Ernte Undank

Urban Gardening Aus einer guten, grünen Sache wird der unfreiwillige Helfer der Gentrifizierung
Ausgabe 22/2019

Es ist ein „Zukunftsort“, besungen im Genre der Immobilienmaklerprosa: „Wohnen, Arbeiten und Leben – das war schon immer das Erfolgsrezept des Bezirks. Heute trifft sich hier die internationale Business-Avantgarde. Zwischen Handwerk und Manufakturen, Kreativindustrie und digitalen Pionieren, Sterne-Restaurants und Coffee-Shops, zwischen Urbanität und grüner Idylle pulsiert eine hochattraktive Mischung aus Arbeiten, Wohnen und Leben.“

So wirbt die Kölner Immobilienfirma Pandion für den „Zukunftsort“ The Shelf, ein fünfstöckiges Gebäude für Büros, Gewerbe und Gastronomie, das auf dem Gelände der Autovermietung Robben & Wientjes an der Prinzenstraße in Berlin-Kreuzberg entsteht. Mehr als 150 Millionen Euro kostet der „Hub für Zukunftsunternehmen“, der 2021 fertig sein soll.

Dann allerdings könnte die „grüne Idylle“, die hier als Verkaufsargument bemüht wird, bereits verschwunden sein.

Denn der Prinzessinnengarten, dessen unmittelbare Nachbarschaft Pandion auf der Homepage besonders hervorhebt, muss womöglich weichen. Der Mietvertrag des bekanntesten deutschen Urban-Gardening-Projekts läuft 2020 aus. Ein Teil des Gartens wird noch dieses Jahr umziehen – auf den Jacobi-Friedhof an der Hermannstraße in Berlin-Neukölln.

Mehr als 100 solcher Gemeinschaftsgärten gibt es in Berlin – etliche davon sind, wie der Prinzessinnengarten, akut von Vertreibung bedroht. Sie wurden unfreiwillig Teil der spekulativen Aufwertung der Stadtflächen, der sie jetzt zum Opfer fallen. So hat etwa das Projekt „Prachttomate“ in Neukölln die Hälfte seiner Gartenfläche an die Baugruppe Bo11 verloren, die dort ein Gebäude mit exklusiven Eigentumswohnungen errichten will.

„Die Planung integriert auch ein lokales Urban-Gardening-Projekt auf seinem Grundstück – wir freuen uns auf unsere Nachbarn“, warb Bo11 – jedenfalls so lange, bis die Gärtnerinnen und Gärtner heftig widersprachen und im Gegenzug eine Barrikade mit Holzkisten und einem Banner mit der Aufschrift „Baugruppen zu Fischstäbchen“ errichteten. Ein Konzept für soziale Mietwohnungen und eine Kita auf dem städtischen Grundstück, das die „Prachttomate“ stattdessen vorschlug, lehnten Bezirk und Senat ab.

Hübsch mir mal die Brache auf

Seit der Finanzkrise sind die Grundstückspreise in Berlin explodiert – in manchen Vierteln haben sie sich verzehnfacht. „Der Moritzplatz gehört heute mit einem Grundstückspreis von 5.000 Euro pro Quadratmeter zu den teuersten Flächen Berlins“, sagt Marco Clausen, der den Prinzessinnengarten vor zehn Jahren mit Robert Shaw gründete. Während seither auf der 5.800 Quadratmeter großen Fläche 500 verschiedene Gemüse- und Kräutersorten in Hochbeeten, Bäckerkisten und Reissäcken wuchsen und eine grüne Oase mitten in der Stadt gedieh, habe sich der Grundstückspreis dort mehr als vervierfacht. „Aber das war damals überhaupt nicht abzusehen“, sagt der 45-Jährige, „die Gegend war in keinster Weise gentrifizierungsverdächtig. Es gibt hier keine schönen Altbauten, sondern 60er-Jahre-Architektur, drumherum lag vor allem Gewerbe, niemand hat sich für die Gegend interessiert.“ Und mittendrin die Industriebrache, die seit 60 Jahren vor sich hin verwahrloste. Bevor die ersten Beete bepflanzt werden konnten, mussten zwei Tonnen Müll weggeräumt werden – alte Matratzen, Reifen, Kühlschränke, Fernseher, Autobatterien.

„In den folgenden drei Jahren hat sich dann alles verändert“, sagt Clausen. Direkt neben dem Prinzessinnengarten entstand das Aufbauhaus, mit Kreativindustrie und entsprechender Gastronomie. Schon 2012 stand der Prinzessinnengarten zur Disposition, das städtische Gelände sollte an einen Immobilieninvestor verkauft werden. Den Pachtvertrag über insgesamt drei Jahre hatte der Prinzessinnengarten mit dem Berliner Liegenschaftsfonds, einer stadteigenen Immobilienfirma, abgeschlossen. Damals gelang es, den Verkauf zu verhindern. 30.000 Menschen hatten die Protestaktion „Wachsen lassen!“ unterschrieben. Doch das verschaffte dem Prinzessinnengarten nur einen Aufschub.

Fast alle Urban-Gardening-Projekte haben nur Verträge zur Zwischennutzung. Genau darin sieht Clausen teilweise Kalkül: „Die Zwischennutzung wird ganz bewusst zur Aufwertung eingesetzt.“ Schließlich bestand der Auftrag des Liegenschaftsfonds darin, Flächen und Gebäude in kommunalem Besitz meistbietend auf internationalen Messen zu verkaufen. „Und vermüllte Brachen oder eine verwahrloste Umgebung sind da nicht besonders attraktiv.“

Mittlerweile haben die Immobilienkonzerne Zwischennutzungen sogar selbst als Mittel zum Marketing und zur Aufwertung entdeckt. Vor dem Abriss der Robben-&-Wientjes-Gebäude an der Prinzenstraße inszeniert die Immobilienfirma Pandion diese als „Off-Location“ für Kunstschaffende und Partys. Vergangenes Jahr stellten dort die Nominierten des „Berlin Art Prize“ aus, ebenso Studierende der Kunsthochschule Weißensee – gegen heftigen Protest. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Pandion via Zwischennutzung als Kulturförderer präsentiert: Mit dem Projekt „The Haus“ in Charlottenburg ließ das Unternehmen einen Bürokomplex zum Street-Art-Museum umgestalten. Heute entstehen dort Luxuswohnungen. Clausen fürchtet, dass der Bürokomplex The Shelf die Wohnungs- und Gewerbemieten explodieren lassen und Bodenpreise nach oben treiben wird.

Dass sie ungewollt zur Aufwertung missbraucht werden, merken die Stadtgärtner auch an anderer Stelle: Sie dienen nicht nur Immobilieninvestoren als Verkaufsargument für eine besser verdienende Klientel. Ausgerechnet jene Orte, die dem Konsumzwang etwas entgegensetzen wollen, werden von Konzernen kopiert und, ungefragt, als Werbekulisse benutzt.

2016, im selben Jahr, in dem Vattenfall seine schmutzige Kohlesparte verkauft hatte, eröffnete der Energiekonzern seinen ersten Stadtgarten in Berlin-Mitte. Ein Jahr später folgte der zweite, bezeichnenderweise am alten Heizkraftwerk Mitte. Der Konzern, der mit solchen „Nachbarschaftsgärten“ sein gemeinnütziges und grünes Engagement bewirbt, verklagte auf der anderen Seite die Bundesrepublik wegen des Atomausstiegs auf fast fünf Milliarden Euro Schadenersatz für „entgangene Gewinne“. „Vattenfall + Gärtnern = Trump + Klimaschutz“ stand auf einem der Protestplakate, die die Szene an den Gartenzaun von Vattenfall heftete. Auch der Versandhändler Zalando will eigene „Gemeinschaftsgärten“ gründen, der Lieferdienst Delivery Hero, bekannt für miserable Arbeitsbedingungen bei seiner ehemaligen Tochterfirma Foodora, diente sich der „Prachttomate“ in Neuköln an und wollte Mitarbeiter zum ehrenamtlichen Gärtnern vorbeischicken.

Aldi wirbt mit Allmende

In Frankfurt am Main sponserte ausgerechnet die Flughafenbetreiberfirma Fraport den Frankfurter Garten. Der Discounter Aldi drehte für seine Werbekampagne „Einfach ist mehr“ mit dem Rapper Fargo auf dem Tempelhofer Feld. Seinen Song über die „alles begrabende nutzlose Vielfalt“ trug er ausgerechnet auf einer Holzbank im Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor vor, dort also, wo mit lila Bohnen aus Ungarn und roten Kartoffeln aus Schweden die Vielfalt wächst. Weder Aldi noch die Werbeagentur hatte die Gärtnerinnen und Gärtner um eine Dreherlaubnis gefragt – genauso wenig wie das Film-Team, das im Auftrag von EON einen als Huhn verkleideten Mann im Prinzessinnengarten für eine Guerilla-Marketing-Aktion filmte.

„Die Eigentumsform hat sich derart verändert, dass es kaum mehr möglich ist, alternative Projekte, die für eine sozial und ökologisch gerechte Stadt jenseits von Wachstumswahn und Profit stehen, auf die Beine zu stellen, ohne dass die zur Waregemacht werden“, kritisiert Clausen. Das Garten-Kollektiv, zu dem auch das Allmende-Kontor und der Prinzessinnengarten gehören, reagierte auf Versuche der Vereinnahmung mit einem „Urban Gardening Manifest“. Darin verweist es auf die Bedeutung frei zugänglicher Räume sowie auf die soziale und ökologische Bedeutung der Gärten. Die wichtigste Forderung jedoch ist, Gemeinschaftsgärten dauerhaft anzuerkennen und sie ins Bau- und Planungsrecht zu integrieren. Mit anderen Worten: ein Ende der Zwischennutzung, stattdessen langfristige Pachtverträge.

Mit seinem Verein Common Grounds kämpft Clausen also weiter für den Erhalt des Prinzessinnengartens am Moritzplatz. „Man kann Beete umziehen – aber nicht die Menschen, die hier leben“, so das Motto. Das Ziel: ein Pachtvertrag auf 99 Jahre. „Dafür müsste man aber auch das Narrativ ändern“, sagt er. Denn obwohl viele Urban-Gardening-Projekte explizit politisch sind, haben sie den Ruf, Touristenziel für eine Öko-Konsum-Elite zu sein, und Rückzugsorte für Besserverdienende, die da in Ruhe gärtnern. Aus diesem Blickwinkel erscheinen urbane Gärten dann als nette Projekte, die wegmüssen, wenn „was Wichtiges“ dahin soll. Zum Beispiel Wohnungen. Die banale Antwort „Bauen, bauen, bauen“ auf die Wohnungskrise würde dann zur weiteren Gefahr für die Gärten.

„Wir gehörten damals zu den wenigen, die sagten, dass kein öffentliches Eigentum verkauft werden darf“, erinnert sich Prinzessinnengarten-Gründer Clausen, „damals wurden wir noch als Spinner verlacht.“ Sieben Jahre später findet die Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen enteignen“ großen Zulauf, die Debatte um das Recht auf Stadt zieht weite Kreise. Die Fahrraddemo „Critical Mass“ hat Nachahmer in vielen Städten. Die Proteste im Hambacher Forst finden gesellschaftliche Anerkennung, Bewegungen wie „Wir haben es satt!“ gegen die industrielle Landwirtschaft, „Fridays for Future“ und „Extinction Rebellion“ gewinnen an Zulauf.

All diese Themen treffen sich in solchen Gartenprojekten, wo nicht nur ökologisch angebaut wird, sondern auch Formen des Postwachstums, der Gemeingüter, der Ernährungsunabhängigkeit, der Artenvielfalt, des Rechts auf Stadt und der emanzipatorischen Aneignung von städtischen Räumen erprobt werden.

Kathrin Hartmann ist Journalistin und Autorin. 2018 erschien ihr Buch Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell

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