Das tut die Flasche nicht!

Tatort Es geht erst spät um Mord. Und überhaupt: Der Tatort "Absturz" enttäuscht auf ziemlich schöne Weise eingefahrene Sehgewohnheiten

Ich ahne ja, dass ich mit meiner Meinung, Saalfeld und Keppler hätten das gewisse Etwas, ziemlich allein dastehe. Will's aber erklären: Gerade weil Martin Wuttke der deutlich bessere Schauspieler ist, Simone Thomalla aber trotzdem nicht zur Idiotin im Hintergrund verdammt wurde (wie zum Beispiel Charlotte Lindholms Babysitter Martin), konturiert sich diese TV-Beziehung durch das jeweilige Talent zum Als-Ob – und das ist nicht das Schlimmste, was man über ein Fernseh-Paar sagen kann. Was habe ich deshalb an dem Leipziger Tatort in der Vergangenheit gelitten! Weniger wegen, sondern vor allem mit ihm.

Heute die Erleichterung: In der Folge "Absturz" gab es wenig zu leiden, im Gegenteil. Es steckte viel Gutes, Schönes und Wahres darin. Thomalla bekam nicht allzu oft die Gelegenheit, sich Tragik ins Gesicht zu kleistern, und Matthias Brandt und Henrik Stahlberg besetzten das Duett von Opfer und schuldlos schuldigem Täter als Schauspieler, denen nichts so fern liegt wie das Prätentiöse.

Dieser Film nahm sich Zeit, viel Zeit, um fast planvoll die Erwartungen zu enttäuschen, die man sich als Tatort-Zuschauer im Laufe der Jahre angewöhnt hat. In der ersten Hälfte geht es fast ausschließlich um das verunfallte Kind, das nicht einmal einen wirklichen Fall für Saalfeld und Keppler darstellt, und auch nicht über die Maßen problematisiert wird. Ein echter Mord geschieht erst spät, und der wird recht umstandslos gelöst — fast ohne jene sinnfreien Verwicklungen, die der Tatort gerne einmal einbaut, um sich das Etikett "Krimi" zu verdienen.

Und weiter mit den enttäuschten Sehgewohnheiten: Als der Vater dem Unfallpiloten im Krankenhaus begegnet, geht er nicht mit bloßen Händen auf den anderen los. Er wirft einen Blutbeutel nach ihm, auf dass jeder sehe: Es klebt fremdes Blut an diesen Händen! Abends betäubt er sich mit Alkohol, und man meint zu wissen, dass die Flasche gleich gegen irgendeine Wand fliegen wird, weil das Fernsehen in solchen Fällen meistens so etwas macht. Allein, das tut die Flasche nicht, stattdessen fängt der Vater an, zur Musik seines Sohnes zu tanzen, steif und ungelenk. Ein im besten Sinne merkwürdiger Moment von Intimität. Die Flasche segelt später in eine Baugrube, im Hintergrund erleuchtet der Neon-Slogan "Zuhause in Leipzig" die Stadtnacht.

Da scheinen sich also tatsächlich drei gefunden zu haben: Mit großem Bemühen um dezente Authentizität und ohne sie zur Parabel über Schuld und Verantwortung aufzuhübschen, erzählt André Georgi die Geschichte von den beiden Leipzigern, deren einer Geld hat, aber keine Familie mehr, und deren anderer eine Familie hat, aber kein Geld zur Renovierung des Hauses. ("Das wird mal unser Zuhause. Seit drei Jahren schon. Das Geld von der Flugschau war fürs Badezimmer. 'N Waschbecken für 'n totes Kind.")

Die Antworten auf seine Fragen verweigert der Film einfach. Kameramann Peter Nix findet schöne Bilder, die von Abwesenheit und von Ohnmacht berichten, und Regisseur Thorsten C. Fischer nimmt Georgi kaum weniger beim Wort, da er die Blicke, die einander zugeworfen werden, genau porträtiert und die beiden Biografien, die sich plötzlich überkreuzen, schlau ineinander schneidet. Wie gut er das beherrscht, erfuhr man bereits zu Beginn, als Kinder hüpfen, lachen, kreiseln, sich die Bewegungen verlangsamen, das Lächeln eines Clowns zur Groteske gefriert – und der Unfall, auf den dies alles zusteuert, immer schon geschehen ist, sobald die Polizei eintrifft.

Seelsorgerischer Dienst am Zuschauer: Es muss sich nicht mehr schämen, wer offen zu Thomalla und Keppler steht
Noch ein Keppler-Satz, der fast immer passt: "Schalten Sie das Scheiß-Gedudel ab!"

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