Wachsen oder Weichen: Droht der Bio-Branche jetzt die große Krise?
Bio-Lebensmittel Der Preisanstieg für Bio-Lebensmittel fiel geringer aus, als erwartet. Trotzdem geraten Bio-Läden und nachhaltig wirtschaftende Landwirte unter Druck – gerade die Kleineren unter ihnen trifft es hart
Mit mehr Direktvermarktung auf dem Hof statt dem Diktat der Supermarktketten wäre Vieles einfacher, vor allem das Bezahlen
Foto: Lia Darjes „Stillleben mit Himbeeren und Birnen“ aus der Serie „Tempora Morte“, 2016
Mit den Worten „Biomarkt in der Krise – die fetten Jahre sind vorbei“ überschrieb agrarheute im vergangenen August einen Online-Artikel. Es klang ein bisschen nach Häme, schließlich steht die Fachzeitschrift für industrielle Landwirtschaft dem Deutschen Bauernverband nahe. Dieser legte im Dezember schließlich eine Marktanalyse vor, nach der der deutsche Öko-Markt 2022 „zum ersten Mal in seiner Geschichte“ schrumpfte. Von Anfang Januar bis Oktober vergangenen Jahres sei der Umsatz bei ökologisch erzeugten Lebensmitteln um 4,1 Prozent gesunken, der Mengenabsatz um 5,7 Prozent. Bereits im Oktober hatte die Gesellschaft für Konsumforschung (GFK) berichtet, dass der Umsatz in den Bio-Supermärkten im ersten Halbjahr um 10
lbjahr um 10,8 Prozent und in Naturkostläden und Reformhäusern sogar um 37,5 Prozent eingebrochen sei. Gleichzeitig meldeten Bio-Händler wie Superbiomarkt und Reformhaus Bacher Insolvenz an, auch die fünftgrößte deutsche Bio-Markt-Kette Basicmuss sich in einem Schutzschirmverfahren sanieren. Steckt Bio nach Jahren des Erfolgs tatsächlich in der Krise?Run auf Bio bei DiscounternPeter Röhrig, Geschäftsführender Vorstand vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) spricht von einer „erwartbaren Korrektur“. Während der Corona-Pandemie sei die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln enorm gestiegen. 2020 registrierte die Branche einen Zuwachs von 22 Prozent, 2021 eine weitere Steigerung um sechs Prozent. „Die Menschen haben mehr Lebensmittel eingekauft und selbst gekocht“, sagt Röhrig. Nun haben Restaurants und Kantinen wieder geöffnet, die Menschen arbeiten wieder im Büro und essen außer Haus. Das habe zu einem Umsatzrückgang im gesamten Lebensmittelhandel geführt. Es handele sich, wie Röhrig sagt, um eine „Normalisierung“, auch bei Bio. Die Kund*innen kaufen zwar weiterhin Öko-Lebensmittel, allerdings nun vermehrt im Discounter. Laut GFK verzeichneten Letztere zwischen Januar und Oktober 2022 einen Umsatzzuwachs im Bio-Segment um 14,5 Prozent, zum Nachteil des Bio-Fachhandels. Nach Auskunft des Bundesverbands Naturkost Naturkostwaren (BNN) profitierte der Bio-Fachhandel mit einem Umsatzwachstum von im Schnitt 16,4 Prozent besonders vom Bio-Boom der Pandemiejahre – büßte im dritten Quartal 2022 jedoch 8,6 Prozent ein. Auch wenn das Volumen noch immer über dem von 2019 liegt: Anders als den großen Supermarktketten und Discountern, die 80 Prozent des Lebensmittelmarktes in Deutschland beherrschen, machen dem Fachhandel die extrem gestiegenen Energiepreise und Ladenmieten zu schaffen – ganz besonders den inhabergeführten Naturkostgeschäften und Hofläden.„Vor allem die kleinen Bio-Läden sind schwer am Kämpfen“, sagt Julia Schumacher vom Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft. Das Aktionsbündnis besteht unter anderem aus Bio-Händlern, darunter auch kleine Bio-Läden und Direktvermarkter. Wie bitter die Situation für diese ist, merkt Schumacher daran, dass bereits einige ihre Mitgliedschaft kündigen, weil sie die Beiträge nicht mehr zahlen könnten. „Einer erzählte uns, dass er sein Auto verkaufen muss, damit er seinen Laden halten kann“, sagt Schumacher. Und das ist paradox. Denn entgegen der Wahrnehmung, die offenbar viele Kund*innen vom Bio-Laden in den Discounter treibt, sind Bio-Produkte in der Preiskrise weniger teurer (oder weniger von Preissteigerung betroffen) als Produkte aus konventionellem Landbau. Auf die ökologische Landwirtschaft selbst hat die Energie- und Preiskrise nämlich wenig Einfluss. Bio-Höfe nutzen keinen Stickstoffdünger, der aus Erdgas hergestellt wird und im Preis stark gestiegen ist. Sie importieren kein Kraftfutter, sondern stellen Tierfutter und Dünger in Kreislaufwirtschaft selbst her. Die Transportwege sind kürzer, sie sind nicht abhängig von Export und Weltmarktpreisen. In Krisenzeiten erweist sich also gerade die ökologische Landwirtschaft als unabhängiger. Darüber hinaus schützt sie Klima und Biodiversität, denn auf mehr als 95 Prozent ihrer Anbaufläche werden keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Deshalb gibt es dort 35 Prozent mehr Feldvögel und 23 Prozent mehr Insektenarten.Das Problem ist allerdings der Markt. Die Politik hat Bio-Lebensmittel zur individuellen Einkaufsentscheidung reduziert, ohne Weichen für den ökologischen Landbau zu stellen und diesen ausreichend finanziell zu fördern. Die als ökologisch ausgewiesene Fläche liegt gerade einmal bei elf Prozent, bis 2030 soll sie 30 Prozent betragen. Doch die hierfür vorgesehenen Finanzmittel reichen gerade einmal für drei Prozent zusätzlicher Bio-Fläche bis 2027. Das wiederum hat dazu geführt, dass Bio-Lebensmittel immer noch als Luxus für Besserverdienende erscheinen. „Das ist nach wie vor ein unglaublich starkes Narrativ“, sagt Schumacher. Dabei verstecken sich in der konventionellen Landwirtschaft Kosten, die gar nicht in die Preise eingehen. Die Schäden an der Umwelt durch Überdüngung, Pestizide, zu viel Nitrat im Trinkwasser und CO2-Ausstoß durch zu viele Tiere auf zu wenig Fläche betragen nach Berechnungen von BÖLW 90 Milliarden Euro. Für die Beseitigung dieser Schäden kommt die Allgemeinheit auf.Keine Macht auf dem MarktZwar hat der Einstieg der Discounter und Supermarktketten in den Bio-Handel dafür gesorgt, dass ökologische Lebensmittel ihre Nische verlassen haben und breit konsumiert werden. Allerdings profitieren davon vor allem Produzenten, die große Mengen liefern können – und die Discounter selbst.Dass Verbände wie Bioland und Demeter Abnahmeverträge mit ihnen geschlossen haben, ist in der Bio-Szene umstritten: „Das war das Todesurteil für den Naturkostfachhandel, der immer an der Seite der kleineren Betriebe stand“, sagt der Bio-Bauer Stefan Schumacher. Er betreibt einen kleinen Demeter-Hof in der Nähe von Verden und baut Gemüse an, das er auf Wochenmärkten und im Hofladen verkauft. Aber um die gestiegenen Löhne und Energiekosten aufzufangen, müsste er mehr produzieren. Doch dafür gebe es keine Abnehmer. „Der Markt ist satt“, sagt Schumacher. Ein Überangebot führe wiederum zu fallenden Preisen. „Da können kleine Höfe nicht mithalten, wir haben keine Marktmacht“, sagt er. Seinen Hofladen hat er zum Ende des Jahres geschlossen, auch den Gemüseanbau wird er aufgeben. „‚Wachse oder weiche‘, das ist mittlerweile auch bei Bio angekommen“, resümiert er.Diesen Druck bekommen auch die Ökokisten zu spüren. Dabei schreiben sie eigentlich eine Erfolgsgeschichte: Nach Angaben des Verbandes Ökokiste e. V., dessen 50 Mitglieder wöchentlich insgesamt 70. 000 Kund*innen in ganz Deutschland beliefern, wuchs der Umsatz zwischen 2019 und 2022 jährlich um durchschnittlich 24 Prozent. Die wöchentlichen Auftragszahlen stiegen in diesem Zeitraum um 41 Prozent, es gab Wartelisten und Aufnahmestopps. Infolgedessen bauten die Betriebe aus, mehr an und beschäftigten mehr Leute. Im vergangenen Jahr gingen Umsätze und Aufträge im Schnitt jedoch um rund sechs Prozent zurück. Das ist zwar weniger als im Bio-Fachhandel, doch es trifft gerade die kleineren Erzeuger*innen hart. „Viele Bio-Gärtnereien hatten 2022 eine gute Ernte, blieben aber auf ihrer Ware sitzen“, sagt Gernot Meyer vom Verband Ökokiste e. V. Gleichzeitig seien die Mindestlöhne gestiegen. „Die Ernte- und Pflegekosten konnten nicht über die Verkaufspreise gedeckt werden.“ Einige Erzeuger*innen waren sogar gezwungen, ihr Gemüse unterzupflügen. Eine schmerzhafte Entwicklung, sind es doch gerade die kleinen regionalen Betriebe, die den Bio-Gedanken über das Label hinaus auch leben.Das Interesse von Landwirt*innen, auf Bio umzustellen, ist immer noch groß. Doch dafür benötigte es mehr Förderung und Forschung zum Thema. Öffentliche Einrichtungen müssten darin bestärkt werden, mehr Bio anzubieten in ihren Kantinen, aktuell liegt der Anteil bei gerade zwei Prozent. Der BÖLW fordert mindestens 50 Prozent. Solange umweltschädliche Landwirtschaft subventioniert, mit Boden und Lebensmitteln spekuliert und Tiere in Fabriken produziert und gehalten werden, hat eine flächendeckende Versorgung mit regional erzeugten Bio-Produkten wenig Chancen. Gutes Essen für alle, das Motto der diesjährigen Demonstration „Wir haben es satt“, bedeutet aber auch Klima- und Artenschutz, der von den Bio-Produzenten gewährleistet wird. Dies darf keine Frage von privaten Konsumentscheidungen oder der Leistungsfähigkeit des Geldbeutels sein, sondern ist Teil einer ökologischen und sozialen landwirtschaftlichen Transformation.
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