Ab in den Winterurlaub? Das sind die tatsächlichen Folgen des Skifahrens in den Alpen
Umweltkatastrophe Arbeitsplätze, Natur und Sport? Eigentlich ist der massenhafte Skitourismus nur die Folge einer klimatischen Ausnahmesituation vor 50 Jahren. Den Weg in die Zukunft weist der österreichische Alpenverein
Smaragdgrün leuchtete der kleine Gandasee am Fuße der Madrisa inmitten pinkfarbener Alpenrosen. Wir genossen das Idyll im Montafon, als uns ein ohrenbetäubender Krach aufschreckte. Es klang, als hätte sich eine Steinlawine über uns gelöst. Als wir unsere Wanderung fortsetzten, trauten wir unseren Augen nicht: Der Weg führte durch eine Großbaustelle, die mitten im Hochgebirge vor uns auftauchte. Daher rührte der Lärm also!
Auf 2.200 Metern bewegten monströse Kipplader das Gestein hin und her, dicker Dieseldunst hing in der Luft, Motoren röhrten, Bagger schlugen ihre Schaufeln tief in den Boden. Ein Skigebiet sollte hier vergrößert werden, dafür wurde ein zweiter gigantischer Speichersee für Schneekanonen ausgehob
n ausgehoben. Denn weil die Temperaturen in den Alpen doppelt so schnell steigen wie im globalen Durchschnitt, ist Skifahren ohne Kunstschnee kaum mehr denkbar.In Österreich werden bereits 70 Prozent der Skigebiete künstlich beschneit, in der Schweiz 45, in Südtirol 90 Prozent. In Frankreich setzt mehr als ein Drittel der Skigebiete auf Kunstschnee, in Deutschland ein Viertel. Mehr als 80.000 Schneekanonen beschneien 100.000 Hektar Pisten in den Alpen. Dafür braucht es pro Saison dreimal so viel Wasser, wie München, Deutschlands drittgrößte Stadt, im ganzen Jahr benötigt. Und so viel Strom wie eine halbe Million Haushalte. Eine Verschwendung, die angesichts des vierten Hitzesommers in Folge, ausgetrockneter Flüsse, schmelzender Gletscher, frühlingshafter Weihnachtstage und der Energiekrise umso monströser erscheint.Staatliche SkikanonenDabei ist Skifahren an sich schon eine menschengemachte Umweltkatastrophe. 2017 erschien eine Studie des Biologen Alfred Ringler. In dieser „Ringler-Studie“ wurden erstmals systematisch die ökologischen Schäden untersucht, die der Skitourismus in den Alpen hinterlässt. Ergebnis: Sie sind gewaltig! Wälder wurden und werden gerodet, Bäume entwurzelt, Böden planiert, Felsen gesprengt, Moore vernichtet, Flächen bebaut und versiegelt. Lebensraum für wichtige Wanderkorridore für Wildtiere werden zerschnitten; der Lärm von Schneekanonen und Planierraupen stört die Tiere in der Nacht und vertreibt sie. Pistenbullys brauchen jede Menge Diesel und blasen Feinstaub in die Bergluft, außerdem reisen die meisten Skitouristen mit dem Auto an. All das setzt dem alpinen Ökosystem schwer zu.Der Skitourismus verschärft die Folgen noch: Speicherseen für Kunstschnee, die sich aus Quellen, Bergseen oder Bächen speisen, bringen den Wasserhaushalt durcheinander. Kunstschnee schmilzt später und verändert die Vegetation, die Blühzeit verschiebt sich, was zu Artenschwund führt. Die ruinierten Böden speichern das Wasser kaum, das lässt den Grundwasserspiegel sinken und begünstigt bei Starkregen Erdrutsche und Schlammlawinen. Und weil es in niedrigen Lagen unter 1.200 Metern keine Schneesicherheit mehr gibt, verschiebt sich der Skitourismus in immer höhere, ökologisch sensible Gebiete. Das ist nicht nur ökologisch, sondern auch sozial problematisch.Erschließung und Betrieb von hoch gelegenen Skigebieten sind kostenintensiv, das können sich nur große Player leisten. Konzerne, Hotelketten und Aktiengesellschaften dominieren die Berge. „Es gibt einen knallharten Verdrängungswettbewerb der Skigebiete, bei dem nur mithalten kann, wer sich ständig vergrößert“, sagt Werner Bätzing, Alpenforscher, emeritierter Professor für Kulturgeografie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Autor des Buchs Die Alpen. Das Verschwinden einer Kulturlandschaft. Er schätzt, dass in den vergangenen 20 Jahren bis zu 300 kleine Skigebiete in den Alpen aufgegeben haben, vor allem in den niedrigen und mittleren Lagen. Die großen aber werden immer größer: Les Trois Vallées in Frankreich ist eines der größten zusammenhängenden Skigebiete der Welt, mit mehr als 600 Kilometern Piste auf bis zu 3.200 Metern Höhe, 200 Skiliften und 25 miteinander verbundenen Gipfeln. Es gibt Pläne für einen Zusammenschluss dreier großer Skigebiete in den französischen Alpen mit insgesamt 800 Kilometern Piste. Ein absurder Überbietungswettbewerb. Denn tatsächlich schrumpft der Markt: Die Zahl der Skifahrenden in Europa stagniert seit 25 Jahren bei rund 40 Millionen. Sie wird sinken, weil der Altersdurchschnitt steigt, die Geburtenrate fällt und Skifahren sich zum teuren Luxus entwickelt. „Deshalb versucht die Ski-Industrie mit aller Macht, den asiatischen Markt zu erschließen“, sagt Bätzing.Vor allem auf China hätten es Liftbetreiber und Co. abgesehen: Dessen Regierung versprach, dass bis zu den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking 300 Millionen Menschen dort Ski fahren könnten. „Wenn man davon nur ein oder zwei Prozent nach Europa locken könnte, wären alle Wachstumsprobleme des Skibetriebs gelöst“, sagt Bätzing. Die Investitionen, die im Alpenraum zuletzt getätigt wurden, zielten jetzt schon auf Gäste aus China und Indien.Etwa die umstrittene V-Bahn, das größte Infrastrukturprojekt der Alpen, die im Dezember 2020 eröffnet wurde: eine Seilbahn, die eineinhalb Stunden schneller zum Jungfraujoch und zurück fährt. „Damit wird das ein Halbtages- statt Tagesausflug für die asiatischen Gäste“, sagt Bätzing. „Das muss man sich mal überlegen: Für so einen Marketinggag wird für mehr als 400 Millionen Euro eine neue Bahn gebaut.“ Und der Blick auf die berühmte Eiger-Nordwand verschandelt. In Zermatt wird gerade eine Seilbahn vom Klein Matterhorn über den Alpenhauptkamm zur italienischen Grenze in Testa Grigia gebaut. „Auch das zielt auf asiatische Touristen, die eine Europa-Tour machen und auf dem Weg von Rom nach Paris aus dem Zug aussteigen und mit der Seilbahn am Matterhorn vorbeischweben können.“ Im Zuge dessen würde auch diskutiert, ein unberührtes Seitental am Matterhorn skitechnisch zu erschließen und dafür die Schutzbestimmungen auszusetzen. „Die Umweltgesetze sind lückenhaft, und Lücken werden genutzt“, sagt Bätzing.Argumentiert wird stets mit Arbeitsplätzen – das geht in Bayern sogar so weit, dass Skikanonen staatlich subventioniert werden. Aber in Wahrheit hat die lokale Bevölkerung gar nichts von diesem Skizirkus: „Kleine Anbieter, Privatzimmer, Pensionen, Gasthöfe und Hotels mit ein bis drei Sternen sind längst verschwunden oder haben große Probleme, wenn sie sich nicht verschulden und teuer ausbauen“, sagt Bätzing. „Die großen Hotels gehören internationalen Ketten, nicht Einheimischen – und wenn doch, dann bestimmen Banken und Kreditgeber das operative Geschäft.“ In Hotels werden Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland zu niedrigen Löhnen beschäftigt. Skiorte, die in diesem Wettbewerb bestehen wollen, müssten ständig wachsen.Alternative BergsteigerdorfDas wiederum führe zu einer Verstädterung in den Alpen, zu Lärm, Verkehr, Umweltverschmutzung – und Verdrängung durch steigende Mieten und Lebenshaltungskosten. Kein Wunder, dass Proteste gegen geplante Wintersport-Großprojekte wachsen: Die Initiative „NOlympia“ und ein Bürgerentscheid verhinderten die Olympischen Winterspiele 2022 im bayerischen Garmisch-Partenkirchen, in Tirol wehrten sich Bürgerinnen und Bürger gegen den Zusammenschluss der Skigebiete Ötztal-Pitztal, auch am Riedberger Horn im Allgäu wurde eine Skischaukel deshalb nicht gebaut.„Diese Tourismus-Ballungen müssen zugunsten eines dezentralen, umweltfreundlichen und kleinteiligen Tourismus aufgelöst werden“, sagt Bätzing. „In vielen Tälern im Alpenraum braucht es dringend Arbeit, Landwirtschaft und Handwerk stehen nicht gut da, Schulen schließen.“ Bergsteigerdörfer, wie sie der österreichische Alpenverein vor 15 Jahren initiierte, sind eine Alternative: Es gibt sie in Österreich, Deutschland, Italien, Slowenien und in der Schweiz. Sie sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar, es gibt dort keine Hotelkomplexe und keine monströse technische Erschließung – stattdessen lokale kulturelle Vielfalt, intakte Natur, kleine Gastbetriebe, regionale Versorgung. Eigentlich genau das, was viele Menschen anspricht. Aber Skifahren? „Das hat langfristig keine Zukunft, es ist weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll“, meint Bätzing. Eigentlich ist der Skitourismus ja sowieso nur einer klimatischen Ausnahmesituation geschuldet: Trotz Klimaerwärmung ist es in den 1960er und 1970er Jahren in einigen Wintern kälter geworden. Es gab im ganzen Alpenraum bis in tiefe Lagen hinein regelmäßig richtig viel Schnee. In dieser Zeit entstand der Ski-Massentourismus, von dem damals noch viele kleine und lokale Akteure profitierten, ohne große ökologische Schäden anzurichten. Doch Ende der 1980er kam der Bruch: Drei schneearme Winter folgten aufeinander, seither kommen Schneekanonen zum Einsatz, und es muss immer mehr Aufwand betrieben werden, um Skigebiete zu unterhalten und das gestiegene Komfortbedürfnis der Skifahrenden zu befriedigen. Genau genommen wird der Skibetrieb seit mehr als 30 Jahren künstlich am Leben gehalten.Künstlich sind auch die vermeintlichen Erlebnisse, die er bietet: „Das Eindrücklichste, was die Alpen vermitteln, ist, dass man fühlt, wie groß die Natur ist und wie klein der Mensch“, sagt Bätzing. „So ein Naturerlebnis ist in den künstlichen Skigebieten gar nicht möglich, da gibt es nur standardisierte, austauschbare Erlebnisse, die man kaufen kann.“Wer außerhalb der Saison durch Skigebiete wandert, dem erschließt sich die ganze Ignoranz und Gewalttätigkeit, mit der die Bergwelt zu Freizeitparks umgebaut wird. Ist der Kunstschnee geschmolzen, gibt er Industriegebiete frei: Kabel und Stromleitungen am Boden, triste Speicherbecken, Flutlichtanlagen, zerschundene Hänge und Wiesen, Stahl, Schrott, Beton.Im Montafon begleiteten uns Abgasgestank und Baulärm noch über viele Höhenmeter. Bis wir schließlich am Madrisajoch standen – hoch über dem stillen Gandatal, mit Blick in die imposante Silvrettagruppe. Wie zugebaut die bereits heute ist, das konnten wir aus dieser Entfernung zum Glück nicht erkennen.