Arme kranke Kuh

Diagnose: Mensch Respekt vor Menschen und Tieren? Keine Frage in Zeiten wie diesen – möchte man meinen. Die Realität aber ist Heuchelei

Gemeinhin lässt sich Respekt gewiss mit Achtung, Höflichkeit, Anerkennung und Toleranz übersetzen. Aber dass man ihn zollt, spiegelt gleich die weniger zugewandte Herkunft, weil die Entrichtung von Zoll etwas erzwungenes ist. Etwas, das man einer Autorität gegenüber zu leisten hat, um Anerkennung zu bezeugen, egal, ob sie verdient ist oder nicht. In Zeiten, da der Respekt Menschen und anderen Wesen oder Dingen gegenüber unabhängig von Herkunft, Verfasstheit und Position da sein sollte, klingt diese Art von Respekt anachronistisch. Aber tatsächlich ist sie es bisher nur auf einigen wenigen Inseln in unserer Gesellschaft. Ansonsten bleibt Respekt eher eine Frage der Willkür.

Man betrachte zum Beispiel die Kuh: In der vergangenen Woche meldete das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems, dass ein bislang unbekanntes Virus sein Unwesen unter deutschen Rindern treibe. Es ist fast die Regel, dass den Viren gegenüber in solchen Fällen größter Respekt aufgebracht wird, zumal, wenn der Keim unbekannt ist und irgendwie „mysteriös“ – was ein gewisses Potenzial von Gefährlichkeit nahelegt („auch für den Menschen?), weshalb der Erreger bisweilen sogar einen Namen bekommt. Hier: „Schmallenberg-Virus“. Beim erkrankten Tier wird dagegen die verminderte Milchleistung bedauert, anstelle des Tiers, das von Glück reden kann, wenn es nicht – wie sonst bei so vielen gar nicht tödlich verlaufenden Erkrankungen – getötet wird. Prophylaktisch. Ähnlich war das übrigens auch in Soderberghs Contagion, wo das respektable Virus Menschen befällt statt Kühe, aber die unfreiwillig Infizierten zum dramatischen Höhepunkt des Films hin auch nicht wesentlich besser behandelt werden als krankes Vieh.

Krank oder bloß ein bisschen schwächer zu sein ist in unserer Mitte generell nicht wohl gelitten, auch wenn immer so getan wird als ob – mit Sonntagabend-Talkrunden über Alzheimer, Sterbehilfe, Pflegenotstand. Oder im Aktuellen Sportstudio, das zuletzt ausgiebig über den Selbsttötungsversuch des Schiedsrichters Babak Rafati spekulierte, und das vermutlich noch als seriöse Respektsbekundung verstanden haben wollte.

Leere Versprechen

Inzwischen ist die Geschichte medial versandet, weil es wohl doch nur „persönliche und private Gründe“ (Bild) gab und keinen Psychoskandal im Fußball. Da wird der Schiri also vom Opfer zum schwachen Subjekt – und das ist nicht interessant, weil: „privat und persönlich“ könnte es viele treffen. Was es auch tut: Etwa 150.000 Menschen versuchen jedes Jahr, ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Den meisten misslingt der Suizid, zum Glück, möchte man sagen. Aber für wen? Diese Fälle und Gründe bleiben ja meist im Dunkeln, sofern der Betreffende keine Prominenz besitzt, die einen angemessenen medialen Respekt rechtfertigt.

Auch wenn es um Autorität geht, ist die Forderung nach Respekt schnell auf dem Tisch. Was aber die Anerkennung niedrig Gestellter im sozialen Breitfußkegel betrifft, geht es eher um die Forderung nach einer Leistung, mit der der Respekt zu verdienen sei. Das hört der Kranke gern.

Richard Sennett hat in Respekt im Zeitalter der Ungleichheit geschrieben, dass Respekt in der modernen Gesellschaft nur selten seinen Ausdruck finde, also zu einem knappen Gut erhoben werde, obwohl sie doch nichts koste. Aber das ist eben falsch: Der Respekt vor kranken Tieren, seelisch versehrten Menschen, sozial Benachteiligten und misshandelter Umwelt – er würde in einer Welt wie heute sogar viel Geld kosten, soviel, dass man ihn sich lieber nicht leisten möchte und sich auf verbale Bekundigungen beschränkt, die am Ende noch respektloser erscheinen, weil die Versprechen leer sind. Und leer bleiben.

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

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