Am Pool nichts Neues

Adoleszentenprosa Georg M. Oswalds neuer Roman "Im Himmel"

Ein Jüngelchen trifft auf einem bayerischen Schloss ein, einem privaten Institut zur Erlangung der Allgemeinen Hochschulreife, und verabschiedet sich von seinen Eltern und der Schwester, um sich wenig später an den Tisch zu setzen, seiner vermeintlichen Berufung zum Schriftstellerdasein zu folgen und die Geschichte der letzten Ferien aufzuschreiben. Darin liegt nichts Besonderes, und das macht auch schon den Kern des vorliegenden Romans von Georg M. Oswald aus, dem 1963 geborenen Autor und Rechtsanwalt aus München, der gern als "Literat der Single-Generation" gepriesen wird: Nichts Besonderes. In einer Sprache, die dem verschulten Adoleszenten alle Ehre macht, erzählt er in aller Nichtigkeit, in aller detailversessenen Langsamkeit von - nichts. So scheint es zumindest.

Der Vater des Auf-Schreibers, ein Rechtsanwalt, Segler und Golfer, die Mutter eine Literaturwissenschaftlerin, die Schwester angehende Kunsthistorikerin und "Hand-Model", können seiner Gleichgültigkeit ebenso wenig entkommen wie die Familie Schmidt, die reichere, angesehenere, alteingesessenere Nachbarsfamilie. Zu deren Kindern unterhält der Erzähler eine angekiffte Beziehung, die den Namen nicht verdient: Belanglosigkeit herrscht vor Tuchfühlung. Die Geschichte des Adoleszenten beginnt mit dem Auftrag der Mutter, ein Päckchen Salz zu holen vom Nachbarn Schmidt. Von Frau Schmidt zu deren Kindern am Pool geschickt, gerät das Salz über 50 Seiten in Vergessenheit zugunsten einer Nacht der Parties, der Joints und blauen Pillen, an deren Ende sich der Junge nach Hause schleicht und von seiner Mutter mit der Frage nach dem Salz empfangen wird, als hätte sie nichts anderes zu fragen nach so langer, unvorhergesehener Abwesenheit.

Das ist komisch, denkt man. Das ist nicht komisch, denkt man weiter. Das soll so sein, und so soll es bleiben. "Nach dieser Nacht verfiel ich wieder in die Lethargie der großen Ferien, der ich mich tagelang mehr oder weniger regungslos ergab". Es sind die großen Ferien nach dem endgültigen Schulversagen, dem Sitzenbleiben, das auf eben jenem privaten Institut "geheilt" werden soll. Die Lethargie treibt weiter mit einer Gartenparty bei Schmidts, auf der der Hochzeitstermin der mit anderen Männern herumknutschenden Schmidt-Tochter Britta mit Gerry Kerschensteiner bekannt gegeben werden soll. Der Junge Marcel begleitet seine Eltern, verläuft sich in die Hausbibliothek und wird vom Schmidt-Sohn Frank in dessen Familiengeschichten eingeweiht. Dass Schmidt-Vater in den Kerschensteiner-Vater verknallt ist, solche Unternehmertypen mag und an Kerschensteiners Geld heranlangen möchte durch diese Hochzeit, gerät beinahe etwas ins Hintertreffen angesichts der Erzählung, dass Schmidt-Mutter von Tom gevögelt wird wie ihre Tochter Britta. Das zweite Mal innerhalb weniger Tage ist Marcel total bekifft und betrunken. Solche Benebelungsaktionen lassen auch seine "Scheu vor Bedeutsamkeit" verschwimmen, und er notiert sich nach einer wiederum in Partystimmung mit geklautem DVD-Player verbrachten Nacht die Sätze eines alternden Mannes, auf den er beim Zappen stieß. Dabei beeindruckt ihn offenbar, "daß es ihm möglich war, Worte wie ›seit einigen Jahrhunderten‹ und ›Menschheit‹ auszusprechen, ohne dabei verlegen zu werden. Er war ganz bei sich." Etwas, was dem Jungen Marcel völlig fremd ist, weil er der Gleisnerei, der Scheinheiligkeit allenthalben begegnet ist und begegnet, in der vorhergehenden wie in seiner Generation.

Unter dem Mäntelchen allgemeiner Freundlichkeit und Verbindlichkeit blitzen die Hemdfetzen der Beutelschneider, der Falschmünzer und Defraudanten. Das ist so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass es keines schlechten Gewissens bedarf, sich freundlich und verbindlich zu verhalten. Dahinter vermutet jeder ohnehin das Mieseste, und offenbar macht es selbst für Jugendliche keinen Sinn, daraus ausscheren zu wollen. Sturm und Drang sind vorbei, ehe sie hätten beginnen können, die Eltern in ihrer mutmaßlichen Kumpelhaftigkeit einfach kein Ziel des Aufbegehrens. Das geht so weit, dass man einfach heiratet, wen die Alten wollen, wie es offenbar bei Britta und Gerry der Fall ist, die sich nicht lieben, nicht verabscheuen, sich ebenso innig küssen wie Britta und Tom und das Paar schlechthin zu sein scheinen. Die Hochzeit in einer Barockkapelle findet ihre Fortsetzung in einem zur Feier gemieteten Hotel. Zum Abend hin verschwindet Britta mit den Brüdern und einigen Freunden, darunter auch Tom, noch einmal im Club - ohne Gerry, der sturzbetrunken in seinem Zimmer liegt. Sie kommen erst am nächsten Morgen zurück, und Britta ist Witwe: Gerry ist ins Wasser gegangen, es bleibt ungeklärt, ob in selbstmörderischer Absicht oder "versehentlich". Er ist derjenige, der unter die Oberfläche taucht und dort umkommt.

Das unvorhergesehene Ende der Geschichte vermag im Jungen Marcel nur vorübergehend so etwas wie Erschütterung auszulösen. Die Sommerferien gehen ihrem Ende zu, nach Gerrys Beerdigung packt er seine Sachen, um sein Abitur zu versuchen auf jenem bayerischen Schloss. Zu Schmidts geht er nicht mehr. "Es würde mich natürlich schon interessieren, wie es jetzt ist. Aber wahrscheinlich hab ich gar nicht so viel geändert. Es ändert sich ja nie etwas, egal, was passiert." In diesen letzten Sätzen wird offenbar, dass Georg M. Oswald auch den Leser auf die Schippe nimmt: Er lässt in die Schwebe zurückschnippen, ob sich das Erzählte so zugetragen hat oder nicht. Auf einmal erscheint es wie ein Stück Sehnsucht nach Bedeutsamkeit, was der Junge Marcel erzählt. Wenn man die letzten beiden Sätze des Buches überliest, ist, was Georg M. Oswald mitzuteilen hat, wahrlich nichts Neues. Ein Stück Adoleszentenprosa, wie sie das ganze vergangene Jahrhundert über immer und immer wieder geschrieben wurde. Aber das weiß er, und das macht diese Geschichte auf seltsame Weise sympathisch.

Georg M. Oswald: Im Himmel. Roman. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2003, 184 S., 16,90 EUR


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