Jetstream Love

Prosecco auf die Wunde Mit einem harmlosen "Schundroman" kuriert Bodo Kirchhoff sein gekränktes Autoren-Ego

Das Schöne am Trivialroman ist, dass sein Schöpfer ungeniert Gott spielen kann. Eine Personengruppe mit blühenden Phantasienamen wie Hagen Pallas und Vanilla Campus verliebt sich ineinander, schießt aufeinander, begegnet sich rund um den Globus in den unwahrscheinlichsten Konstellationen immer wieder. Am Ende finden die Überlebenden in Liebe zueinander, bei einem Nachtflug Frankfurt-Manila. Der Schriftsteller Bodo Kirchhoff, Jahrgang 1948, spielt mit Leidenschaft den belletristischen Gottvater. Denn Kirchhoff leidet chronisch daran, dass ihn die Literaturkritik nicht genügend lobt. Auch sein von ihm selbst unablässig als opus magnum gepriesener Roman Parlando, der im letzten Herbst erschien, stieß auf ein zwiespältiges Echo. Marcel Reich-Ranicki sprach in einer der letzten Sendungen des Literarischen Quartetts" von Kirchhoff als grandiosem Erzähler, der ein missratenes Buch geschrieben habe.
Das hätte der 82-Jährige nach Lage der Dinge besser nicht getan. Der gekränkte Autor nämlich sann forthin auf Rache. Und deshalb muss der in Physiognomie und Bedeutung Reich-Ranicki nachempfundene Kritiker Louis Freytag, der "Pate unseres sizilianischen Literaturbetriebs", in Kirchhoffs jüngstem Werk Schundroman sterben - als ein erstes, allerdings zufälliges Opfer unter vielen.
Bereits vor Erscheinen des Schundromans in der vom Unseld-Sohn Joachim geleiteten Frankfurter Verlagsanstalt fühlte sich Kirchhoff bemüßigt, im Spiegel auf Parallelen zwischen seinem Buch und dem inkriminierten Tod eines Kritikers von Martin Walser hinzuweisen. Kirchhoff schildert in dem Artikel, wie er Walser als halbwüchsiger Redakteur einer Schülerzeitung interviewte: "Ein Staatsschauspieler und Gelehrter der Schriftstellerei, mit Ende dreißig schon älter, als ich es je sein werde.". Er versäumt dabei nicht, sich mit dem Meisterprovokateur vom Bodensee auf eine Stufe zu stellen. Kirchhoffs Buch, an dem er parallel zu Walser schrieb, ist im Gegensatz zu letzterem frei von antisemitischen Untertönen, da Reich-Ranicki nur als Funktionsträger, nicht aber als Person karikiert wird. Dennoch kann der Verfasser nicht der törichten Versuchung widerstehen, sich als Opfer der semantischen Political Corectness ("Meine Mutter, Jahrgang 25, riet mir, das Wort Jude gar nicht erst zu gebrauchen, um Gottes Willen") mit den Opfern des Holocaust zu vergleichen - eine eitle Peinlichkeit.
Neiderfüllte Sottisen, besonders gegen einen gewissen Starautor namens Ollenbeck - hip und schlaftrunken wie Michel Houellebecq - prägen auch Kirchhoffs Schlüssel- alias Schundroman. "Nur ein Buch und schon das Männerwunder der deutschen Literatur", heißt es über Ollenbeck. Die Beobachtungen aus den Höhen und Niederungen des Literaturbetriebs und seiner alljährlichen Kumulation in Frankfurt dienen aber bloß als Hintergrund für die Kriminalhandlung, die die Gattung des Schundromans zwingend vorschreibt. Der amusische Profikiller Willem Hold alias Hagen Pallas gerät aus beruflichen Gründen auf die Buchmesse. Zuvor hat er sich im Flugzeug in eine Kunstdiebin und Edelhure verliebt. Um sie nach der Landung in Frankfurt vor Verfolgern abzuschirmen, schlägt er in einem Kiosk einen älteren Herrn mit markanter Nase nieder - eben jenen Louis Freytag.
Sofort fällt der Verdacht auf einen gekränkten Autor, der Rache am Kritiker genommen haben könnte. Das Anfangsverbrechen - kein Mord wie bei Walser, sondern Körperverletzung mit Todesfolge - zieht weitere nach sich, "murder in progress" sozusagen. Die Idee von der Bluttat auf der Buchmesse ist nicht neu. Bereits 1979 strahlte der Hessische Rundfunk die Tatort-Folge Der King aus. Damals ging es um einen Starautor, der einen Schlüsselroman über einen Waffenhändler geschrieben hatte und kurz nach der Pressekonferenz auf der Messe das Zeitliche segnete.
Bodo Kirchhoff illustriert sein Verbrechen an einem Mann des gedruckten Wortes mit telegenen Randerscheinungen wie Vanilla Campus alias Verona Feldbusch, die mit ihrer Sexfibel Bodymotion debütiert, im Lauf der Handlung Witwe wird und sich neu verliebt. Auftrag und private Passion des Willem Hold und mit ihm das Buch beginnen und enden auf einem Langstreckenflug - wie sollte es bei diesem Autor anders sein.
Stets geht es einem Frankfurter alter ego Kirchhoffs, diesmal dem Sohn eines Juweliers aus der Zobelstraße, um die Suche nach dem Ich und die Flucht vor ihm, und das möglichst auf Interkontinentalflügen. Im locker, schnell und lustvoll hingeschriebenen Schundroman, der viele Motive aus früheren Büchern variiert, bleibt er sich treu, als er Willem, seinen Macho vom Dienst fabulieren lässt: "Dieses Gewackel, das ist der Jetstream, und weißt du, was da immer passiert in der First Class? Die Leute treiben es unter den Decken, weil´s gar nicht auffällt, wenn sowieso alles wackelt und immer einer stöhnt vor Angst. Jetstream Love, heißt das - auch versuchen?"
Bodo Kirchhoff hat sich am Schundroman versucht und ein amüsantes, vor Lust an der Provokation moussierendes Revival dieses Vierziger-Jahre-Genres produziert. Die unverhoffte Aufmerksamkeit, die das harmlose Werk durch die aktuelle Debatte erfährt, sei ihm gegönnt: Balsam für ein bedürftiges Autoren-Ego.

Bodo Kirchhoff: Schundroman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2002, 316 S., 19,80 EUR


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