Monster unter Artenschutz

SUVs Je größer ein Wagen ist, desto dreckiger darf er sein: Die deutsche Politik fördert Spritfresser als gäbe es kein Morgen
Ausgabe 27/2019
Er steckt mit Angela Merkel unter einer Decke
Er steckt mit Angela Merkel unter einer Decke

Foto: Bloomberg/Getty Images

Der Kauf eines Sport Utility Vehicles ist mit vielen Emotionen verbunden: Vor allem bei denen, die es nicht kaufen, sondern die Wagen von Außen bewundern dürfen. SUVs nehmen Platz weg, sind gefährlich und als „Klimakiller“ der Inbegriff von Rücksichtslosigkeit und Umweltsauerei.

Mehr als fünfeinhalb Millionen SUVs fahren in Deutschland herum – und es werden immer mehr. 1995 hatten SUVs nur einen Marktanteil von zwei Prozent, bis 2010 wuchs er auf 12 Prozent. Seither vermehren sich die Riesenautos pro Jahr im Schnitt um 13 Prozent. Dabei sind diese Riesenautos dafür verantwortlich, dass der CO2-Ausstoß im Verkehr steigt, obwohl er hätte fallen können: Denn mit der Größe stieg auch die durchschnittliche Motorleistung der Autos an. Dies führte laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2015 im Vergleich zu 2008 zu einem rechnerischen Mehrverbrauch von 3,7 Milliarden Litern Kraftstoff und zu 9,3 Millionen Tonnen zusätzlichen Kohlendioxid-Emissionen.

Wäre die Motorleistung trotz steigender Anzahl Autos gleichgeblieben, hätte dieselbe Menge CO2 sogar eingespart werden können. Im Schnitt stößt ein SUV 134 Gramm CO2 pro Kilometer aus, Benziner und Geländewagen sogar mehr. „Der Mehrverbrauch geht vor allem auf den Bereich der Sport Utility Vehicles (SUV) und Geländewagen zurück, einem Segment mit hoher Motorleistung und hohem Verbrauch“, resümierten die Statistiker bereits 2016.

Vergangene Woche platzte dann mitten in die Klimadebatte die Nachricht, dass dieses Jahr die Anzahl der neu zugelassenen SUV 2019 eine Million überschreiten werde. Beinahe jedes dritte Auto, das in Deutschland verkauft wird, ist ein SUV. Der wachsende Unmut über die CO2-Schleudern ist nun in der Politik angekommen. SPD, Grüne und Linke fordern, ihre Zahl zu drosseln. Allerdings ist ihre Omnipräsenz kein Zufall, sondern einer Politik geschuldet, die stets nach den Wünschen der Autoindustrie agiert – seit Jahrzehnten.

Gesetze direkt vom Hersteller

Denn bereits Mitte der 90er Jahre diskutierte die EU einen Grenzwert für den CO2-Ausstoß von PKW von 120 Gramm pro Kilometer. Er wurde nicht beschlossen. Stattdessen begnügte man sich auf Druck der Autoindustrie mit der Selbstverpflichtung des Europäische Automobilherstellerverbands, die Emissionen bei Neuwagen auf 140 Gramm pro Kilometer freiwillig zu senken. In den folgenden Jahren wurden die Autos aber immer schwerer, die Hersteller brachten das Fahrzeugkonzept SUV auf den Markt: Der Volkswagenkonzern verkaufte den SUV Tourage seit 2002, der AudiQ7 war von 2006 an zu haben. Je voluminöser und teurer, desto größer die Gewinnmarge. Sparsame, aber wenig lukrative Pkw wie das Drei-Liter-Auto VW Lupo wurden eingestellt. Als Folge lag der CO2-Durchschnittsausstoß der Neuwagen in der EU 2006 bei 160 statt 140 Gramm pro Kilometer, in Deutschland sogar bei 171 Gramm. Die Selbstverpflichtung war gescheitert.

Wieder wollte die EU die CO2-Reduktion gesetzlich verankern – auf die schon in den 90er Jahren angedachten 120 Gramm pro Kilometer bis 2012. Die deutsche Bundesregierung „korrigierte“ den Durchschnittswert um zehn Gramm nach oben und setzte durch, dass der Grenzwert an das Gewicht angepasst wird: Je schwerer das Auto, desto höher der Grenzwert. Als „gesetzlichen Artenschutz“ für Oberklasse, SUV und Sportwagen bezeichnet dies Eckard Helmers von der Hochschule Trier in einem Gutachten für den BUND und den Verkehrsclub Deutschland. Das habe verhindert, dass die Autobauer leichte und sparsame Autos auf den Markt brachten, mit denen die Abgasgrenzen schon vor Jahren hätten unterschritten werden können. So aber stiegen die CO2-Emissionen im Verkehr an und lagen laut Ökoinstitut 2017 über dem Wert von 1990.

Der SUV-Artenschutz wurde unterdessen durch die Einführung der Effizienzklassen fortgeführt. Für Neuwagen wurde ein CO2-Label eingeführt, das CO2-Austoß und Gewicht miteinander verrechnet. Damit erscheinen schwere Fahrzeuge wie SUVs, Vans und Mittelklasse-Pkw umweltfreundlicher als kleine und sparsame Autos: Der SUV Audi Q7 mit CO2-Emissionen von knapp 200 Gramm pro Kilometer bekam eine hellgrüne B-Kennzeichnung, während Smart und Polo, die Emissionen von je weniger als 90 Gramm pro Kilometer aufweisen, mit einem gelben C abgestraft wurden. Die Deutsche Umwelthilfe stellte nach Einsicht der Akten fest, dass die Autoindustrie der Politik das Gesetz geschrieben hatte.

Ab 2021 soll nun das neue Klimaschutzziel der EU gelten. Dann dürfen Fahrzeugflotten nur noch 95 Gramm CO2 je Kilometer ausstoßen, sonst müssen Autobauer Strafe zahlen. Bis 2030 soll der Ausstoß nochmals um 37,5 Prozent sinken. Klingt gut – allerdings können die Konzerne Fahrzeuge in der Flotte, die wenig CO2 ausstoßen, zunächst noch auf die Flottenbilanz anrechnen. Rein rechnerisch kann auf diese Weise ein Elektroauto fünf SUVs mit hohen CO2-Emissionen kompensieren. Supercredits wird diese Möglichkeit genannt, für sie hatten die Autolobbyisten gekämpft – die sogenannte „Klimakanzlerin“ Angela Merkel hat ihnen diesen weiteren Gefallen gerne getan.

Unterstützt wird der Kauf dicker Autos in Deutschland zudem durch das Dienstwagenprivileg: je teurer das Auto, desto stärker kann es steuerlich geltend gemacht werden. Laut der Linke-Verkehrspolitikerin Ingrid Remmers sind 80 Prozent der SUVs Dienstwagen und unterlägen damit einer niedrigeren Besteuerung.

Und die SUVs der deutschen Autoindustrie boomen nicht nur in Deutschland: Mit 16,5 Millionen Autos produziert sie rund ein Viertel der Pkw auf der Welt. Rund 90 Prozent der Exporte nach Asien und Nordamerika sind dabei Premium-Autos, in der deutschen Auslandsproduktion ist der Anteil von Geländewagen und SUVs um 41 Prozent gestiegen.

Die Nichtregierungsorganisationen Brot für die Welt, Misereor und Powershift weisen in ihrer aktuellen Studie Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit daher auf die weltweiten Folgen der hiesigen Produktion hin: „Das bedeutet, dass in der deutschen Autoindustrie getroffene Modellentscheidungen in erheblicher Weise beeinflussen, mit welchen Autos nicht nur Europäer, sondern Menschen auf der ganzen Welt fahren.“ Würden deutsche Unternehmen auf die Entwicklung und den Verkauf besonders effizienter und umweltfreundlicher Autos setzen, „könnte dies weltweit Treibhausgas- und toxische Emissionen im Verkehrssektor erheblich senken.“ Das Argument, der Klimaschutz in Deutschland könne global kaum etwas ausrichten, gilt für die Autoindustrie also schon mal nicht.

Das Wettrüsten geht weiter

Die Studie legt zudem dar, wie der Boom monströser Autos die Nachfrage nach Rohstoffen vorantreibt – mit dramatischen Folgen für Menschen, Klima und Umwelt in den Ländern des Südens. Denn die deutsche Autoindustrie ist zu 100 Prozent vom Import mineralischer Rohstoffe abhängig.

Laut Studie würden allein VW, Daimler und BMW jedes Jahr 7,15 Millionen Tonnen Stahl und Eisenwerkstoffe, rund 650.000 Tonnen Aluminium und etwa 300.000 Tonnen Kupfer verbrauchen – Autos bestehen mindestens zur Hälfte aus diesen drei Werkstoffen.

Der Bedarf an Rohstoffen ist in den vergangen Jahrzehnten mit der Zahl der zugelassenen Autos rasant angestiegen – diese hat sich zwischen 1960 und heute auf mehr als 46 Millionen beinahe verzehnfacht. Mehr als drei Viertel der Haushalte in Deutschland besitzen heute mindestens einen Pkw, ein Drittel sogar zwei oder mehr. Parallel dazu wurden die Autos generell schwerer, größer und leistungsstärker. Während beispielsweise der VW Käfer 1948 rund 600 Kilogramm schwer war, wiegt ein VW Golf heute mehr als eine Tonne. SUVs bringen teilweise mehr als zwei Tonnen auf die Waage. Damit wächst der Verbrauch von Rohstoffen und Energie – und der Ausstoß von Schadstoffen. Laut der NGO Transport and Environment habe der Anstieg des Autogewichts die Emissionen zwischen den Jahren 2000 und 2016 im Schnitt um zehn Gramm je Kilometer steigen lassen.

Die vielen großen Autos brauchen natürlich auch mehr Platz. Ein SUV beansprucht gerne zwei Parkplätze für sich allein – ein Problem, das eher größer wird, da sich die Autohersteller völlig unbehelligt weiter ein Wettrüsten liefern: Der neue GLS von Mercedes ist mehr als fünf Meter lang, wiegt mehr als 2,5 Tonnen und schluckt knapp zehn Liter Diesel. Tatsächlich hat sich Daimler, dessen Flotten-CO2-Ausstoß steigt, bemüht, das fette Ding mit einer Spezialfunktion schrumpfen zu können. Aber nur, damit er noch in die Waschstraße passt.

Während der wachsende Energieverbrauch durch die Elektrifizierung der Motoren zumindest ein wenig klimaverträglicher gestaltet werden kann, gilt dies nicht für den Rohstoffverbrauch. Je größer und leistungsstärker die Autos, desto mehr Rohstoffe braucht ihre Produktion – und natürlich die Fortbewegungsenergie, das gilt leider auch für Elektro-Autos. E-SUV-Modelle wie der Tesla X oder der Audi E-Tron sind mehr als zweieinhalb Tonnen schwer, alleine die Batterie wiegt 700 Kilo. Bereits 2015 ging die Hälfte der global nachgefragten Seltenen Erden in Magnete, die in Elektromotoren verbaut sind. Im kommenden Jahr könnte die Nachfrage vierzehn Mal höher sein. Die erwarteten steigenden Bedarfe für Lithium und Kobalt, die in den Batterien verbaut werden, übersteigen die heute abgebauten Mengen um ein Vielfaches. Das würde bedeuten, dass für E-Autos neue Abbaugebiete erschlossen und Minen gebaut werden – was meist mit Landkonflikten und Umweltzerstörung einhergeht. Einfach Benziner und Diesel durch E-Autos zu ersetzen, ist also kein Ausweg aus der imperialen Lebensweise – sondern schreibt sie fort. Insbesondere durch SUVs.

Kathrin Hartmann ist freie Autorin und veröffentlichte zuletzt Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell

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