Bloßes Zählen

Statistik Die aufwändige und teure Volkszählung verspricht Antworten auf wichtige Fragen. Doch viele kann sie gar nicht liefern

Jeder wird gezählt. Auch wenn nicht alle gezählt werden“. Was aus dem Mund der Projektleiterin am Statistischen Bundesamt, Sabine Bechthold, im September so simpel klang, rollt nun auf die Deutschen zu: Volkszählung. Eine Volkszählung, bei der es einem, blickt man von der Klippe des gesunden Menschenverstandes in die Tiefen ihrer Methodik, schnell schwindlig wird – weil sie eben kein Zensus im Sinne einer so genannten Vollerhebung ist wie noch 1987 im Westen oder 1981 im Osten. Sondern nur eine Teilbefragung, für die aus zahlreichen Einwohnergruppierungen mit unterschiedlicher Gewichtung, aber letztlich per Zufall eine Stichprobe auf der Datengrundlage von 9,3 Prozent der Bevölkerung (Stand März 2011) zusammengestückelt wird. Und diese Volkszählung soll neben genauen Einwohnerzahlen vor allem soziale Vorteile bieten, indem sie Planungsgrundlagen liefert für die Versorgung mit Kitaplätzen, Kliniken, Seniorenheimen. Kann das, fragt sich der Statistikfremde, auf diese Weise denn gelingen?

Keine exakten Resultate

Leider nur bedingt, wie selbst die Beteiligten einräumen. „Statistische Erhebungen zu Haushaltsgrößen liefern für strukturelle Bewertungen keine exakten Resultate“, formuliert es Sabine Bechthold. Und der Chef der Zensuskommission, Gert G. Wagner vom DIW Berlin, weist darauf hin, dass es hier „um Wissenschaft“ gehe und nicht um einen Verwaltungsdienst. Nur in einem wesentlichen Punkt wird den gesteckten Zielen wohl Genüge getan: Der Abgleich der Register mit den Daten aus der Stichprobe liefert einen Korrekturfaktor, der künftig alle Verwendungen von Einwohnerzahlen präzisieren soll – vom regelmäßigen Mikrozensus über die Gesetzgebung bis hin zur Marktforschungsstudie. Aber Kitas? Altersheime? „Es gibt bessere Grundlagen für solche Planungen“, sagt Heike Trappe, Familiendemografin an der Universität in Rostock und ebenfalls Mitglied der Kommission. Die Gemeinden wüssten zum Beispiel Genaueres über Zahl und Alter der Kinder, um den Bedarf an Krippenplätzen einzuschätzen.

Dass der Zensus zu viel verspricht, liegt allerdings nicht am Verfahren selbst. Trotz der unvermeidlichen Fehlerspannen, die in sämtliche Berechnungen einfließen, weil eben nur jeder Zehnte befragt wird, dürfte die statistische Prozedur zu Ergebnissen führen, die der eigentlichen Fragestellung durchaus gerecht werden. Eine Schichtung der Stichproben, die seit dem 1. September 2010 auf der Grundlage eines eigens erstellten Adressen- und Wohnraumregisters gezogen werden, berücksichtigt Unterschiede zwischen Stadt, Provinz und Einsiedelei sowie in den Wohnformen vom Einfamilienhaus bis zum Plattenbau. Deshalb bekommt in Berlin nur jeder 28. Besuch von einem Erheber, in Rheinland-Pfalz dagegen jeder Achte. Die bekannten Ausnahmen bilden Wohnheime und so genannte sensible Einrichtungen wie Altersheime oder Gefängnisse, in denen jeder erfasst wird.

Einfach zu grob

Doch was für eine reine Zählung genügt, reicht nicht für die vollmundig angekündigten sozialen Planungshilfen: Die Fragen sind einfach zu grob. So erkundigt sich das Formular der Haushaltebefragung zwar nach der Zahl der im Haushalt lebenden Kinder, aber nicht nach deren Alter. Das hilft weder den Kitas noch den Schulen: Wenn die Ergebnisse des Zensus Ende 2012 vorliegen, sind die Kinder vielleicht schon zu alt für das eine oder andere oder haben längst eine Lehre angefangen. Wenig Sinn ergibt auch die Frage nach dem Glaubensbekenntnis: Während alle Befragten angeben müssen, in welcher öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft sie Mitglied sind, was allein der Schätzung der zu erwartenden Kirchensteuer dient, bleibt das Glaubenskreuzchen freiwillig. Wer es macht, gibt eine heikle Information preis. Wer es lässt, verhindert jede wissenschaftliche Verwertung. „Wenn Sie es richtig machen wollen, ohne diskriminierend zu werden, ist das sehr komplex“, verteidigt Wagner den Fragebogen.

Vielleicht deshalb, oder nur so, will sich der Zensus für manches auch erst gar nicht interessieren. So hatte die für Familienfragen zuständige Arbeitsgruppe der Zensuskommission, in der auch Trappe sitzt, vorgeschlagen, Frauen nach der Zahl aller von ihnen geborenen Kinder zu befragen – und damit fehlende Daten für die seit Jahren heftig geführte Debatte um die Kinderlosigkeit zu liefern. Die Frage wurde gestrichen, genauso wie die nach der in den Haushalten gesprochenen Sprache, von der sich Trappe ein genaueres Bild über die Migrantensituation erhofft hatte. Aber die Kommission folgte auch hier dem eher schmalen EU-Vorschlag.

Und so bleibt der Zensus für alle Fragen jenseits der Einwohnerzahlen doch nur „ein sozialwissenschaftliches Methodenexperiment“, wie Trappe es nennt. Es soll ein Verfahren prinzipiell bestätigen, das bisher noch nie zur Anwendung gekommen ist. Ein Trost: Beim nächsten Mal wird’s dann wohl billiger.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

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