Ihr Tag hat 18 Stunden und erschöpft sich beim Überleben in einer Mangelwirtschaft. Trotzdem haben russische Frauen etwas, das es im reicheren Europa selten gibt: Eine Frauenpartei, die sich regelmäßig an Parlamentswahlen beteiligt. Die russischen Frauen kämpfen mit ihrer Frauenpartei noch um allgemeine Grundrechte, die in Europa längst unbestritten sind. Damit unterscheiden sich die »Frauen Russlands« grundlegend von der 1983 gegründeten isländischen Frauenpartei und der 1995 in Kassel gestarteten deutschen Frauenpartei, die beide explizit feministisch ausgerichtet sind.
Während die Frauenpartei in Deutschand leicht im Aufwind ist, sinkt - allerdings auf sehr viel höherem Niveau - in den beiden anderen Ländern die Zustimmung. In Island hat die feministische Partei bei den Wahlen 1995 fast die Hälfte ihrer Wählerinnen verloren, ist aber mit 4,9 Prozent der Stimmen und drei Abgeordneten nach wie vor im Parlament, dem Althing, vertreten. Die russische Frauenpartei feierte 1993 bei den Duma-Wahlen mit acht Prozent und 24 Parlamentssitzen einen spektakulären Erfolg. Doch im Dezember 1999 erreichte sie nur noch zwei Prozent.
Die »Frauen Russlands« - eine Partei und ein Thema, das derzeit eine Nebenrolle spielt. Selbst ein exzellent geführter Wahlkampf hätte die Frauenpartei nicht über die Fünf-Prozent-Hürde getragen. Es nützte den »Frauen Russlands« auch nichts mehr, dass sie rechtzeitig aus dem Oppositionsblock »Vaterland - ganz Russland« ausstiegen. Dessen Köpfe, der Moskauer Bürgermeister Lushkow und der anfangs äußerst populäre Ex-Premier Primakow, fielen einem üblem Medienkrieg der Jelzin-Anhänger zum Opfer. Im Zentrum dieser Parlamentswahl stand das Bestreben, optimale Voraussetzungen für das Rennen um die Nachfolge Jelzins zu gewinnen. Dabei spielten die »Frauen Russlands« keine Rolle, insofern hätten sie auch bei optimaler Wahlkampfstrategie keine Chance gehabt. Auch ihre Themen gingen vollkommen unter, als sich Jelzin-Anhänger und -Gegner, jeweils gesponsort von den wichtigsten Finanzoligarchien, eine beispiellose Schlammschlacht lieferten.
Und doch könnte der Ausgang dieser Wahlen - mag der Wahlkampf noch so unfair gewesen sein - auch der Partei der »Frauen Russlands« zukünftig bessere Chancen bieten, ihre Stimme in die russische Politik einzubringen. Denn das verhältnismäßig schwache Ergebnis der Kommunisten, die nun nicht mehr mit einer Mehrheit gegen Jelzin dessen Regierungspolitik blockieren können, bietet demokratischen Kräften, bietet einer neuen Generation russischer Politiker endlich die Chance, gesellschaftliche Veränderungen auf den Weg zu bringen: zum Beispiel wirkliche Gleichberechtigung für russische Frauen.
In der Sowjetunion war der Frauenanteil in der Politik durch Proporz geregelt, die Gleichwertigkeit von Mann und Frau galt als politische Doktrin, und unter Gleichberechtigung wurde verstanden, dass die Frauen im Obersten Sowjet, dem sowjetischen Parlament, 33 Prozent der Sitze innehatten.
Nach dem Zerfall des Riesenreiches kam es zu einem vermeintlichen Rückschritt: Die Frauen sollten sich wieder ihrer eigentlichen Rolle zuwenden, postulierte sogar Reform-Präsident Gorbatschow. Und der Schriftsteller Rasputin trat für die Rückkehr zu einer Weiblichkeit ein, die durch Berufstätigkeit und allgemeine Überlastung zu Sowjetzeiten verschüttet gewesen sei.
Tatsächlich kam es damals zum Rückzug der Frauen aus der Politik. Ihre Kraft reichte nicht aus, auch noch politisch aufzutreten, während sie in Umbruchzeiten für ihre Familien den Kampf ums Auskommen gegen leere Regale, Arbeitslosigkeit der Ehemänner, gegen eine Wild-West-Manier im Umgang der Menschen untereinander führen mussten.
Erst 1993, am 1. Oktober, schlossen sich Frauen zur Partei »Frauen Russlands« zusammen, um organisiert für ihre Rechte in der sich dramatisch wandelnden Gesellschaft zu streiten. Besonders wichtiges Thema war damals reproduktive Gesundheit - oder nah am Alltag russischer Frauen formuliert: mangelnder Zugang zu Empfängnisverhütung und katastrophale medizinische Versorgung bei den häufigen Abtreibungen. Aus den Parlamentswahlen zwei Monate nach der Parteigründung, im Dezember 1993, gingen die »Frauen Russlands« als sechststärkste Fraktion in der Duma hervor und zogen ins Unterhaus ein - das einzige Mal bisher bei freien Parlamentswahlen.
Damals waren 70 Prozent der Arbeitslosen in Russland Frauen, ungeachtet dessen, dass die meisten von ihnen studiert hatten: Als die vermeintlich Schwächeren, die mehr Anspruch auf ohnehin leere Sozialfonds erheben würden, setzte man sie als erste vor die Tür, wenn Betriebe geschlossen wurden. Folglich war die wichtigste Forderung der »Frauen Russlands«: Verlangsamung der Reformen, soziale Abfederung. So blieb es auch bei den Parlamentswahlen 1995. Die heute 51-jährige Parteivorsitzende Jekaterina Lachowa war übrigens 1995 familienpolitische Beraterin von Präsident Jelzin, der ihre Dienste jedoch selten in Anspruch nahm.
Doch schon 1995 kamen die »Frauen Russlands« nur noch auf 4,61 Prozent der Stimmen, verfehlten knapp den Einzug ins Parlament.
Zu den Parlamentswahlen 1999 hat sich nun eine der prominentesten Duma-Abgeordneten, Irina Chakamada, unter junge Männer gemischt, um in der Politik weiter eine Chance zu haben. Sie schloss sich der Reformer-Partei »Union rechter Kräfte« an. Zu ihr gehören der junge Ex-Regierungschef Kirijenko, Jelzins einstiger politischer Ziehsohn Nemzow und der frühere Privatisierungsminister Tschubais. Mitten in der »neuen Mitte«, die sich jetzt auch in Russland zu etablieren versucht, unter Politikern, die allen eine Plattform bieten, die inzwischen bereit sind, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, sich von der sowjetischen Mentalität der Staatshörigkeit zu verabschieden, will Chakamada das Bild von der starken Frau Russlands zum Symbol für Fortschritt machen: Laut Statistik arbeiten vier Millionen Russinnen in gefährlichen Jobs in der Industrie, 100.000 bei Militär oder Feuerwehr. Und unter Schülerinnen ist einer der Hauptberufswünsche »Geschäfte machen« - genau wie bei gleichaltrigen Jungen. - Sind das schlechte oder gute Zeiten für eine Frauenpartei?
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