Warum bist du denn immer so braun?

BERLIN-HOHENSCHÖNHAUSEN Der Stadtteil steht für die Klischees Platte, Stasi, PDS, Mielke, BFC Dynamo, Glatzen, Eisbären, Grünkohl

Ohne Gebrauchtwagen-Arenen ist der Weg nach Hohenschönhausen nicht zu denken. Sie liegen silbern-blau drapiert rechts und links der Einfallsschneise, mit hohem Wiedererkennungswert sicher für Bottroper und Salzwedeler, für Emmericher oder Bernburger. Prerower Platz, da fängt Hohenschönhausen richtig an, der jüngste Berliner Stadtbezirk mit 120.000 Menschen. Ein Ort, der für folgende Klischees steht: Platte, Stasi, PDS, Mielke, BFC Dynamo, Glatzen, Eisbären, Grünkohl. In wechselnder Reihenfolge.

"Wer hier wohnt, wird der nicht auch ein bisschen rechtwinklig? Glatzköpfig?", fragte jüngst eine Berliner Tageszeitung. Das sind Fragen, die in der öffentlichen Wahrnehmung keiner Antwort mehr bedürfen. Auf sie gibt es nur ein Ja. Man hüte sich darum, an einem sonnigen Samstag nach Hohenschönhausen zu fahren: Da bekommt man Bilder zu sehen, die stimmen nicht mit dem Gehörten überein, und Dinge zu hören, die verstärken es wieder auf ungeahnte Weise. Möchten Sie - angenommen, Sie haben oder hätten eine dunkle Hautfarbe - in Hohenschönhausen leben?

"Ich hatte ein wunderschöne Kindheit hier", sagt Julia, die ihrem Vater sehr ähnlich sehen soll, was sie nicht nachprüfen kann. Ihr Vater, den sie nur aus ganz frühen Kinderjahren kennt, ist Journalist und lebt irgendwo auf der Welt. Seine augenfälligste Hinterlassenschaft hier ist Julia mit ihrer Hautfarbe und ihrem Wunsch, den Vater, der aus dem Kongo stammt, und die Halbgeschwister, die es inzwischen gibt, wiederzufinden. Seit der zweiten Klasse, fast zwölf Jahre nun, hat Julia in Hohenschönhausen gelebt, mit ihrer Mutter und ihren beiden Geschwistern. Vor ein paar Wochen sind sie nach Prenzlauer Berg umgezogen. Julia besucht weiterhin die Schule in Hohenschönhausen. In wenigen Tagen macht sie Abitur.

Dann wird sie den Ort ihrer Kindheit endgültig verlassen. Manchmal wird sie noch Freunde besuchen, mit denen sie einst im kleinen Wäldchen hinter den Blöcken "geheime Akten" gefunden und wieder vergraben hat. Zu jener Zeit wohnten in den neuen Wohnhäusern Hohenschönhausens Lehrer und Ärzte und Anwälte und Künstler, sie waren privilegiert mit Bad, Warmwasser, Fernheizung, Balkon und in den meisten Fällen Schlittschuhen im Schrank. Es war der populärste Volkssport hier, durch die damals neue Eissporthalle und die legendäre Hockey-Mannschaft "Eisbären" stimuliert. "In Hohenschönhausen können wahrscheinlich alle Schlittschuhe laufen", sagt Julia. "Nur ich nicht."

Manchmal kommt Hohenschönhausen ins Gerede. Nach den Wahlen zum Beispiel, weil die PDS hier mehr als 45 Prozent erreichte und mit Bärbel Grygier eine parteilose Bürgermeisterin an die Spitze setzte, deren unkonventionelle Arbeitsmethoden nichts Gutes verhießen - der PDS nicht und den anderen ebenso wenig.

Oder vor zwei Jahren, als die Berliner Innenverwaltung kurz entschlossen eine NPD-Demonstration vom Brandenburger Tor, wo das gute Image der Stadt zu Hause ist, in Bussen nach Hohenschönhausen verfrachtete, wo es nicht vermutet wird. Dort gab man der NPD, vermeintlich fernab des öffentlichen Interesses, die Möglichkeit aufzumarschieren und ihre Parolen zu verkünden.

Diese Vorgehensweise hat sich so gut bewährt, dass in diesem Jahr Hellersdorf die Ehre zuteil wurde, der Innenverwaltung die peinlichen Rechten abzunehmen. Marzahn kann sich auf nächstes Jahr vielleicht schon freuen. Glatzen in die Platte. Zehlendorf und Charlottenburg Nord werden verschont.

"Überall in der Stadt", sagt Julia, "gibt es Orte, wo man zu bestimmten Zeiten nicht oder eben überhaupt nicht hingeht. Ich fahre nie über Lichtenberg, obwohl die Rechten wohl einen Ehrenkodex haben, Mädels nicht zu verprügeln. Aber ich war einmal dabei, wie ein Junge verprügelt wurde. Er saß meiner Freundin und mir schräg gegenüber, wir kannten ihn nicht, sein einziges besonderes Kennzeichen war ein Piercingring an der Augenbraue. Ein paar Rechte kamen in Lichtenberg in den Wagen, sie pöbelten ihn an, und plötzlich stieß ihm einer den Stiefel ins Gesicht. An der nächsten Station verschwanden sie. Mehr, als den Jungen danach nach Hause zu bringen, konnten wir nicht tun. Eine Anzeige hielt er für sinnlos.

Ich meide zu bestimmten Zeiten auch den Bahnhof Zoo, weil ich keine Lust habe, mich von schwarzen Männern anmachen zu lassen. In Hohenschönhausen bewege ich mich nicht in der Nähe der Ausländerwohnheime. Wo Ausländerwohnheime sind, treiben sich die Rechten rum. Aber manchmal gehe ich in einen Club, wo Rechte und auch Linke hingehen, denn das ist ein geschützter Raum, und manchmal werden dort noch Fragen gestellt und Argumente ausgetauscht."

Julia ist ihre eigene Stadtführerin, ihrer Klugheit und ihrer Erfahrung vertrauend. Sie liebt Hohenschönhausen, das ihre Erfahrungen hundert Mal bestätigt und hundert Mal gebrochen hat. Der erste Bruch fand noch zu DDR-Zeiten statt, in jenen Kindheitsjahren, als ihr beim Blick in den Spiegel klar wurde, dass eine andere Hautfarbe aus ihr auch einen anderen Menschen machte. - Warum biste denn immer so braun? Wo kommt denn dein Vater her? "Als Kind möchte man doch hin und wieder unsichtbar sein", sagt sie. "Aber ich konnte mich nicht unsichtbar machen. Wenn der Lehrer nach Kanditaten Ausschau hielt, für Übungen an der Tafel, waren plötzlich alle Mitschülerinnen und Mitschüler in meiner Klasse unsichtbar. Und dann saß ich da noch. Schwarz und absolut nicht zu übersehen."

"Es gab eine Zeit, so mit 14", erzählt Julia, "da habe ich mich nur auf meine Hautfarbe reduziert. Ich habe Bücher über Malcom X und Biografien schwarzer Männer und Frauen gelesen, nur noch schwarze Comedy-Serien geguckt, ich war zynisch gegenüber Weißen und habe viele geschockt damit. Damals brauchte ich diese Abwehr, um Stolz zu entwickeln."

Später habe sie die Erfahrung gemacht, wenn man länger befreundet ist, sehen die anderen die Hautfarbe nicht mehr: "Sie vergessen sie. Wenn ich heute sage: Fahrt ihr über Lichtenberg, ich steige in die Straßenbahn um, dann sehen sie mich ganz verwundert an, weil sie meine Hautfarbe vergessen haben."

Julia ist erwachsen geworden und stolz. Sie ist an Politik sehr interessiert. Das hat sich in Hohenschönhausen herausgebildet. Oder wegen Hohenschönhausen, wie man es nehmen möchte. Denn der Stadtteil war für sie eine Herausforderung. Obwohl sie betont: "Ich selbst wurde immer gut und freundlich behandelt. Ich spreche deutsch und ich bin nett. Mir ist es bisher nicht wie vielen Freunden von mir passiert, dass man mich als Zecke oder Vaterlandsverräter beschimpft."

Vor zwei Jahren, als die NPD in Hohenschönhausen aufmarschierte und die Claqueure aus dem Stadtbezirk auf den Plan rief, gründete sich ein "Bündnis gegen Rechts". Sein Ziel war nicht nur, künftig derartige Aufmärsche zu verhindern, sondern es ging auch darum, Gewissheit über Umfang, Struktur, Denken und Handeln jener rechtsextremistischen Gruppierungen und Organisationen zu erlangen, die nicht erst mit dem Bus nach Hohenschönhausen gebracht werden mussten, sondern schon da waren und jetzt da sind.

Und nun ist eine Studie erschienen, die aus demselben Anlass die Bürgermeisterin beim "Zentrum Demokratische Kultur" in Auftrag gegeben hat. Sie deckt auf, wie stark die Bedrohung demokratischer Strukturen ist, die nicht allein von rechten Skins und rechtsextremen Hooligans im Fanbereich des BFC Dynamo ausgeht, sondern in den Köpfen all jener nistet, die "Geborgenheit, Kultur, Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit" für deutsche Primärtugenden halten. Mit dieser Melange von Werten und den daraus erwachsenden Vorurteilen unterfüttern sie ihre Meinungen und Absichten.

"Siehst Du, wie ordentlich hier immer der Müll weggeschlossen wird?", fragt Julia. "Einmal habe ich eine alte Frau angesprochen, die eine andere Frau, eine Sinti, wegjagte, die im Müll nach brauchbaren Sachen suchte. Schließen Sie doch den Müll nicht ab, hab ich der alten Frau gesagt, das sind doch alles Dinge, die Sie weggeworfen haben und nicht mehr brauchen. - Aber die Frau hat rumgeschrien, die Zigeuner würden hier alles in Unordnung bringen, sie sollten sich ihre Sachen woanders suchen. Ich habe mich tierisch darüber aufgeregt und es in der Schule erzählt, und dann sagte mir eine Freundin, die alte Frau hätte doch Recht, die Zigeuner sollten sich einfach ordentlich benehmen. Das hat mich schockiert."

In der Studie steht, es gelte in allen Altersgruppen und Milieus allgemein als legitim und normal, Ausländer in ihrem Dasein in Deutschland direkt oder verschämt abzulehnen. Es werde ein "Klima sichtbar, in dem sich Migranten nicht direkt wohl fühlen, Mobbing zum Alltagserlebnis geworden ist und Abgrenzung und Ausgrenzung besteht". In das Raster dieses Denkens gehörten nicht nur Migranten, sondern auch sogenannte "Undeutsche".

In Hohenschönhausen hat man da eine Erfahrung gemacht, die jetzt als typisch für diesen Ort gilt, obwohl sie an jedem anderen Ort genauso denkbar wäre: Die Bezirksbürgermeisterin Bärbel Grygier hatte den Bewohnern der Wagenburg einen Platz im Stadtteil in Aussicht gestellt, nachdem die Plätze im Zentrum der Stadt von den uneleganten Randgruppen und ihren Erscheinungsweisen gesäubert werden sollten, dem Image zuliebe. Als die Wagenburgler, die "Rollheimer", angekündigt wurden, brach ein Sturm der Entrüstung los in Hohenschönhausen. Die Bürgermeisterin erhielt wüste Beschimpfungen, man legte ihr, um den Ernst der Lage zu untermauern, eine "ermordete" Barbiepuppe vor das Bezirksamt. Damals brachten es die Leute fertig - ohne Gespür für die darin enthaltene Komik - Nazis raus und Rollheimer raus zu brüllen. In einem Atemzug.

"In meiner Klasse", erinnert sich Julia, "haben sie gesagt, es sei völlig falsch, die Rollheimer hierher, nach Hohenschönhausen, zu lassen. Der Wert der elterlichen Gartengrundstücke würde gemindert. Das muss man sich mal vorstellen! Ich war enttäuscht und resigniert und ganz allein mit meiner Meinung. Es hätte den Hohenschönhausenern gut getan, mit einer anderen sozialen Schicht konfrontiert zu werden. Hier ist doch alles in Ordnung."

45 Prozent PDS-Wählerinnen und PDS-Wähler garantieren für gar nichts und für vieles. Widerstand gegen Sozialabbau ist von ihnen immer zu erwarten. Aber genauso der Widerstand gegen jene, die bereits Opfer des Sozialabbaus geworden sind und deren Erscheinung oder Lebensweise dies augenfällig dokumentiert. Ein ehrlich gemeintes "Bündnis gegen Rechts" lässt sich mit diesen Wählern schmieden und ebenso ein informelles, aber mächtiges Bündnis gegen die Rollheimer.

Julia steht inmitten des riesigen grünen Innenhofs, der viele Jahre lang ihr Terrain war. "Hohenschönhausen ist ein einziger Spielplatz", sagt sie. Der Hof ist umgeben von sanierten Häusern, aus deren oberen Stockwerken man weit ins Land gucken kann. In Hohenschönhausen gibt es neue Schulen, deren prachtvolle Architektur Offenheit und Moderne verkörpern. Julia geht auf eine solche Schule, an der Grenzlinie, wo keine Platten mehr stehen und Dorf beginnt.

"Wir reden in der Schule sehr viel über Politik", erzählt sie. "In Politikwissenschaft und im Geschichtskurs wird wirklich heiß diskutiert. Aber hier laufen, genauso wie anderswo, Leute rum, die ein T-Shirt mit Che Guevara tragen, und wenn du sie fragen würdest, wer das ist, wüssten sie nicht mehr, als dass der Typ cool aussieht. In den ersten Jahren nach der Wende habe ich gedacht, dass Hohenschönhausen sich ganz nach rechts entwickeln wird. Aber so ist es nicht gekommen. In den Hinterhöfen der Innenstadt wird viel mehr Jagd auf ›Zecken‹ gemacht als hier."

Die Jugendlichen von damals sind erwachsen geworden. Bei vielen haben sich ihre Ängste bestätigt. Sie leben heute von Sozialhilfe. "Das ist hier manchmal auch wie ein Dorf. Du kannst sehen, wie die Leute groß werden und was aus ihnen wird. Aber wie willst du von außen sehen, was die Leute hinter den Wänden denken?"

"Hier", sagt Julia und bleibt vor einem Eingang stehen, "hier haben wir früher gewohnt. Manchmal vermisse ich Hohenschönhausen. Obwohl du hier im Winter echt Depressionen kriegen kannst. Aber wenn es schneit, ist alles weiß - die Häuser, die Straßen, die Bäume. Ich nicht. Wunderschön, sag ich dir."

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