgasse erreicht. Denn den Worten fehlt die Glaubwürdigkeit. Vor allem fehlt dem, was gesagt und verkündet wird, eine nachvollziehbare Kontinuität, stellt man sich Politik einmal als Aneinanderreihung von Handlungen und Entscheidungen auf einem Zeitstrahl vor. Zwei Jahre Pandemie könnte der umfassen. Oder: die vergangenen 20 Jahre bundesdeutscher Gesundheitspolitik.Das Wissen um Realitäten mache zum Realisten, schrieb der Soziologe Pierre Bourdieu, als er sich mit dem Wortmonopol befasste: „Das Bewußtsein der Willkür dieses mit dem Erteilen des Worts gegebenen Zwangsverhältnisses ist heute nötiger denn je, beim Inhaber des Wortmonopols so gut wie bei denjenigen, die ihm unterliegen.“ Wer gewählt ist, hat vier Jahre lang das Wort. Damit wird allzu viel Schindluder getrieben. Selbst die kühnsten Kehrtwenden bedürfen kaum einer Erklärung und schon gar nicht einer Entschuldigung.Wenn jene, die in den vergangenen Jahren das Zepter in der Hand hatten, heute daherreden, was die nun Regierenden anstelle dessen, was gerade getan wird, tun müssten, wird nur selten nachgefragt, warum sie das, was sie jetzt vorschlagen, nicht getan haben, als sie es hätten tun können.Aus ökonomischer Sicht war es nachvollziehbar, dass vor Weihnachten trotz steigender Zahlen sowie einer neuen Virusvariante kein Lockdown verfügt wurde. Ein Sieg der Warengesellschaft über die soziale Gesellschaft. So wie sich nun mit ökonomischen Argumenten erklären lässt, dass die Quarantänezeit verkürzt wird. Die schöne Begründung, dass es vor allem darum gehe, die sogenannte kritische Infrastruktur nicht durch erhebliche Personalausfälle zu gefährden, ließe die Frage genehm sein, warum diese kritische Infrastruktur denn in weiten Teilen so anfällig ist. Kann es sein, dass man sich um sie zu wenig gekümmert hat? Ist es möglich, dass spätestens die Pandemie genügend Argumente dafür liefert, eine Versorgung der Bevölkerungen mit notwendigen Impfstoffen und ausreichender medizinischer Versorgung nicht in den Händen privat organisierter Unternehmen zu belassen?Auf der anderen Seite steht die Frage: Auf welcher Grundlage hätte die Politik das denn tun sollen? Dafür müsste sie sich doch erst einmal, soweit es im Rahmen des Bestehenden möglich ist, vom Diktat des Kapitals emanzipieren.Ein wenig kühn ließe sich die These aufstellen, dass gegenwärtig diejenigen, die dem Wortmonopol der Entscheider*innen ausgesetzt sind, sich der in einer repräsentativen Demokratie damit notwendigerweise einhergehenden Ent-Mündigung weitaus mehr bewusst sind als jene, denen die Macht und die gewählte Verantwortung zukommen, jeden Tag zu entscheiden und dann zu erklären, wie es weitergeht.Gleichzeitig ist niemand aus der Verantwortung und Kritik zu nehmen, zieht er oder sie aus alldem den Schluss, dass es an der Zeit sei, den allergrößten Unsinn, die gruseligsten Verschwörungstheorien mit roher Gewalt und gewaltiger Rücksichtslosigkeit zu demonstrieren.Es stellt sich jedoch schon die Frage, welche Armutsrentnerin und welche Bedarfsgemeinschaft nun zu dem Ergebnis kommt, dass Boostern eine gute Idee ist, weil man sonst ja den Restaurantbesuch wird ausfallen lassen müssen. Und ob eine Impfpflicht, von der niemand sagen kann, ob die überhaupt durchzusetzen und organisatorisch zu bewältigen wäre, nicht ein gewaltiger Misstrauensantrag seitens der Politik an die Bevölkerung ist, nachdem es ihr wegen Unterlassungen, Fehlentscheidungen, mangelnder Transparenz, verwirrender Kleinstaaterei und hektisch-übertünchender Betriebsamkeit nicht gelungen ist, ausreichend Vertrauen aufzubauen.