Sie wissen es ganz genau

Hungerstreik Junge Aktivist*innen wollten die Politik in Sachen Klima aufrütteln. Dabei ist der längst klar, wie ernst die Lage ist
Ausgabe 38/2021
An ihre Mitschuld erinnert wurden die Verantwortlichen für die Klimakrise oft genug
An ihre Mitschuld erinnert wurden die Verantwortlichen für die Klimakrise oft genug

Foto: Bernd Lauter/AFP/Getty Images

Eine Gruppe junger Menschen, die sich als „letzte Generation“ wähnen, ist in den Hungerstreik getreten. Sie wollen ein Gespräch mit den Kanzlerkandidat*innen erzwingen. Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Armin Laschet sollen mit ihnen über „den Mord an der jungen Generation“ reden.

Das ist verstörend. Einerseits, weil die jungen Menschen angesichts erwartbarer Weiter-so-Koalitionen dermaßen verzweifelt sind, dass sie sich selbst verletzen. Andererseits, weil diese moralische Erpressung ins Leere läuft: Niemand muss Scholz, Baerbock und Laschet noch die Klimakrise erklären. Sie wissen alles, kennen die immer dramatischeren Sachstandsberichte des Weltklimarats. Die Bundesregierung selbst beschreibt in Berichten die Klimawandelfolgen. Den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz feierten diejenigen besonders enthusiastisch, die ihn politisch zu verantworten haben. CDU-Chef Armin Laschet freute sich über den „klaren Auftrag“.

Endzeit-Darbietungen und Märtyrer-Events wie die von Extinction Rebellion, Unterstützern des lebensgefährlichen Hungerexperiments, werden daran nicht rütteln. Nicht mangelndes Wissen ist der Grund dafür, dass kein einziges Wahlprogramm der im Bundestag vertretenen Parteien geeignet ist, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Es liegt an Macht- und Eigentumsverhältnissen. So pendelt der Wahlkampf zwischen antilinker Polemik und Verzichts-Panikmache. Das soll eine Mehrheit veranlassen, die Interessen einiger weniger als die eigenen zu betrachten. Auf der anderen Seite warten Versprechen eines grünen Wolkenkuckucksheims, die suggerieren, mit Hyperloops, Wasserstoff, Flugtaxis, E-Autos und grünen Daniel Düsentriebs könne mittels weniger Korrekturen alles bleiben, wie es ist. Aus beidem resultiert das gesellschaftliche Stockholmsyndrom mit den Kapitalinteressen, die der sozialökologischen Transformation im Weg stehen.

Umverteilung, Stärkung von Daseinsvorsorge wie Gemeingütern, Reduktion des Energie- und Rohstoffverbrauchs, Landwirtschafts- und Verkehrswende – wie stark die Kapitalinteressen sind, die sich gegen all das und somit gegen die Allgemeinheit richten, zeigte sich zuletzt im Rot-Grün regierten München: Rabiater denn je ging die Polizei während der Internationalen Automobil-Ausstellung gegen Aktivist*innen vor, selbst bei der bürgerlichen Großdemonstration für Klimaschutz setzte sie Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Im einzigen klimapolitischen Instrument, das bisher wirklich umgesetzt wurde, manifestiert sich diese Macht ebenso: Dank Zertifikathandel muss nicht einmal der Kohlekonzern RWE, größter CO2-Emittent Europas, steigende CO2-Preise fürchten. Er hat sich längst mit günstigen Verschmutzungsrechten eingedeckt. Das war und ist politisch erwünscht wie organisiert.

„Es ist immer möglich, jemanden aus dem Schlaf zu wecken. Aber kein Lärm der Welt kann jemanden wecken, der nur so tut, als würde er schlafen“, schreibt der Autor Jonathan Safran Foer. Genau das macht diesen Wahlkampf zu einer so durchschaubaren Inszenierung des Aufbruchs zum Erhalt des Status quo. Wissenschaftliche Erkenntnisse prallen daran ab, ebenso apokalyptische Drohungen. Helfen kann nur eines: der solidarische Widerstand von unten.

Kathrin Hartmann schreibt über das „Paradox der Apokalypse“ auch in ihrem Buch Grüner wird’s nicht

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