„Jede Minute schimmelt es mehr“, ruft eilig einer der Angestellten des Stolberger Stadtarchives. Wir sind im Keller und von oben bis unten in kürzester Zeit mit Matsch beschmiert. Metallene Schränke werden von der Feuerwehr aufgeschweißt, wir reichen nasse Aktenordner sowie Bildbände und Kunstobjekte nach oben, wo sie sich im Erdgeschoss auf Paletten stapeln. Trotz FFP2-Maske beginnt meine Kehle zu brennen, die Eile verstärkend. Das Gedächtnis der Stadt droht nach tagelanger Nässe zu vermodern. Die Bevölkerung hilft, bildet Reihen, harrt in der stickigen Luft aus. Oben sind ganze Familien dabei die Ordner in Klarsichtfolien zu verpacken – bereit fürs Einfrieren. Morgen soll ein spezieller Transporter dafür aus dem Kölner Stadtarchiv kommen, wird berichtet. Die Zeit drängt, nicht nur hier. Während es im Keller schimmelt, beginnt der Schlamm auf den Straßen steinhart zu trocknen. Es ist ein nicht ungiftiges Gemisch aus den Substanzen der Kanalisation, den Ölheizungen und allem, was die Fluten mitgerissen haben.
Scrolle ich abends durch die Nachrichten, finde ich die Berichte über das Versagen der Landesregierung. Über die Warnungen des Europäischen Flutwarnsystems Efas für die betroffenen Regionen, die nicht bei den Menschen angekommen sind. Ich höre den NRW-Innenminister Reul sagen: „Das Wesen von Katastrophen ist, dass sie nicht vorhergesagt werden können“, und ich muss mich beherrschen, ihn nicht anbrüllen zu wollen. Ist das nicht derselbe Politiker, der uns einst von den Bäumen des Hambacher Forstes wegprügeln ließ und der jetzt angesichts der eingetretenen Klimakatastrophe Ahnungslosigkeit vorspielt?
Ob die Warnungen der Efas vor Überflutungen oder die der Klimawissenschaft der vergangenen Jahrzehnte über die Auswirkungen der Klimakrise: Inkompetenz gepaart mit willentlicher Ignoranz haben dazu geführt, dass weder notwendige Maßnahmen für die Verminderung der Emissionen getroffen wurden, noch unser Katastrophenschutz auf das Eintreffen von Extremwetterereignissen vorbereitet war.
Wer die Klimakrise am wenigsten verursacht hat, den trifft es zuerst
„Waren Sirenen zu hören?“, frage ich eine ältere Anwohnerin des Campingplatzes Mulartshütte, durch den sich ein Bach schlängelt und den wir am nächsten Tag helfen zu entrümpeln. „Nein – Sirenen gab es nicht. Plötzlich ging der Strom aus und als wir aus unserem Wohnwagen traten, umspülte uns bereits das Wasser“, erzählt sie. Von Wohnwagen zu Wohnwagen seien sie gerannt, hätten dafür gesorgt, dass sich alle ins oberhalb gelegene Dorf retten konnten. Ihre Habseligkeiten mussten sie zurücklassen. Der Campingplatz gleicht nun einem Trümmerfeld. Viele der Wohnwagen wurden mitgerissen, haben sich ineinander verkeilt oder um Bäume gewickelt. Ein Problem für einige der hier dauerhaft Wohnenden und von Hartz 4 Lebenden. Sie hat die Flut als erstes und am härtesten getroffen. Der zuständige Bürgermeister spricht davon, für sie nun ehemalige Unterkünfte für geflüchtete Menschen anzumieten. Wie und ob sie zurückkommen können, ist genauso unklar wie die Frage, ob die Betreiberin des Campingplatzes es finanziell schaffen kann, ihn wieder aufzubauen.
An diesem Abend treffen mich die Berichte aus Zhengzhou. An einem Tag habe es so viel Niederschlag gegeben wie normalerweise in acht Monaten. Die Bilder von Menschen in überfluteten U-Bahnen sind grausam und zeigen einmal mehr, dass die Klimakrise schon lange nichts mehr ist, was nur in der Zukunft liegt. Sie ist Realität. Allein neu ist, dass wir auch in Mitteleuropa anfangen, sie zu spüren.
„Über Überflutungen in Afrika wird, im Vergleich zu ähnlichen Ereignissen in Europa, immer viel weniger berichtet. Manche sind überrascht zu hören, dass es Überschwemmungen in Uganda gibt!“, twittert Leah Namugerwa, eine Aktivistin bei Fridays For Future Uganda. In den vergangenen Jahren kam es dort immer häufiger und härter zu Starkregenereignissen mit Hochwasser und Erdrutschen. Immer wieder verlieren Menschen so ihr Zuhause, und Ernten werden vernichtet. Es sind die Menschen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben und sich gleichzeitig am wenigsten vor den Auswirkungen schützen können.
Solange das aber nicht weiße Menschen fern Mitteleuropas traf, war es den regierenden Politikern nicht wichtig genug, nicht dringend genug für ein Eingreifen. Stattdessen wurde sich für den Beschluss des Klimaübereinkommens von Paris auf die Schulter geklopft, als ob der Beschluss allein ausreiche, um die Klimakrise aufzuhalten. Eine ehrliche Klimapolitik werden wir erst beginnen können, wenn wir mit der globale Ungerechtigkeit, mit Kolonialismus und Ausbeutung brechen und Maßnahmen ergreifen, die Menschen in allen Regionen dieser Erde in Würde und ohne Klimakrise leben lassen.
Trauer möchte ich spüren, aber kann nur eiskalte Wut empfinden
Im Rheinland, meinem Zuhause, rücken jetzt Ursache und Auswirkung der Klimakrise nah zusammen. Mit den Braunkohlekraftwerken und Tagebauen ist die Region immer noch die CO2-Quelle Europas. Als hier die Bäche begannen zu reißenden Flüssen zu werden, trat auch die Inde über ihr Ufer, nahm sich das alte Flussbett wieder und flutete den Tagebau Inden. Das Kohlekraftwerk Weißweiler ist seitdem von der Kohlelieferung abgeschnitten. Es runterzufahren und für immer abzuschalten, wäre der erste richtige Schritt. Am Tagebau Garzweiler wurden in den vom Tagebau bedrohten Dörfern bereits verlassene Häuser für von den Fluten betroffene Menschen geöffnet. Statt hier weiter Braunkohle abzubauen und die Dörfer dafür zu zerstören, sollten die Kohlebagger in den Ruhestand geschickt werden. Das wird aber leider nicht einfach so passieren – Klimagerechtigkeit bekommen wir nicht geschenkt, wir müssen sie weiter erkämpfen.
Den ersten Keller, denn ich nach den Überschwemmungen mit half auszuräumen, war der meiner Lieben. Auch sie wohnen an einem Bach, auch hier gab es keine Sirenen, sie wurden von den Fluten überrascht, die so hochstiegen, wie sie es noch nie erlebt hatten. Menschen, die ich mein ganzes Leben lang kenne, mit deren Kindern ich zusammen groß geworden bin. Nun trugen wir ihre in Jahrzehnten gesammelten Bücher über Kunstgeschichte auf die Straße. Als ein altes Familienfoto aufblitzt, fische ich es aus dem Berg und wische es an meiner Hose ab. Trauer möchte ich spüren, aber kann nur eiskalte Wut empfinden. Am 27. August, wurde mir gesagt, gäbe es eine Demonstration in Düsseldorf gegen das Versagen der Regierung. Wer kann, nichts wie hin.
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