Auferstanden als Ruine

Diagnose Mensch Stammzellen entwickeln sich zum kommerziellen Hit. Die Forschung kann nur zugucken
Auferstanden als Ruine

Illustration: Otto

Wenn eine Gemeinschaft von Schriftstellern innerhalb von zehn Jahren 70 Pakete Druckerpapier (oder 70 kleine Festplatten) benötigte, würde man wohl sagen, diese Autoren seien faul – denn was braucht der Schreibende, wenn nicht Papier oder Speicherplatz? Zugleich würden Menschen, die gerne lesen, sich aber dafür aussprechen, dass den Schriftstellern für ihre Arbeit das nötige Material zur Verfügung steht. Und in der Forschung sollte das wohl auch so sein. Ist es aber nicht. Schon gar nicht, wenn es um Stammzellen geht.

Degenerative Erkrankungen, bei denen funktionell wichtige Gewebe ihren Dienst quittieren und sich durch Medikamente auch nicht wieder mobilisieren lassen, werden aus den bekannten demografischen Gründen immer häufiger werden. Alzheimer, Parkinson, verschiedene Augenleiden, Diabetes, oder auch die seltenere Amyotrophe Lateralsklerose – eine ganze Palette pathologischen Grauens ist mit der Degeneration von Muskeln und Nerven und Binde­gewebe verbunden (vom schnöden Altwerden selbst mal ganz abgesehen). Es ist daher nicht schwer zu verstehen, dass die Aussicht auf fundamentale Regeneration kaputtgegangenen Körperinventars Ende der Neunziger ziemlich große Begeisterung hervor­gerufen hat. Für ein paar Jahre schienen Stammzellen auf dem besten Weg, die Medizin endlich und umfassend zu revolutionieren. Stammzellen standen auf dem Titel der großen Magazine und Zeitungen. Es wurden Milliardenbeträge für die Forschung bereitgestellt, riesige wissenschaftliche Ein­richtungen gebaut, Gesetze geändert, ethische Debatten geführt – alles, um die Forschung an Stammzellen auf einen fruchtbaren Weg zu bringen.

Sauberes Forscherland

Knapp 15 Jahre später sieht die Realität nun so aus: Einer Umfrage der dpa zufolge würden sich zwei Drittel aller Deutschen, falls sie schwer erkranken und keine andere Therapiemöglichkeit haben, mit embryonalen Stammzellen behandeln lassen. Hoffnung ist also noch immer da. Aber das Vertrauen? Mitnichten. Trotz des Wunsches, mithilfe von Stammzellen überleben zu dürfen, wollen drei Viertel der Befragten die Forschung, die für solche Therapien notwendig wäre, am liebsten voll und ganz verbieten. Es ist fast, als habe die Öffentlichkeit den faulen Kompromiss verinnerlicht, den der Bundestag vor vier Jahren mit der zweiten Stichtagsregelung erneut eingegangen ist, und der bewirkt hat, was man sich offenkundig ja erhofft hatte: Die deutschen Forscher haben sich die Hände mit den 70 Stammzellimporten der vergangenen zehn Jahre nicht über­mäßig schmutzig gemacht. Aber was andernorts geforscht wurde, nimmt man gerne an.

Dass das nicht zielführend sein kann, ist klar. Jenseits der forschenden Institutionen bieten eben private Kliniken nicht zugelassene Behand­lungen an – etwas, was man eigentlich gerne den Chinesen vorwirft. Nature veröffentlichte erst vor Wochen eine eigene Untersuchung, derzufolge chinesische ­Kliniken allenthalben mit fragwürdigen Stammzelltherapien auf den Markt ­gehen, ohne dass die Regierung überhaupt über eine entsprechende ­Legislative zum Schutz der Patienten verfügt. Aber es ist eben nicht nur China: In Deutschland wurde das Unternehmen X-Cell wegen seiner Stamm­zellangebote geschlossen. Eine andere ­Firma umgeht einem Bericht von Spiegel-TV zufolge das geltende Verbot, ­indem sie die Therapie im Internet nur ausländischen IP-Adressen anzeigt. Der Hauch des Verbotenen haftet an Stammzellen inzwischen, als sei es ­Pornografie.

Und die Wissenschaft? Sucht nach anderen Innovationen, weil Deutschland ja ein Forscherland sein soll. Aber ein sauberes!

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

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