Die Faszination subatomarer Teilchen geht zu einem wesentlichen Teil davon aus, dass man sie nicht sehen, anfassen oder sie sich auch nur im geringsten vorstellen kann. Man tut es zwar, aber es ergibt nie wirklich Sinn. Wie auch, wenn diese kleinen Dinger nicht mal eine Dimension haben, sprich null räumliche Abmessung.
Trotzdem müssen diese Teilchen existieren, und man muss sie finden, um zu wissen, ob sie da sind und ob das Universum so funktioniert, wie man glaubt. Die Instrumente für solche Suchaktionen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten sogar durch Gebirgszüge gegraben, sie werden immer größer, je subatomarer und (nur scheinbar paradoxerweise) schwerer sie werden. Wie etwas ohne Dimension eine Masse haben kann, lassen wir jetzt einfach mal beiseite. Auf jeden Fall beschleunigen diese Geräte mit riesigen Magnetspulen Teilchen auf irrwitzige Geschwindigkeiten und lassen sie inandercrashen. Der Schrott wird abgefangen und gemessen. Heraus kommen viele, viele Daten.
Der Large Hadron Collider am Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire, kurz CERN, in Genf, hat im Wust dieser Daten nun (nicht zum ersten Mal) ein Signal ausgemacht, das ziemlich gut zum meistgesuchten Teilchen aller Zeiten passt: dem Higgs-Boson. Wir haben im Freitag über die Suche und das Wohl und Wehe berichtet, das für die Physik damit zusammenhängt.
Dieses Mal ist die Sache tatsächlich verschärft, und zwar dahingehend, dass die Fehlergenauigkeit der Messungen extrem gut ist. In der Hochenergie-Physik spricht man von einer Entdeckung, wenn diese Genauigkeit fünf "Sigma" erreicht hat. Das ist jetzt der Fall. Mit fast absoluter Sicherheit haben die Forscher ein sogenanntes Boson, ein Wechselwirkungsteilchen, mit einer Masse von 125 bis 126 GeV gemessen.
Aber: Ist es das Higgs? Und wenn ja: Was haben wir davon?
Trotz aller Euphorie steht sogar in der Pressemitteilung des Cern, dass man nun erstmal gucken müsse, ob die Eigenschaften dieses Teilchens denen entsprechen, die man von einem echten Higgs-Boson erwarten würde. Die Krux: Man kann und wird es nicht direkt messen, sondern nur alle möglichen Zerfallsprodukte, und derer gibt es viele (Im Bild oben zum Beispiel sieht man die Simulation eines Zerfalls zu vier Myonen). Die andere Möglichkeit ist, dass das gefundene Teilchen eventuell etwas "exotischeres" ist , wobei man sich mehr Exotik als die Higgssche kaum mehr ausmalen möchte, aber dass da noch mehr ist jenseits dieses Gottverdammten Teilchens (zb. das Kaluza-Klein-Teilchen), darauf hoffen Physiker wie Lisa Randall durchaus .
Randall macht auch deutlich, dass sie den praktischen Nutzen solcher Experimente nicht für den wichtigsten Grund hält, sie durchzuführen. In erster Linie geht es um Erkenntnisgewinn, und der ist nicht so umfassend, wie die mediale abgenudelte Bezeichnung "Gottesteilchen" vermuten ließe. Das Higgs-Boson würde das derzeit gültige Modell der Teilchenphysik, genannt Standardmodell bestätigen und erklären, warum die Materie Masse hat. Es erklärt NICHT, warum die Dinge Gewicht haben. Dazu braucht es nämlich die Gravitation, und die wird durch das Standardmodell als extrem schwache (und im Modell daher zu vernachlässigende) Kraft nicht erklärt.
Insofern: Falls die Forscher das Higgs-Teilchen entdeckt haben, ist zwar der warme Schampus gerettet. Aber die Probleme fangen damit erst richtig an. Irgendwann muss man die Frage nach der Gravitation und ihrer Schwäche beantworten. Vielleicht braucht man dann auch einen größeren Beschleuniger. Das wird ein Fest!
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