Der Taxifahrer behauptet, sein letztes Geld gerade für eine Portion Takeaway-Sushis ausgegeben zu haben. Pech für die Bordsteinschwalbe, die ihn eigentlich dazu überreden wollte, mit ihr nach Hause zu gehen. Andererseits sollte sie froh sein, dass sie den groben Kerl, der mit ihr nicht einmal die Rückbank seines Taxis teilen würde, nicht in ihr Bett gelassen hat. Recht hat er dennoch: Für einen Quickie reicht schließlich auch eine dunkle Straßenecke. Rührend hilflos ihr Kommentar danach, dass es auf der Bank schöner gewesen wäre...
Der britische Dramatiker und Regisseur David Hare hat Arthur Schnitzlers Reigen für zwei Personen bearbeitet und in eine heutige Großstadt verlegt. Die Uraufführung fand vor eineinhalb Jahren in Sam Mendes' Donmar Warehouse in London statt. Sie sorgte anschließend auch am Broadway für Aufsehen, weil Hollywood-Star Nicole Kidman während einer Drehpause zu Kubricks Eyes wide shut Lust hatte, mit Iain Glen auf der Bühne zu stehen und sich dabei für einige Sekunden nackt zeigte.
In der deutschsprachigen Erstaufführung von Peter Löscher an den Hamburger Kammerspielen haben sich Natalia Wörner und Herbert Knaup, sonst vor allem auf der Leinwand zu Hause, in das schauspielerische Abenteuer gestürzt, je fünf Rollen und zusammen die zehn Paarkonstellationen des Reigens zu spielen.
Einen überwiegend ironischen Blick wirft David Hare auf die peinlichen Situationen, in die sich Menschen beiderlei Geschlechts bringen, um ihre Körperflüssigkeiten auszutauschen. Mit der "Kunst zu lieben" hat das rein gar nichts zu tun. Eher schon mit Marktgesetzen, die je nach Angebot und Nachfrage den Preis regeln. Dass die Figuren diese Geschäftsgrundlage in der Hitze ihrer Begierden immer wieder aus den Augen verlieren, Täuschungen und Selbsttäuschungen erliegen, macht sozusagen den romantischen, illusionären Teil dieser Reigen-Bearbeitung "frei nach Schnitzler" aus. Hin und wieder ein kurzes Aufflackern der Libido, sonst nichts als eitle Selbstbezogenheit, Machtspielchen und viel soziales Klischee: das osteuropäische Au-pair-Mädchen ist naiv, der Student verklemmt, der Dramatiker exaltiert, das Model drogensüchtig und so weiter. Schön ist, wie es den beiden Darstellern trotzdem gelingt, zu zeigen, dass jede Figur mindestens zwei Gesichter hat: Je nachdem, wer ihr Gegenüber ist, weckt das Begehren ganz unterschiedliche Phantasien. Was früher als Doppelmoral galt, wirkt heute eher wie die ganz normale Orientierungslosigkeit multipler Persönlichkeiten. Nur passen diese Projektionen eben selten einmal zusammen. Und so dreht sich der Reigen schier endlos weiter. Der Regisseur Peter Löscher sieht darin den optimistischen Grundton in Hares Stück. Sozusagen ein Plädoyer für die Multioptionsgesellschaft: Alles ist möglich. Man darf die Hoffnung nur nicht aufgeben.
Was aber auch auf der Bühne zu sehen ist, sind Figuren, die in patriarchalen, bürgerlichen Wertvorstellungen und Hierarchien befangen sind. Kaum zu glauben, dass ungefähr auf halben Wege zwischen Schnitzler und Hare so etwas wie eine sexuelle Revolution stattgefunden haben soll. So wie Hare die Szenen anlegt, ist von der vermeintlichen Befreiung der Geschlechter nicht viel übrig geblieben, außer einem zweckrationalen, verdinglichten Umgang mit dem eigenen Körper.
Am deutlichsten zeigt sich das im ehelichen Schlafzimmer. Was der Mann nicht weiss, die Zuschauer aber im vorangegangenen Bild gesehen haben: die vernachlässigte Ehefrau hat sich gerade für ein paar Stunden mit einem Studenten amüsiert. Während ihr Politiker-Gatte seine Handy-Kollektion auf dem Nachttisch zur Ruhe bettet und sich umständlich umzieht, ist sie gedanklich noch mit ihrem soeben begangenen Ehebruch beschäftigt und versucht herauszubekommen, ob ihr Mann in seiner Jugend ebenfalls Affären mit verheirateten Frauen hatte. Worauf er ihr das Märchen von den zwei Sorten Frauen auftischt, von denen die eine eben nur fürs Bett und die andere für die reine, wahre Liebe gemacht sei. Und sie streichelt ihm über das schon leicht gelichtete Haar, erfüllt die eheliche Pflicht und wundert sich hinterher darüber, warum es nicht mehr so leidenschaftlich zugeht wie auf der Hochzeitsreise in Venedig. Das ist einer, wenn nicht der Höhepunkt der Inszenierung, der aber leider durch überflüssige Running-Gags wie Nachttischlämpchen-An-und-Ausgeknipse und schwäbelnde Mundart so ins Lächerliche gezogen wird, dass man (und frau) sich all zu mühelos distanziert.
In anderen Momenten schrammt die Inszenierung nur mit Mühe und Not am plumpen Herrenwitz vorbei. In der Szene, die nach der Aufführung in der Theatergarderobe spielt, macht sich Herbert Knaup (in der Rolle des Adligen) unwillig über Natalia Wörner (in der Rolle der Schauspielerin) her und versucht ihr mit den Worten zu schmeicheln, dass jetzt jeder im Publikum sicher gerne mit ihm tauschen würde. Dabei wirft er einen vielsagenden Blick ins Publikum, das ansonsten von der Bühne aus so behandelt wird, als sei es gar nicht da (wären da nicht die ständigen Verhüllungsmanöver nackter Schauspielerkörper und die Blacks, in denen einem eine elektronische Leuchtschrift mitteilt, wie lange "es" dauert) - und kassiert den kalkulierten Lacher.
Mit seiner Partnerin möchte frau freilich um nichts in der Welt tauschen, denn wie aus der zweiten Reihe leider all zu deutlich zu sehen war, ist Herbert Knaup ein lausiger Theater-Küsser. Und geküsst wird eigentlich in jeder Szene - auf ihr Kommando. Im Film wäre so etwas natürlich nie zu beobachten gewesen. Aber die "vierte Wand" schaut eben gnadenloser hin als jede Filmkamera. Um so mehr Hochachtung bringt man Natalia Wörner entgegen für die Hingabe, mit der sie hier ein ganzes Spektrum weiblicher Lebens- und Liebeslagen sehr überzeugend durcharbeitet.
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