Alle reden über Corona. Aber wir vergessen, dass es noch eine andere globale Herausforderung gibt, die uns wahrscheinlich noch viel länger beschäftigen wird. Das ist der Erhalt unseres Planeten, das ist der Klimawandel, das ist der Artenschutz, um den es geht. Da sind wir in einer der schwierigsten Epochen der Menschheitsgeschichte. Darum dürfen wir dieses Thema nicht ausblenden, wir müssen es ernst nehmen.“ Das ist kein Zitat von „Fridays for Future“, sondern eines des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Während er diese Worte in die Kamera spricht, schreitet er bedächtig durch den frisch renovierten Ministersaal der Staatskanzlei. Hinter ihm sprießen Pflanzenwände: „ein Statement“ dafür, dass die Staatskanzlei „jetzt auch von innen ergrünt“. Meint Söder das ernst?
Oktober 2018: Bei der bayrischen Landtagswahl kassiert die CSU mit 37,2 Prozent das schlechteste Ergebnis seit 68 Jahren. Die Grünen hingegen feiern einen historischen Sieg: Mit 17,6 Prozent werden sie zur zweitstärksten Kraft in Bayern. Ein Vierteljahr später stehen vor den Rathäusern im Freistaat Menschen Schlange, um das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ für Artenvielfalt zu unterzeichnen, initiiert von der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), unterstützt von den Grünen sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen. Über 1,7 Millionen unterschreiben, 18,3 Prozent der bayrischen Stimmberechtigten.
Er umarmt eine Platane – Foto!
„An solchen gesellschaftlichen Mehrheiten kommt auch Markus Söder nicht vorbei, das hat er verstanden und darauf hat er reagiert“, sagt Norbert Schäffer, Vorsitzender beim Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV), der zu den Trägern des Volksbegehrens gehört. Und zwar ratzfatz: Im April verkündet Söder, dass er den Gesetzesentwurf des Volksbegehrens komplett übernehmen wird – gegen den Widerstand der Freien Wähler, des Bauernverbands und der Hardliner in der CSU. Söder setzt, wie so oft, noch einen drauf und erweitert die Forderungen zu einem „Volksbegehren plus“. Auf Instagram postet Söder ein Foto: Er sät Blumen für einen „Bienen-Highway“. „Er ist nicht gern der Getriebene, er will lieber Macher sein“, sagt Schäffer.
Markus Söder ist kein Politiker, der eigene Inhalte setzt. Für ihn wird ein Sachgrund erst interessant, wenn die Stimmung dazu passt. So jedenfalls beschreiben es Roman Deininger und Uwe Ritzer in ihrem Buch Markus Söder. Der Schattenkanzler. Die Orientierung an gesellschaftlichen Gefühlslagen kann man opportunistisch nennen. Oder Instinkt. Söder hat dafür ein eigenes Wort: „Bauchdemoskopie“. Und der gelernte Fernsehredakteur weiß um die Macht der Bilder. Im Juli 2019 lässt er sein Klimakabinett im Hofgarten hinter der Staatskanzlei tagen. Dort verkündet er, dass Bayern das erste klimaneutrale Bundesland werden soll. Wann? „2040 plus.“ Dann umarmt er für die Fotografen eine Platane. Die Ergrünung des schwarzen Ministerpräsidenten geht durch die Medien. Er zeigt sich mit Klimawissenschaftlern vor dem Zugspitz-Gletscher und beim Bäumchenpflanzen. In der Bild am Sonntag poltert er in Richtung der Grünen, die wahre Umweltpartei sei die CSU, die „Bewahrung der Schöpfung“ ihr „Urmotiv“.
Das verfängt durchaus bei konservativen Wählern. Nach dem GAU in Fukushima 2011 standen im Chiemgau jeden Montagabend Menschen in Dirndl und Lederhosen vor der Kirche in Traunstein und skandierten „Abschalten!“; in den Gärten wehten Bayernflaggen mit Anti-Atom-Motiv. Als 2015 der G7-Gipfel in Elmau bei Garmisch-Partenkirchen tagte, versorgten die Katholischen Landfrauen das Protestcamp mit veganem Apfelstrudel. In Bayern sind die Grenzen zwischen schwarzen Grünen und grünen Schwarzen fließend.
Naturschutz hat in Bayern Tradition, daher die schönen Landschaften, die der CSU als Kulisse dienen. „Das haben wir alles nicht wegen, sondern trotz der CSU“, sagt Gertraud Angerpointner, Bio-Bäuerin und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in Bayern: „Das ist das Verdienst der ländlichen Bevölkerung, von engagierten kleinen Betrieben und traditionellen Landwirten.“ Auch klimabesorgte Erstwählerinnen, Großstädter und Frauen können mit vermännerter Bierzeltpolitik wenig anfangen. Dass sich die CSU verändern müsse, sagt Söder schon lange. Seine Partei lässt ihm daher den Chef-Umweltschützer durchgehen. Bereits vor der Corona-Krise waren 67 Prozent der Bayern mit seiner Arbeit zufrieden. Im CSU-Fanshop kann man jetzt Papier-Trinkhalme, Holzkulis sowie Blumensamen kaufen. Und Stofftaschen, auf denen „Markus Söder“ steht.
Wenige Tage bevor Söder den Baum umarmte, war Ramona Wüst, Sprecherin von „Fridays for Future“ in Bayern, mit anderen Aktivistinnen beim Ministerpräsidenten eingeladen. „Ich hatte das Gefühl, dass er genau weiß, worauf wir zulaufen. Er ist sich über die Fakten im Klaren“, sagt Wüst. Wenn es aber um die Dimensionen dessen gehe, was in Sachen Klimaschutz passieren müsste, heiße es: Da gehen die Leute nicht mit. Das schlägt sich auch im Entwurf des Bayerischen Klimaschutzgesetzes nieder. Dort „dominieren Soll- und Kann-Bestimmungen, die auf Anreizsysteme und Freiwilligkeit setzen“, monieren die „Scientists for Future“. Es fehle der Mut zu wirkungsvollen politischen Maßnahmen.
Nachhaltig geht anders
Als Umweltminister im Kabinett Seehofer I setzte Söder ein gentechnikfreies Bayern und – gegen heftigen Widerstand in der CSU – einen naturnahen Ausbau der Donau durch. Obwohl er stets pro Atomkraft war, ließ er nach Fukushima sofort das Atomkraftwerk Isar 1 vom Netz nehmen. Als Finanzminister unterstützte er die Pläne für einen Skilift am Riedberger Horn im Allgäu, für dessen Bau der Alpenschutzplan aufgeweicht werden sollte. Er befürwortete die Bewerbung Bayerns für die Olympischen Winterspiele und die dritte Startbahn am Münchner Flughafen. Letzterer erteilte Söder nun zwar selbst eine Absage. Die Bewerbung für die bayrischen Winterspiele aber verhinderte ein Volksentscheid.
„Ohne öffentlichen Druck passiert gar nichts“, kritisiert Christian Hierneis, Landtagsabgeordneter der Grünen in Bayern, BUND- und LBV-Mitglied. Das „Volksbegehren plus“ bestünde bislang vor allem auf dem Papier. Die Kartierung von Biotopen käme nur schleppend voran. In fünf Jahren sollen 30 Millionen neue Bäume gepflanzt werden – klingt viel, tatsächlich hatte das Aufforstungsprogramm der Bayerischen Staatsforsten für diesen Zeitraum ohnehin 25 Millionen neue Bäume auf dem Plan. Abgerodet werde wie eh und je: für Gewerbegebiete, Straßen und Kiesgruben. An den Abstandsregeln für Windräder will Söder nicht rütteln. Dabei hat die H10-Regel den Ausbau der Windenergie in Bayern fast zum Erliegen gebracht: Ganze acht neue Windräder wurden 2018 gebaut. Die Flächenversiegelung schreitet fort, auch weil Söder als Finanzminister die Vorschriften für den Bau von Gewerbegebieten so gelockert hat, dass diese nun in der freien Natur errichtet werden können. Die ganz großen Brocken bleiben außen vor – wie die Autoindustrie. Gerade erst forderte Söder ein Verbot von Verbrennern bis 2035 (das hatte er 2007 schon gefordert, „bis 2020“).
Söders „Bauchdemoskopie“ aber könnte dennoch grünen Wandel bringen – wenn die Gesellschaft ihn durchsetzt. „Wenn diejenigen, die an einer echten Transformation interessiert sind, stark genug sind und das bei Wahlen bedrohlich wird, wird Söder seine Meinung ändern“, sagt Richard Mergner, Vorsitzender des BUND in Bayern, „das birgt Chancen – aber nicht nur für uns, sondern auch für diejenigen, die an einem ‚Weiter so‘ Interesse haben.“ Kürzlich schlug Söder vor, beim Kauf eines Verbrenners einen „Transformationsgutschein“ für ein E-Auto zu verteilen. Zwei Autos zum Preis von einem. So geht grün angestrichener Kapitalismus. Nachhaltig geht anders.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.