IT-girls & Gameboys

MEDIENTAGEBUCH Dass "die Medien" heutzutage vor allem die Aufgabe übernommen haben, die Bühne für die Selbstdarstellungsshows der Politiker abzugeben, daran haben ...

Dass "die Medien" heutzutage vor allem die Aufgabe übernommen haben, die Bühne für die Selbstdarstellungsshows der Politiker abzugeben, daran haben wir uns auch hierzulande mittlerweile gewöhnt. Ob im Schröder-Wahlkampf oder bei der mit der Kohl-Demontage einhergehenden Merkel-Inthronisation, die Zeitungen und Magazine der großen Verlage sorgten für die entsprechende Begleitmusik, die auf dem immerselben Grundrhythmus basierte, nämlich dem vom beschleunigten Umbau des Sozialstaats in ein Paradies für Jungunternehmer und Kleinaktionäre.

Liest man die aktuelle Spiegel-Titelstory über die "Generation-Ich", so gewinnt man den Eindruck, dass die Strategie der self-fulfilling-prophecy allmählich aufgeht. "Mölli" heißt die neue Ikone des Aufbruchs, und die Rot-Grüne-Koalition erscheint im vorweggenommenen Rückblick schon jetzt nur noch als Zwischenspiel, als Katalysator einer schönen neoliberalen Welt von E-Commerce und IT-start-ups. Die großen Printmedien schreiben den Erfolg herbei, der auch ihr eigenes Überleben zu sichern verspricht. Denn wer kann es sich leisten, ganzseitige Anzeigen zu schalten, wenn nicht Banken, Telekommunikations-Konzerne und Investmentfonds?

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Neuformulierung der Publizistischen Grundsätze durch den Deutschen Presserat: "Die Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Jorunalistinnen und Journalisten beeinflusst werden." Damit soll verhindert werden, dass Journalisten ihr börsenrelevantes Insiderwissen über Unternehmensfusionen und Aktienkurse vor der Veröffentlichung zum eigenen Vorteil nutzen. Erst informieren, dann selber kaufen oder verkaufen, lautet die Selbst-Ermahnung.

Vom hart umkämpften Markt für Wirtschaftspublikationen wird unterdessen die Pleite des Fachblatts Econy vermeldet. Offenbar war den Akteuren der "Neuen Wirtschaft", an die das Monatsmagazin unter Chefredakteurin Georgia Tornow in erster Linie adressiert war, zu träge. Vielleicht lesen sie aber auch lieber das schöner aufgemachte Magazin brandeins der Econy-Gründerin Gabriele Fischer. Sie hatte, nachdem der Verlag des Manager-Magazins Econy erstmals einstellen wollte, die Zeitschrift im Eigenverlag weitergeführt und sich kurz darauf mit den neuen Verlegern des Mainzer Verlags für Wirtschaftsmedien überworfen, der daraufhin Georgia Tornow die Leitung übertrug.

Eine Geschichte, die den Gründerinnen-Mythos nährt, der einem in einer ganzen Reihe neuer, speziell an junge Frauen gerichteten Sondernummern von Frauenzeitschriften entgegenkommt. Nicht nur Business Vogue, sondern auch Allegra "women" und Brigitte Young Miss "working girl" liefern den ideologischen Überbau für den weiblichen Teil der sogenannten Ich-Generation. Ähnlich wie die Erfindung der Schreibmaschine den Beruf der Sekretärin nach sich zog, braucht Informationstechnologie auch heute wieder weibliches Personal. In den USA versucht man, dem aktuellen Mangel an Arbeitskräften in der IT-Branche durch gezielte Anwerbung von Frauen zu begegnen. Bei IBM, so kann man in Allegra "women" lesen, hat sich bereits die Erkenntnis durchgesetzt, dass proportional zum Frauenanteil in leitenden Positionen der Gewinn eines Unternehmens wächst. "Girls are IT" - "Mädchen sind Informationstechnologie" - hieß kürzlich eine Konferenz des US-amerikanischen Konzerns, bei dem Ingenieurinnen Mädchen davon überzeugen sollten, dass technische Karrieren "wirklich cool" sind.

Hierzulande war der Frauenanteil in den Informatik-Studiengängen in den letzten Jahren wieder rückläufig. Die Frauenbeauftragte dieses Studiengangs an der Humboldt-Universität in Berlin führt das darauf zurück, dass Informatik immer noch ein negatives Image hat. Das Fach sei, so denken viele, etwas für Freaks, für blasse, picklige Stubenhocker, die keine Freunde haben, weil sie tage- und nächtelang vor ihren Computern sitzen. Der jugendlich unbedarfte Blick bleibt beim Gedanken an Multimedia aus nahe liegenden Gründen eben einfach an der glamourös schillernden Oberfläche hängen: bei den MTV-Moderatoren, dem Modedesign und Make-up. Um das Image der Branche aufzupolieren, erscheinen zur Zeit immer häufiger Reportagen über die neuen Multimedia-Helden, die Computerfreak, Künstler und Partymensch in einem sind. Aber die eigentlichen Sieger der Mediengesellschaft sind die Frauen.

Das jedenfalls behauptet der Medienphilosoph Norbert Bolz: "Ihr Geheimnis: Sie reden mehr, schöner und besser", schreibt er in einem Artikel für die Frankfurter Rundschau. "Wenn man die Multimedia-Gesellschaft verstehen will, hilft es nichts, einen Computer aufzuschrauben." Die Ignoranz der Frauen gegenüber technischen Details erweist sich als Vorteil. Der Sieg der Plaudertaschen über die Bastler bahnt sich an: "Im Verhältnis von Männern und Frauen wiederholt sich die Dialektik von Herr und Knecht. Der Herr siegt sich zu Tode - und am Ende ist die Öffentlichkeit feminisiert."

Und was wird aus den Jungen? Die sitzen zu Hause und trainieren Pokémons auf ihren Gameboys. Reden braucht man dabei nicht. Frauen, so hat man statistisch ermittelt, benutzen täglich gut doppelt so viele Wörter wie Männer. Tendenz steigend.

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