Solch grüner Schein

CO2 Der Öko-Kapitalismus verspricht, Wachstum und Zerstörung zu entkoppeln. Das ist unmöglich. Dennoch klammern sich Konzerne und Milieus an diese Idee
Ausgabe 30/2021
Solch grüner Schein

Illustration: der Freitag

Man möchte es ja sofort glauben: „Nachhaltiges Wirtschaften ist ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmensstrategie von HeidelbergCement. Im Mittelpunkt unseres Handelns steht die Verantwortung für die Umwelt. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Branchenführer auf dem Weg zur CO₂-Neutralität zu sein.“

Führend ist der Beton-Konzern vor allem, was den CO₂-Ausstoß angeht: HeidelbergCement ist – nach dem Kohlekraftwerksbetreiber RWE – das klimaschädlichste Unternehmen im DAX. Der zweitgrößte Zementhersteller der Welt gehört zu den „Carbon Majors“, den 50 Konzernen, die weltweit am meisten CO₂ ausstoßen. Wie könnte der jemals „Echt.Stark.Grün“ werden und „weiter profitabel wachsen“, wie der Konzern selbst konstatiert?

Zwischen acht und zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen stammen aus der Herstellung von Beton. Das ist dreimal so viel wie der globale Flugverkehr ausstößt. Wenn Kalkstein zu Zement verarbeitet wird, setzt dies darin gebundenes CO₂ frei. Zusätzlich verschlingt die Produktion riesige Mengen Energie. Das geht nicht in grün und gut. Stattdessen müsste weniger gebaut, mehr renoviert sowie recycelt und Leerstand aufgelöst werden. Das Gegenteil ist der Fall. Laut dem Bündnis CemEnd hat sich in Deutschland die Zahl der Neubauten von 159.000 im Jahr 2009 auf 286.000 im Jahr 2018 beinahe verdoppelt. Das ist nicht nur für Banken, Vermögende und die Immobilienbranche ein riesiges Geschäft, sondern auch für die Zementindustrie. Obendrauf kommen so überflüssige und umweltschädliche Mega-Projekte wie der Ausbau des Flughafens Köln/Bonn und Stuttgart 21, für die HeidelbergCement jeweils Baumaterial liefert.

Unter die Erde mit dem CO₂

Dennoch verspricht der Konzern, bis 2050 klimaneutral zu sein. Er setzt dabei vor allem auf die umstrittene „Carbon Capture and Storage“-Technologie (CCS), also die Abscheidung und Speicherung von CO₂ unter der Erde oder unter dem Meeresboden. In einem norwegischen Zementwerk des Konzerns soll die weltweit erste industrielle CCS-Anlage entstehen und 2024 in Betrieb gehen, maßgeblich finanziert von der norwegischen Regierung. HeidelbergCement will damit die Emissionen dieses einen Werks halbieren. Doch nach Berechnungen der Umweltorganisation Robin Wood würde das den CO₂-Ausstoß des weltweit agierenden Konzerns allenfalls um zwei Prozent senken. Vorausgesetzt, die Technologie funktioniert. Bis heute gibt es weder ein ausgereiftes technisches Verfahren, das flächendeckend und langfristig eingesetzt werden könnte, noch Belege dafür, dass CCS wirklich dem Klimaschutz dient.

Mehrere Pilotprojekte, selbst vielversprechende, wurden bereits abgebrochen. CCS ist nicht nur teuer und extrem energieaufwendig, sondern auch gefährlich: Durch Leckagen kann gespeichertes CO₂ in die Atmosphäre oder das Wasser entweichen, bei Unfällen sogar große Mengen. Vor allem aber verhindert diese Scheinlösung den schnellen Ausstieg aus der fossilen Energie: denn sie suggeriert, dass weiter CO₂ ausgestoßen werden könnte, wenn es denn in Zukunft problemlos abgeschieden und gespeichert wird. Kein Wunder, dass sich Ölkonzerne wie Exxon und Shell für CCS einsetzen. Die Technologie würde ihnen erlauben, weiter Öl zu fördern.

So sieht er also aus, der Grüne Kapitalismus. Er ist das Gegenteil einer ökosozialen Transformation. Er verspricht ein „Weiter-so“, nämlich die „Versöhnung“ von Ökologie und Ökonomie. Die Kernidee ist die „Entkopplung“ von Wachstum, Naturverbrauch und Klimaschäden mittels neuer Technologien und Marktmechanismen. Das ist schlicht unmöglich: Kapitalistisches Wachstum ist immer verbunden mit Rohstoff- und Energieverbrauch, ganz egal, wie innovativ die Technologie ist. Beides ist nicht ohne Naturzerstörung zu haben. Wäre eine Entkopplung möglich, wäre dies ein echtes grünes Wunder, ein Perpetuum mobile. Deswegen sind alle Versuche der Entkopplung bislang krachend gescheitert, etwa das Horrorbeispiel Biosprit: Mit ihm verband sich die Hoffnung, der Individualverkehr könnte klimafreundlich wachsen, wenn nur fossiler Treibstoff durch pflanzlichen ersetzt würde. Das führte dazu, dass in Indonesien Regenwald vernichtet wurde, um auf einer Fläche, knapp viermal so groß wie die Schweiz, Palmölplantagen zu errichten. Das Resultat: Biosprit wurde 80 Prozent klimaschädlicher als fossiler Diesel und Indonesien zeitweise zum drittgrößten CO₂-Emittenten der Welt.

Der Biosprit von heute – die nächste Öko-Science-Fiction, an die sich Politik und Konzerne klammern – ist grüner Wasserstoff. Fast alle Parteien setzen in ihren Wahlprogrammen auf diese Technologie, verspricht sie doch, dass damit fossile Energie komplett ersetzt werden kann. Auf dass weiter viel zu viele Güter in Lkws transportiert werden, Kreuzfahrtschiffe in See stechen, Flugzeuge starten können und die Schwerindustrie klimaneutral werde.

Kein Mensch weiß jedoch, woher all der grüne Wasserstoff, der mit erneuerbarer Energie hergestellt wird, kommen soll. Das Verfahren braucht bis zu doppelt so viel Energie, wie es am Ende bereitstellt. Der deutsche Ökostrom reicht dafür in keinster Weise. Obendrein werden große Mengen von Wasser benötigt, das bereits heute vielerorts Mangelware ist. Aber als schillerndes Zukunftsversprechen taugt es bestens. Der Immobilienkonzern Vonovia etwa kündigte im Frühjahr eine „Energiezentrale der Zukunft“ an. Mit dem Fraunhofer-Institut soll in Bochum erforscht werden, wie grüner Wasserstoff dort 60 Prozent der Energie für Strom und Wärme CO₂-neutral erzeugen kann. Sinnvoller wäre es, Vonovia würde mehr in die energetische Sanierung der Wohnungen des Konzerns investieren – ohne die Mieter*innen zu belasten. Das Unternehmen wird schon lange dafür kritisiert, Modernisierungen verschleppt und für Mietsteigerungen genutzt zu haben. Zuletzt wurden die Ausgaben dafür sogar verringert. Das lässt sich unter einem grünen Mäntelchen gut verstecken.

Das Versprechen, Unmögliches zu ermöglichen, macht die Ideologie des Grünen Kapitalismus so attraktiv. Nicht nur für Konzerne, sondern auch für Milieus, die Interesse haben, dass alles bleibt, wie es ist. Gäbe es für jedes Problem eine technische, grüne Lösung, müsste sich strukturell ja nichts ändern. Weder an den globalen Machtverhältnissen noch an der imperialen Lebensweise. Diese Entpolitisierung des Klimawandels beschreibt der belgische Geograf Erik Swyngedouw in seinem Essay Apocalypse forever?: Regierungen inszenierten den Klimawandel als „Feind von außen“, der nur von innen heraus, mit kapitalistischen Mitteln, bekämpft werden könne, schreibt er. „Mit anderen Worten: Wir müssen uns radikal ändern, aber im Rahmen der bestehenden Umstände, sodass sich nichts wirklich ändern muss.“

Im Juni 2020 startete die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen die Kampagne „Race to Zero“ mit dem Ziel, die CO₂-Emissionen bis 2050 auf Netto-Null zu senken. Dieses Ziel haben sich nicht nur Regierungen, sondern auch die meisten Konzerne gesetzt: Audi, Bayer, BASF, RWE, Volkswagen, auch Konsumgüterkonzerne wie Nestlé und Unilever haben „Net Zero“-Pläne aufgestellt. Selbst der Vermögensverwaltungsriese BlackRock, der immer noch Anteile im Wert von mehreren Milliarden Dollar an Kohlekonzernen hält, bekennt sich zur Klimaneutralität bis 2050.

Shell pflanzt Bäume

Doch was ist hier mit „Klimaneutralität“ überhaupt gemeint? Der Ölkonzern Shell verspricht seinen Kund*innen „CO₂-neutrales Tanken“ und will für Millionen Euro Bäume pflanzen. Gleichzeitig plant das Unternehmen neue Öl- und Gasprojekte. Ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur angeblichen Klimaneutralität ist die „Kompensation“ von Emissionen, die oft nicht mehr als ein Ablasshandel auf dem Papier ist. Fluglinien bieten ihren Kunden schon lange an, den CO₂-Ausstoß gegen Aufpreis auf das Ticket zu kompensieren, etwa durch das Pflanzen von Bäumen. Der Guardian und die Greenpeace-Recherche-Organisation Unearthed haben die Kompensationsprojekte von Airlines gerade untersucht: Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Gutschriften auf einem zweifelhaften System beruhen. Die Unternehmen schätzten schlicht, wie viel Abholzung ohne ihre Waldprojekte stattgefunden hätte und berechnen daraus „verhinderte CO₂-Emissionen“, die sie als Gutschriften weiterverkaufen. Dass neun von zehn solcher Aufforstungsprojekte scheitern, taucht in dieser Milchmädchenrechnung nicht auf. Zu Klimaschutz wird das nicht führen, allenfalls in die klimaneutrale Klimakatastrophe.

CO₂ ist die Währung des Grünen Kapitalismus. Ihm lässt sich ein Preis zuordnen, außerdem lassen sich zu erwartende Temperaturanstiege skizzieren und Klimaziele formulieren. Allerdings bilden CO₂-Bilanzen, wie sie von Regierungen und Unternehmen erstellt werden, weder den realen Ausstoß von Treibhausgasen ab noch deren reale Reduktion – und erst recht nicht die Auswirkungen auf Natur und Mensch. Sowieso bedeuten die Begriffe „Klimaneutralität“ und „Netto-Null-Emissionen“ nicht zwingend, dass weniger CO₂ ausgestoßen wird. Es wird nur an anderer Stelle eingespart – etwa durch Emissionsgutschriften, die aus Klimaschutzprojekten vor allem im Globalen Süden stammen. Das erlaubt sogar dem Fleischkonzern PHW, seine Wiesenhof-Hähnchenschenkel als „klimaneutral“ zu verkaufen, schließlich wird der CO₂-Ausstoß – laut Konzernberechnung 2,2 Kilo CO₂ pro Kilo Hühnerfleisch – kompensiert, etwa durch ein Projekt zur Einführung von „sauberen“ Kochöfen in Ghana.

Verschmutzungsrechte sind an die Zerstörung von Natur und Klima gekoppelt. Wer genug Geld, Macht und Einfluss hat, kann sich das Recht auf Dreck kaufen. Das legitimiert die Wirtschaftsweise der größten Verschmutzer und stärkt den Einfluss derer, die eine konsequente Klimapolitik schon lange verhindern. Daran krankt auch der Europäische Emissionshandel (EU ETS), der seit 2005 als Marktmechanismus Emissionen von Kraftwerken und energieintensiven Industrien verteuern soll. In seiner Anfangsphase verteilte die EU so viele günstige und kostenlose Zertifikate an große Firmen, dass der Preis pro Tonne CO₂ unter fünf Euro sank. Erst als dem Markt Zertifikate entzogen und eine europaweite Emissionsobergrenze eingeführt wurde, stiegen die Preise – aber sie sind immer noch zu niedrig. All das ist politisch erwünscht: Gerade hat die EU beschlossen, energieintensiven Industrien wie der Stahl- und Zementindustrie bis 2035 – dreißig Jahre nach Einführung des EU ETS – weiter kostenlose CO₂-Rechte zu geben.

Wie sehr Konzerne davon finanziell profitieren, hat vor einiger Zeit das Freiburger Öko-Institut belegt, das in einer Studie neun energieintensive Unternehmen untersuchte. Diese Großverschmutzer konnten bis Ende 2012 an ihren CO₂-Emissionsberechtigungen ordentlich verdienen: Sie verkauften Verschmutzungsrechte im Wert von mehr als einer Milliarde Euro. Zu den Profiteuren gehörte: Heidelberg Cement.

Kathrin Hartmann veröffentlichte unter anderem das Buch Die grüne Lüge

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