Dirk Bauermann steht am Spielfeldrand, die Arme vor der Brust verschränkt. Mit hervortretender Halsschlagader und mahlenden Backenknochen beobachtet der Trainer, was seine Mannschaft ihm da bietet. Ihm und 3.200 Menschen, die an diesem Samstagabend in die ausverkaufte Halle gekommen sind, um die neue Basketball-Mannschaft des FC Bayern München spielen zu sehen. Als die letzten Minuten gegen die hilflos unterlegene Mannschaft aus Crailsheim beginnen, stehen die Zuschauer klatschend auf. Aber auch nach dem Abpfiff lächelt Bauermann kaum, er ist zu konzentriert. Dabei war der Sieg nie gefährdet. Das souveräne 91:65 hat seiner Mannschaft erneut die Tabellenführung in der zweiten Liga gebracht. Doch Bauermann hat noch zu viele Fehler gesehen. Er ist Perfektionist, er will immer das Maximum. Hier in München, wo er seit dem Sommer neben seinem Job als Bundestrainer auch die Mannschaft des FC Bayern trainiert, erwarten sie nichts anderes.
Als sich der FC Bayern vor einem Jahr das erste Mal bei Bauermann meldete, „dachte ich, die wollen sich nur einen Rat holen“, sagte der 52-Jährige damals. Aber dann merkte er schnell, dass es den Bayern ernst ist. Ernst mit dem Vorhaben, eine bundesligafähige Mannschaft samt bundesligafähigem Umfeld aufzubauen. Und ernst auch damit, den Erfolgshunger der siegesgewohnten Fußball-Sparte auf eine andere Sportart zu übertragen. Ein finanzielles Risiko geht der FC Bayern dabei kaum ein: Mit einem Jahresumsatz von rund 290 Millionen Euro sind die Münchner nicht nur der Krösus der Fußball-Bundesliga, sondern zählen auch in der Wirtschaftswelt zu den Großunternehmen. Im Vergleich nehmen sich die 60 Millionen Jahresumsatz der gesamten Basketball-Bundesliga (BBL) gering aus. „Wenn wir etwas machen, dann richtig“, sagte Bayern-Präsident Uli Hoeneß und erhöhte den Etat der Basketballer von 650.000 Euro auf 1,5 Millionen Euro. Für die Lizenz müssen die Klubs der zweiten Liga einen Etat von 350.000 Euro aufweisen, in der BBL erhöht sich die Anforderung auf mindestens eine Million Euro – rein zahlenmäßig könnte der FC Bayern also jetzt schon in der Eliteliga mitspielen.
Eine Umfrage unter den rund 140.000 Bayern-Vereinsmitgliedern beseitigte letzte Zweifel an der Idee, neben dem Fußball auch die Basketball-Abteilung auf ein Top-niveau zu heben. Das Ergebnis der Umfrage war eindeutig: Den Fans gefällt die Vorstellung, ähnlich wie bei anderen europäischen Spitzenklubs eine zweite Spielwiese für ihre Leidenschaft zu bekommen. Ein Mittagessen mit Hoeneß überzeugte Bauermann. Er sagt: „Mit Geld allein schaffst du so etwas nicht, aber hier sind Persönlichkeiten am Werk, die absolut begeistert sind von dem, was sie machen.“
Im Juli setzte sich Hoeneß mit Bauermann in die renovierte Trainingshalle an der Säbener Straße, um vor einer Sponsorenleinwand mit Bayern-Logo das Vorhaben der Presse zu erläutern. Schon 1970 sei er gerne zu Basketballspielen des USC München gegangen, erzählte Hoeneß. Auch heute stehe er noch ab und zu nachts auf, um sich im Fernsehen ein Spiel der amerikanischen Profiliga NBA anzusehen. Dass neben dem Fußball hierzulande kaum ein anderer Sport in größere Dimensionen vorstößt, kitzelt Hoeneß’ Ehrgeiz. Nach dem Rückzug als Klubmanager hat er nun mehr Zeit für andere Projekte abseits des Fußballs. Die jahrelang gesammelte Erfahrung und der eingeführte Name des Rekordmeisters sollen helfen, die Marke FC Bayern auch im Basketball zu positionieren. Zu Jahresbeginn hatte sich Klub-Vize Bernd Rauch beim FC Barcelona, bei Real Madrid und bei Alba Berlin jeweils vor Ort erkundigt, was es zu einem europäischen Basketball-Topklub braucht. „Wenn man da in Berlin die riesige, neue Arena sieht, kommen einem die Tränen“, sagt Rauch. In München gibt es solche Strukturen nicht. Noch nicht.
Internationale Erfahrung
Bauermanns Zusage sorgte für Aufsehen: Der Trainer der Nationalmannschaft in der zweiten Liga? Bauermann ist Deutschlands bekanntester Basketball-Trainer, er hat in den USA, Belgien und Griechenland gecoacht, mit seinen Mannschaften neun Meistertitel und vier Pokalsiege geholt, mit der Nationalmannschaft eine WM-Bronzemedaille gewonnen. Trotzdem sagt er: „Dieses Projekt ist die spannendste Aufgabe, die mir je angeboten wurde.“
Andere sehen das ähnlich: Steffen Hamann musste nicht lange überlegen, als sein ehemaliger Trainer sich bei ihm meldete. Der Aufbauspieler und Kapitän der deutschen Basketball-Nationalmannschaft hatte sich bei Alba Berlin nie recht eingelebt. Er löste seinen Erstliga-Vertrag, um sich dem zu verschreiben, was vom FC Bayern auf Plakaten in ganz München als „Mission Aufstieg“ tituliert wird.
Um den Durchmarsch in die erste Liga zu schaffen, versammelte der weltweit vernetzte Bauermann eine illustre Sportlergruppe: Aus den USA wechselte Jonathan Wallace nach München, der Bundesligaangebote ausschlug. Aus der ersten Liga kam dazu Center Darius Hall, 37, an die Isar. Hall ist zwar schon in einem fortgeschrittenen Alter, aber „unter dem Korb ist er eine Macht“, sagt Bauermann. Außerdem hat Hall eine Eigenschaft, für die ihn die Fans lieben: Er spielt nicht nur leidenschaftlich, er zeigt es auch mit großen Gesten und wilden Grimassen. „Wir haben gezielt Spieler verpflichtet, die das hier nicht nur professionell runterspielen, sondern emotional auftreten“, sagt Bauermann. Er weiß, dass er nicht nur einen sportlichen Auftrag hat: „Wir müssen den Leuten das Gefühl geben, dass hier etwas Besonderes passiert.“
Weil es für die Basketballer keine eigene Halle mit genug Plätzen in München gibt, teilt man sich die Olympia-Eishalle mit dem Eishockey-Erstligisten EHC München. 3.225 Plätze hat die Halle bei Basketballspielen, schon vor Saisonbeginn wurden über 1.500 Dauerkarten verkauft. Fünf Heimspiele hatten die Bayern bislang, vier waren ausverkauft. Die Akzeptanz der Zuschauer ist für das Projekt entscheidend, sagt Bauermann: „Letztlich stimmen die Leute mit den Füßen über uns ab.“
Steffen Hamann sitzt in einem Büro des glasglänzenden Anbaus der Geschäftsstelle an der Säbener Straße und schwärmt von den Möglichkeiten des FC Bayern. Der Teppich mit dem eingewebten Klubemblem ist im Stockwerk der Basketball-Abteilung noch fast neu. Zwei gläserne Sektkübel dienen als Auflage für Basketbälle. Auf einer Anrichte daneben liegt das Trikot mit dem neuen Brustsponsor, einer Bank, die Uli Hoeneß persönlich geworben hat.
Glückwünsche vom Gegner
„Geld trifft keine Körbe“, hieß es einmal auf einem Plakat bei einem Auswärtsspiel des FC Bayern. Doch von den anderen Klubs, vielen ihrer Fans und auch von der BBL-Führung bekommen die Bayern Glückwünsche dafür, dass „endlich jemand versucht, mit so einem Projekt dem deutschen Basketball einen neuen Impuls zu geben“, wie es Bauermann formuliert. Hamann sagt: „Was sich hier entwickelt, ist beeindruckend.“ Der Aufbauspieler zog sich allerdings im ersten Spiel einen Mittelfußbruch zu. Direkt nach der Operation meldete sich Hoeneß per Telefon im Krankenhaus, um ihm Mut zu machen. Der Spitzenklub mit familiärer Wohlfühl-Atmosphäre, auch daran sollen die Basketballer nun teilhaben.
So oft wie möglich trainiert Hamann seitdem im vereinseigenen Reha-Zentrum an der Säbener Straße, in dem auch die Fußballprofis an den Geräten schwitzen. Nationalspieler Demond Greene, der zweite große Name unter den Neuen, begleitet ihn dabei. Hiphop-Musik wummert durch den kleinen Raum im Erdgeschoss, in dem Greene und Hamann unter Anleitung eines Physiotherapeuten ihre Übungen machen. „Hey, Trainer, der macht schon wieder Pause“, scherzt Hamann, während er auf dem Bauch liegend Schwimmbewegungen mit Hanteln macht. An diesem Tag Mitte November ist er guter Dinge. Er ist kurz davor, ins Mannschaftstraining zurückzukehren.
Greene, der vom griechischen Erstligisten Larisa zum FC Bayern kam, wirft ihm einen wütenden Blick zu, bevor er mit einem Lächeln weitermacht. Den 31-Jährigen hat es schwerer getroffen: Eine Woche nach Hamanns Ausfall blieb auch Greene plötzlich auf dem Parkett liegen: Achillessehnenriss, Operation, Schiene am linken Fuß, mehrere Monate Pause. „Hier dabei zu sein, bedeutet mir viel“, sagt er. „Ich tue alles dafür, wieder gesund zu werden.“ Auch, weil er nichts verpassen will. „Ich habe mich selten zuvor so auf eine Saison gefreut wie auf diese.“
In Larisa, wo Greene zuvor unter Vertrag stand, wurde ihm sein Gehalt nicht regelmäßig überwiesen. Noch immer stehen Zahlungen aus. Greene macht eine wegwerfende Handbewegung, als er davon erzählt: „Das kannst du vergessen.“ Beim FC Bayern haben sie ihm einen Ein-Jahres-Vertrag geboten, der sich im Fall des Aufstiegs um zwei Jahre verlängert. „Mir gefällt die Seriösität, mit der die Leute hier das Ganze anpacken“, sagt Greene. Eben das Erfolgsrezept des FC Bayern.
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