„Wir versuchten wegzurennen, aber es ging alles so schnell“, erzählt Afzul*. Als die Wassermassen ihn und seine Frau Nasra* erwischten, klammerten sich die beiden aneinander fest, um sich nicht zu verlieren. Dann verlor Afzul das Bewusstsein, etwas traf ihn am Kopf. 2007 erlebte Bangladesch eine der schlimmsten Naturkatastrophen: Wie aus dem Nichts fegte der Zyklon Sidr mit 250 Stundenkilometern über das Land und schob eine fünf Meter hohe Flutwelle vor sich her, die die Küste verwüstete. Sidr kostet 3.500 Menschen das Leben und machte drei Millionen obdachlos.
Das Wasser ging so schnell wieder zurück, wie es gekommen war. Schließlich erwachte Afzul von lauten Schreien um ihn herum. Er öffnete die Augen und sah Tote und Schwerverletzte in
letzte in den Bäumen hängen. Von seiner Frau Nasra blieb ihm nur ein Fetzen Stoff ihres Saris, den seine Hand noch umklammert hielt. Erst Tage später fand er ihren Leichnam am Strand.Dort, wo einst das Haus stand, in dem Afzul mit seiner Frau Nasra lebte, erstreckt sich heute eine große, matschige Brache. Die Sturmflut nahm ihm alles. Seine Frau, sein Haus, seine Existenz.Das ist nur eine von unzähligen entsetzlichen Geschichten, die die Klimakrise in Ländern wie Bangladesch schreibt, die von den Folgen seit Jahren und besonders heftig betroffen sind – aber am wenigsten dazu beigetragen haben. Ich lernte Afzul 2011 bei meiner ersten Recherchereise nach Bangladesch kennen. Seither hielt die Weltgemeinschaft elf Klimagipfel ab. Doch die Emissionen steigen weiter, die Folgen der Klimakrise werden mehr und heftiger. Damals zeigt Afzul mir den neuen, viel zu niedrigen Damm und einen viel zu kleinen Betonshelter. Beide wurden notdürftig nach der Katastrophe errichtet und waren kaum geeignet, die Menschen dort zu schützen. 15 verlorene Jahre nach der Naturkatastrophe steht die unausweichliche Frage, wer für die Verluste und Schäden („Loss and damage“) aufkommen und die Anpassung an die Folgen der Klimakrise bezahlen soll, im Zentrum des Klimagipfels COP27. Und sorgt für Streit. Denn vulnerable Länder wie Bangladesch fordern schon seit vielen Jahren Entschädigung und Reparationszahlungen von den reichen Ländern des Nordens. „Wir sind diejenigen, deren Blut, Schweiß und Tränen die Industrielle Revolution bezahlt haben. Müssen wir deshalb jetzt die doppelte Last für die Treibhausgase der Industriellen Revolution tragen?“, fragte Mia Mottley, Premierministerin des Inselstaats Barbados, die Staatschefs in Scharm El-Scheich.Der große Dammbau2,4 Billionen Dollar pro Jahr bräuchten die sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländer bis 2030, um sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen und Klimaschutz umzusetzen. Diesen Betrag rechneten Wissenschaftler*innen und Ökonom*innen um den ehemaligen Weltbankchef Nicholas Stern für den Bericht „Finance for Climate Action“ anlässlich der COP27 aus. Doch die Industrieländer drücken sich seit Jahren, das nötige Geld zur Verfügung zu stellen. Nicht einmal die 100 Milliarden Dollar jährlich, die sie beim Klimagipfel 2009 für Zahlungen ab 2020 zusicherten, zahlten sie vollständig. Bislang wurden vor allem Darlehen und Kredite vergeben, die zurückgezahlt werden müssen. Nun will die G7-Initiative „Global Shield“ schnelle Hilfe im Katastrophenfall bereitstellen. Doch hinter dem Schutzschirm, den Deutschland mit 170 Millionen Euro unterstützt, verbirgt sich vor allem ein Versicherungsprogramm. Daran gibt es heftige Kritik – denn ein Blick auf die Verheerungen, die die Flut im Sommer in Pakistan hinterlassen hat, zeigt, dass das unzureichend ist.Was also ist zu tun? Die Antwort auf diese Frage ist Gegenstand von Risikoanalysen und Klimafolgenforschung und wird in nationalen Anpassungsstrategien formuliert. Darin finden sich vor allem technische Maßnahmen. Natürlich müssen wichtige Infrastrukturen wie zum Beispiel Frühwarnsysteme, Dämme, Shelter und Kühlungssysteme aufgebaut werden, um die Menschen vor den Folgen von Dürren, Überschwemmungen und Naturkatastrophen zu schützen. Das erfordert immense Investitionen.Doch bergen bisherige Technologien für Anpassung und Klimaschutz häufig neue soziale und politische Probleme: Großprojekte wie Staudämme, Solarparks, Geoengineering, Entsalzungsanlagen, digitalisierte Landwirtschaft oder Kompensationsprojekte werden teils gegen den Willen der Menschen vor Ort errichtet und verschärfen teils Armut, Spaltung und Vulnerabilität. Das sorgt für Konflikte und soll nur den Status quo erhalten.Anpassung wird nur selten als Frage globaler Gerechtigkeit diskutiert, die die ökologische und soziale Transformation und die Anstrengungen um Klimaschutz sogar vorantreiben könnte. Wie können wir Anpassung links denken? „Geht es primär darum, die sozial-ökologisch destruktiven Folgen einer Produktionsweise abzufedern, ohne deren Mechanismen infrage zu stellen? Oder begreifen wir Anpassung als Einstieg in den grundlegenden Umbau dieser Gesellschaft?“, fragen die Autorinnen Ulrich Brand, Barbara Fried, Rhonda Koch, Hannah Schurian und Markus Wissen in der Zeitschrift Luxemburg. Der passende Titel ihres Essays: „Deiche bauen reicht nicht“. Darin skizzieren die Autor*innen, wie ein linke Anpassungspolitik aussehen muss: proaktiv statt reaktiv, demokratisch statt autoritär, öffentlich und universal statt privatisiert und technokratisch.Ein Beispiel dafür ist die Anpassung der Städte: Unter den herrschenden Verhältnissen tragen Passivhäuser, verkehrsberuhigte Zonen und begrünte Fassaden zur Aufwertung von Quartieren bei und können so zu einer „grünen Gentrifizierung“ führen, die weniger Wohlhabende verdrängt. Gleichzeitig werden außerhalb dieser Öko-Quartiere weiterhin Flächen versiegelt, Städte verdichtet, wachsen Glas- und Stahlbauten in den Himmel, werden Straßen gebaut. Und all das passiert, während gleichzeitig ein grüner Extraktivismus für Transformationsrohstoffe (etwa Lithium für Elektromobilität) im Globalen Süden zu weiteren ökologischen und sozialen Schäden führt.Es ist anders denkbar. Innenstädte werden komplett autofrei, Straßen werden zurück- und öffentlicher Nahverkehr ausgebaut, Parkhäuser und Parkplätze weichen Grünanlagen und Gemeinschaftsgärten. Öffentliche Kühlräume sind für alle jederzeit zugänglich, ebenso Trinkbrunnen. Große Wohnsiedlungen werden vergesellschaftet und bezahlbar, die Dächer werden zu begrünten Orten der Begegnung, der soziale Wohnungsbau ist klimaangepasst. Gesundheitssysteme werden ausgebaut, gesellschaftsrelevante Arbeit wie Pflege angemessen bezahlt und gefördert, Arbeitszeitverkürzung stärkt gesellschaftliche und demokratische Ressourcen, die in der Krise dringend benötigt werden. Die Produktion von Nahrungsmitteln folgt den Bedürfnissen von Menschen, Tieren und Natur. Krisenfeste Ernährungssouveränität und Agrarökologie rücken an die Stelle konzerndominierter und exportorientierter Cash-Crop-Regimes: Nicht Supermärkte, Agrar- und Lebensmittelkonzerne bestimmen, was wir essen und anbauen, sondern wir selbst.Wir haben noch nicht verlorenDie Länder des Südens erhalten umfangreiche Entschädigungen vom Globalen Norden und in die Umsetzung technologischer Schutzmechanismen werden lokale Gemeinschaften einbezogen. Statt Abschottung und Grenzsicherung gibt es sichere legale Fluchtwege und Existenzsicherung für Menschen, deren Lebensgrundlage von der Klimakrise bedroht wurde.Es ist all dies nicht weniger als eine Utopie, „ein Horizont einer linken Anpassungspolitik, in der sich der Abbau von sozialer Herrschaft und der Abbau von Naturbeherrschung wechselseitig bedingen und gemeinsam die Grundlage für eine solidarische Bewältigung der Klimakrise schaffen – dafür, dass im Schlechten etwas Besseres entstehen kann, und zwar von unten“, schreiben Brand & Co. Und natürlich sind diese Vorstellungen schon lange Gegenstand linker Debatten und die Kernforderungen der sozialen und Klimabewegungen weltweit. Hätte diese ökologische und soziale Transformation bereits stattgefunden, gäbe es erst gar keine Klimakrise, jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie sie nun droht. Sich mit Anpassung beschäftigen zu müssen, fühlt sich deshalb so an, als hätten wir schon verloren.Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass Klimaanpassung so wenig Gegenstand linker Debatten ist. „‚Anpassung‘ wirkt defensiv, resignativ“, schreiben die Autor*innen. Sich den Klimafolgen zu stellen, sei aber vielmehr ein Realtitätscheck, der die Dringlichkeit des Klimaschutzes umso deutlicher macht: „Wenn wir verstehen, welcher Handlungsbedarf durch einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um zwei Grad entsteht, begreifen wir, warum ein weiterer Anstieg um jeden Preis verhindert werden muss.“ Wer sich mit Anpassung auseinandersetzt, versteht, dass der Status quo, den die Besitzenden mit aller Macht verteidigen, nicht haltbar ist. Wir werden die dramatischen Folgen der Klimakrise nicht zur Gänze abwenden können. Das ist tragisch genug. Aber wir können verhindern, dass sich bei der Bewältigung abermals die Profiteure des Systems, die diese Krisen zu verantworten haben, auf Kosten von uns allen durchsetzen.Ein Wunschtraum? Sicher ist: All das ist nicht ohne große Investitionen zu haben. Und so sind wie wieder bei der großen Streitfrage der Cop27: Wer soll all das bezahlen? Die betroffenen Länder des Globalen Südens können es nicht. Die reichen Länder des Nordens können es, und müssen es. Noch ist Zeit dafür. Noch lohnt es sich zu kämpfen. Für jedes Zehntel Grad. Und für eine gerechte und solidarische Anpassung. Es ist die letzte Gelegenheit.*Namen geändert
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