Zwangsarbeit in Mecklenburg-Vorpommern? Ich glaube nicht, dass sich hier überhaupt jemand mit diesem Thema beschäftigt." Der Mann am anderen Ende der Leitung klingt leicht gereizt. Die Verhandlungen um eine Entschädigung der NS-Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter laufen auf Hochtouren, beim Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte haben sie alle Hände voll zu tun. Die Opferanwälte haben eine neue Summe genannt, aber doch nicht für Mecklenburg-Vorpommern - wenn überhaupt, dann solle ich doch in Buchenwald nachfragen.
Ich suche weiter. In der Landeszentrale für politische Bildung in Schwerin weiss niemand eine Antwort; nach Zwangsarbeit in der Nazizeit hat hier noch keiner gefragt. Aber vielleicht beim Technischen Landesmuseum, di
museum, die sitzen gleich nebenan. "Genaue Zahlen kann ich Ihnen zwar nicht nennen, aber eine Rolle spielt das Thema bei uns schon. Wenn wir über die Rüstungsindustrie sprechen, dann geht es immer auch um Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen. Es gab sie auch in Mecklenburg-Vorpommern zu Tausenden." Kathrin Möller vom Technischen Landesmuseum fängt an aufzuzählen. "Die Flugzeugindustrie hatte mit Heinkel und Arado zwei Standorte in Rostock. Bei Heinkel mussten etwa vier- bis fünftausend Zwangsarbeiter schuften. In Wismar war es Dornier. Sie waren auf den Werften eingesetzt. Die Neptun-Werft in Rostock beschäftigte etwa 2.000 Zwangsarbeiter. Überall gab es Außenstellen, Zweigbetriebe, die noch an irgendeiner V2 gedreht haben. Neustadt-Glewe. Neubrandenburg. Malchow. Ribnitz. Barth."Nehmen wir Malchow: In der malerischen Kleinstadt hat es im Sommer internationale workcamps gegeben. Studentinnen und Studenten haben alte Fundamente ausgegraben, die vor fast 60 Jahren Baracken trugen. Baracken, in denen Zwangsarbeiterinnen lebten. Malchow war eine armselige Ackerbürgerstadt, aber der Plan, hier eine Munitionsfabrik zu errichten, liess sie aufblühen. Geld floss in die Stadtkassen, als die Dynamit AG Trollsdorf im Auftrage des Oberkommandos des Heeres ein 350 Hektar grosses Waldstück erwarb. Dort entstanden die neue Fabrik und zahlreiche Arbeitsplätze für die ländliche Region. Aber der Bedarf an Arbeitskräften konnte bei weitem nicht gedeckt werden. Ab 1941 kamen mindestens 4000 Frauen, vor allem aus Polen und der Sowjetunion nach Malchow. Junge Frauen, gezielt festgenommen, deportiert."Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bitte höflich um eine Bestätigung bezüglich meiner Beschäftigungszeit während des Krieges in Deutschland, welche ich hier zur Ergänzung meiner Rentendokumente brauche. Vom August 1942 bis Mai 1945 arbeitete ich in der Munitionsfabrik-Dynamit-Nobel in Malchow, Fabrikwohnlager Baracke 16/7..." Ein Brief an die Stadt Malchow, geschrieben von der heute 74jährigen Janina Saluszewska aus Zlotoryja, einem Ort irgendwo in Polen. Fünf bis sechs solcher Briefe erreichen die Stadt monatlich. Die Antwort an die alten Frauen ist immer die gleiche: In den Archiven der Stadt finden sich keinerlei Hinweise auf die Zwangsarbeiterinnen. Keine Namen, keine persönlichen Angaben, nichts. Offenstehende Rentenzeiten können deshalb nicht nachgewiesen werden. Einzige noch verbleibende Möglichkeit: sich nach Arolsen, an den Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes zu wenden.Einer engagierten Frau ist es zu verdanken, dass die mit zittriger Hand geschriebenen Briefe nicht einfach nur Zeugnisse der Vergangenheit bleiben. Kristine Schlaefer ist freiberufliche Historikerin und besessen davon, Geschichte ins Heute einzufügen. "Es sind alte Frauen, die diese Briefe schreiben. Frauen, die irgendwo in einem kleinen Dörfchen in der Ukraine oder in Polen ihr Leben fristen, denen nichts geblieben ist. Die ihr Schicksal als Einzelschicksal empfinden und denen niemals auch nur ein Wort der Entschuldigung, geschweige denn eine Entschädigung für erlittenes Unrecht zuteil wurde. Vielleicht können wir ihnen ja doch noch helfen." Deshalb liegen die Briefe der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen heute vor Schülerinnen und Schülern der Malchower Haupt- und Realschule. Im Geschichtsunterricht wurden sie abgeschrieben, übersetzt, wurden alle enthaltenen Informationen gesammelt und zusammengefügt. Und die SchülerInnen haben einen neuen Antwortbrief entwickelt, der dem der Stadt in nichts gleicht. Sie fragen, was die Frauen in Malchow und später durchgemacht haben und bitten um Antwort. Erleben das eigenartige Gefühl, plötzlich die Vergangenheit ihrer Heimatstadt zu sehen. Spüren, wie diese Vergangenheit in das Heute fliesst.Auch wenn die aktuelle Debatte über die Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen es suggeriert; es waren nicht nur die Rüstungsbetriebe und grossen Konzerne, die mit den billigen Arbeitskräften ihren Reibach machten. Seit 1939 gab es auch in Mecklenburg-Vorpommern flächendeckend Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. In der Industrie, aber auch bei privaten Handwerkern, in den Kommunen, in Privathaushalten oder in der Landwirtschaft. Zahlen oder genauere Angaben gibt es nicht. "Das Problem ist: Es gab sie überall, aber nicht massenhaft. Mal wurden in der Saison fünf Leute auf einem Hof gebraucht, mal zwei, um einen Wald zu säubern. Man verhandelte mit dem Bürgermeister, bekam Zwangsarbeiter, die genauso schnell wieder verschwanden, wie sie gekommen waren. Sie wurden hin- und hergeschoben. Gerade das macht eine Rekonstruktion so schwierig.", beschreibt Kristine Schlaefer. "Im Prinzip müsste man über die Dörfer ziehen und eine Riesenzahl von Einzelgesprächen führen, solange es noch Menschen gibt, die sich daran erinnern können."In Grevesmühlen im Landkreis Nordwestmecklenburg haben sich seit Anfang des Jahres 18 Frauen und Männer gemeldet, die als ZwangsarbeiterInnen in der Landwirtschaft gearbeitet haben. Hier ist es das Kreisarchiv, das die eintreffenden Briefe bearbeitet. "Aber solche Anfragen hatten wir auch schon zu DDR-Zeiten," erinnert sich die Archivarin Gabriele Arndt "Wir geben die Briefe meist ans Versicherungsamt weiter und dort wird versucht, Zeugen zu finden, die die Angaben aus den Briefen bestätigen können." Nicht jeder dieser Versuche ist von Erfolg gekrönt. Diese Erfahrung teilt auch der Direktor des Rostocker Stadtarchivs Karsten Schröder. In Rostock allerdings hat die Zahl der Anfragen erst in den letzten Jahren deutlich zugenommen, etwa 700 sind in den letzten zehn zusammengekommen. Neben den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus der Rüstungsindustrie melden sich auch hier viele, die in der Landwirtschaft gearbeitet haben und - ein Novum - zweimal haben sich auch Menschen gemeldet, die in der Kommune eingesetzt waren. Meine Nachfrage, wie die Stadt selber damit umginge, stieß allerdings auf Unverständnis. Das sei doch Bundesangelegenheit, so der persönliche Referent des Oberbürgermeisters Arno Pöker. Eine Position, auf die sich viele gern zurückziehen. Auch die Neptun-Industrie-GmbH in Rostock, Rechtsnachfolgerin der schon erwähnten Neptun-Werft. "Sicher haben ehemalige Zwangsarbeiter Anspruch auf Entschädigung, aber nicht von uns," meint Paul Bloem, Sonderbeauftragter der Meyer-Werft Papenburg in Rostock. "Das war bei der Privatisierung der Neptunwerft kein Thema, diesbezügliche Lasten wurden nie benannt und wenn, dann hätten wir darauf gedrungen, dass solche Ansprüche von Bundesseite aus befriedigt werden."
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