Verblödende K-Frage

Demokratie Angela Merkel ist bald „weg“. Wird es ein Neuer richten? Warum ein Regierungswechsel noch lange kein Machtwechsel ist
Ausgabe 14/2021
Die Geschichte der immer noch jungen großen BRD hat bis jetzt noch keinen Beweis erbracht, dass ein Wechsel an der Regierungsspitze auch einen gesellschaftlichen Wandel nach sich zieht
Die Geschichte der immer noch jungen großen BRD hat bis jetzt noch keinen Beweis erbracht, dass ein Wechsel an der Regierungsspitze auch einen gesellschaftlichen Wandel nach sich zieht

Foto: Photothek/IMAGO

Was alles von Angela Merkel erwartet und erhofft wird, könnte als Beweis gelten, dass im Stammhirn unserer Gesellschaft der Glaube an die Obrigkeit und die alles heilende Führung fest verwurzelt ist. Immer wieder braucht es eine Person, die durchgreift und nicht nur verwaltet. Die entscheidet und nicht diskutiert. Die vorangeht und sagt, wie es zu laufen hat. Und wenn uns diese Person enttäuscht, bekommt sie Etiketten aufgeklebt. „Die Aussitzerin“. Oder „Merkeldämmerung“. Diese Etiketten erzählen viel über uns. Vielleicht ist es in einer Gesellschaft, deren Demokratie sich zu sehr an der Verbraucherin und am Verbraucher und zu wenig an Gestaltungswillen und Gestaltungsfähigkeit orientiert, auch gar nicht anders möglich. Als dass wir unseren Frust an jenen auslassen, die vermeintlich in persona sämtliche aktuellen Defizite verkörpern.

Der Glaube an einen einzigen gewählten Menschen und dessen Möglichkeiten, in einer Demokratie für die jeweils gewünschte Wende zu sorgen, ist in Zweckehe verheiratet mit der Vorstellung, dass ein Regierungswechsel zugleich ein Machtwechsel ist. Nicht ausgeschlossen. Aber die Geschichte der immer noch jungen großen BRD hat bis jetzt noch keinen Beweis erbracht, dass ein solcher Wechsel die Gesellschaft grundlegend verändert.

2,3 Millionen Einträge spuckt die Suchmaschine bei „Methode Merkel“ aus. Die K-Frage kommt auf 146 Millionen. Das ist nicht unwesentlich der vierten Gewalt zu verdanken, die in zyklischen Abständen die K-Frage zur Zukunftsfrage stilisiert. Dabei wird es kaum allzu viele Leute geben, die nachts nicht schlafen können, weil so unklar ist, ob Markus Söder, Armin Laschet, Annalena Baerbock oder Robert Habeck den nächsten Amtseid schwören werden.

Die mediale Degradierung von Demokratie und Politik bekommt durch dieses K-Gewäsch eine besondere Tragweite. Zehn Millionen Einträge „Merkel muss weg“. Nicht viel für eine Suchmaschine, die schließlich allem Schrott der Welt Herbergsmutter sein muss und in diesen Zeiten auch noch Platz für all das verstrahlte Zeug von rechts außen und noch weiter weg hat. Aber doch beachtlich, vermutet man dahinter zugleich auch die Hoffnung, ein Wandel machte sich daran fest, ob dieser eine Mensch sein Amt abgibt und ein anderer Mensch das Amt übernimmt.

Diese Hoffnung scheint nie zu sterben. Sie ist Dauergast in allen Talkshows mit stets denselben Gästen, den immer gleichen Fragen, den redundanten Antworten und den nachträglich produzierten Auswertungen, die sich darauf kaprizieren, zu entscheiden, wer die meisten Punkte und „bella figura“ gemacht hat. Die Hoffnung produziert Pseudo-Fragen am laufenden Band. Eine davon ist, ob wir nun kluge Verwaltung oder mutige Politik brauchen – als schlösse sich das aus. Oder noch schlimmer: als wäre das eine ohne das andere zu haben. Wobei klar zu sein scheint, dass Merkel für Verwaltung steht, was stets mit dem Begriff „aussitzen“ beschrieben, also für nicht klug befunden wird.

Kluge Verwaltung und mutige Politik. Wo in Berlin Straßenbahnen fahren, stehen oft Schilder mit der Aufschrift: „Vorsicht, eine Straßenbahn kann die andere verdecken!“ Hinter der elenden K-Frage versteckt sich ein viel fundamentaleres Problem. Nennen wir es die D-Frage. D für Demokratie, weil es immer schwerer wird, glauben zu machen, dass ein bloßer Wechsel im parlamentarischen Machtgefüge die Gesellschaft grundlegend ändern kann. Eine Voraussetzung könnte er schon sein. Aber auch die künftige Regierung mit einer Frau oder einem Mann an der Spitze wird sich mit den Defiziten der Wirtschaftsordnung – vielleicht ist das die eigentliche K-Frage, wenn wir es für Kapitalismus stehen lassen – und einer dieser Ordnung folgenden politischen und bürokratischen Verwaltung herumschlagen müssen.

2020 war nur noch jede und jeder achte Deutsche überzeugt, von einer wachsenden Wirtschaft zu profitieren. Mehr als die Hälfte war der Meinung, dass der Kapitalismus in seiner jetzigen Form mehr schadet als nützt. Darin ist die Hoffnung enthalten, dass es eine bessere Form bei Beibehaltung der Basis gibt. Kann man waghalsig finden, ist aber immerhin eine Handlungsoption. Eine bessere jedenfalls, als bis in alle Ewigkeit auf die Totengräber zu warten.

Nicht Angela Merkel, nicht Gerhard Schröder (dessen Regierung sollten wir nicht vergessen, die hat viele Grundlagen für das Gegenwärtige gelegt), nicht Helmut Kohl, sondern der Politik als Kollektivorgan haben wir zu verdanken, dass es uns in Pandemiezeiten an einer Fundamentalökonomie mangelt, die in der Lage wäre, ausreichend Infrastruktur zu garantieren, nicht nur im Gesundheits-, sondern auch im Bildungsbereich, um dem Virus etwas entgegensetzen zu können. Sorglos ist in den vergangenen Jahrzehnten privatisiert und ausgelagert worden. Als Mantra dieses Tuns galt stets die Versicherung, der Markt sei die beste aller Möglichkeiten, und zudem effizienter. Da, wo nicht privatisiert und ausgelagert wurde, folgte die Politik dem Prinzip des Runterhungerns. Der öffentliche Gesundheitsdienst steht Pars pro Toto für das Ergebnis dieses Tuns.

Solches Handeln als Nicht-Tun und Aussitzen zu beschreiben, verniedlicht die Sache ungemein. Das auch noch einer Person in die Schuhe schieben und uns erzählen zu wollen, mit der nächsten würde es besser, verkauft uns vollends für blöd.

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