"Contagion": Die Bedeutungsschwere des Erdnussschälchens

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Man kann Steven Soderbergh loben, vielleicht muss man es sogar, denn immerhin hat er sich bemüht, alles richtig zu machen und zu diesem Zweck sogar Experten aus den vordersten Reihen der Seuchenmedizin für seinen gerade in Deutschland angelaufenen Film Contagion rekrutiert. Was sich am Ende allerdings auch als das größte Problem des Films erweist – aber dazu später.

Worum also geht es in Contagion? Ein Virus taucht auf, nahe Hongkong, binnen weniger Filmminuten stirbt die heimgekehrte Geschäftsreisende Beth in Minneapolis an etwas, was wie Grippe anfängt und nach epileptischen Krämpfen sehr schnell tödlich endet. Ihr Sohn stirbt noch während der Ehemann im Krankenhaus die Nachricht vom plötzlichen Tod seiner Frau zu verstehen hat. Und es gibt weitere Fälle. In Chicago, Minneapolis, in Tokio. Die Seuchenbehörde der USA (CDC) ist alarmiert, aus Genf wird eine (!) Expertin der Weltgesundheitsorganisation WHO nach Hongkong geschickt. Es bilden sich Cluster, Häufungen von Infektionen, weltweit. Notstationen in Turnhallen. Das Virus wird isoliert, lässt sich aber weder identifizieren noch im Labor anzüchten. Sicher ist nur, dass es ein schnelles Virus, und dass die Zeit knapp ist. EIn Impfstoff muss her.

Während sich das Drama der Pandemie entspinnt, gelingt es einem Virenexperten schließlich, den Erreger in fötalen Fledermauszellen zu vermehren, aber die ersten Versuche eine Impfung scheitern. Ausnahmezustand, Plünderungen, die Gewalt greift um sich. Ein Blogger schlägt aus dem Desaster Kapital, indem er der Pharmaindustrie eben das unterstellt - aus dem Desaster Kapital zu schlagen - und mit fingierten Selbstversuchen einen Markt für Forysythia schafft, ein homöopatisches Mittelchen, für das die Leute schließlich ihr letztes zu opfern bereit sind. Auch ihre Moral. Dann der Durchbruch: Ein Affe im Labor überlebt. Der Impfstoff ist da. Eine mutige Forscherin umgeht alle strengen Zulassungsvorschriften, in dem sie sich selbst impft und dem Virus aussetzt. Schon kann die Massenproduktion beginnen, aber das Virus ist überall und die Herstellung dauert. Erst allmählich kehrt Normalität ein. Am Ende des Films haben fast 30 Millionen Menschen weltweit ihr Leben verloren.

Vieles zeichnet Contagion aus, an erster Stelle die Unaufgeregtheit, mit der die Geschehnisse dargestellt werden. Das alles passiert einfach, und dass es genau so passiert, ist - jeder Experte kann das bestätigen - tatsächlich im Bereich des theoretisch Möglichen, es ist in Teilen sogar realistisch. Diese Hilflosigkeit, auch dann noch, als der Impfstoff gefunden ist und das eben nicht in allgemeine Happy-End-Stimmung mündet sondern neue, alte Probleme aufwirft. Begrenzte Ressourcen. Verteilungsprobleme. Vermittlungsprobleme. Geduldsfragen. Wie übersteht man die 120 Tage bis zur Impfung, an denen man sich noch mit dem Virus anstecken und daran sterben kann? Und dann die ungestellte Frage: Wer wird leer ausgehen?

Wer erst die Rezensionen zum Film liest, bevor er sich Soderberghs Pandemie-Epos im Kino anguckt, wird vermutlich trotzdem enttäuscht sein, denn da wird dem Erdnussschälchen ganz Ehec-Sprossen-like eine Bedeutungsschwere anfantasiert, die es im Film so gar nicht gibt. Die Beklemmung rührt vielmehr daher, dass nie klar ist, welchen Weg der Erreger zu seinen Opfern genommen hat. Die Kamera blendet dieses ein, jenes aus, es ist alles beiläufig und bis zum Ende offen, welche Objekte tatsächlich Vehikel für dieses Virus gewesen sind, bei dem es sich, wie man in der Zeit, in der Faz liest, um ein Grippevirus handelt.

Auch das ein Spuk des Gedächtnisses. Grippeviren gelten zwar als heiße Kandidaten für eine Pandemie mit Millionen Opfern, man erinnert die Vogelgrippe, der vielleicht nur wenig zu einer echten contagion (Infektionskette) fehlte, oder zuletzt die Schweinegrippe, die zum Glück nicht das war, was man befürchtet hatte. Im Film ist nie die Rede von einem Influenza-Virus. Wie man den im Film gezeigten Hyperdetails der wissenschaftlichen Analyse – dreidimensionales, sich drehendes Bändermodell der Proteinstruktur, auf dem Bildschirm dargebotene Sequenz des Virenerbguts – entnimmt (sofern man das kann, denn erklärt wird zu dieser Science-Show wenig) muss das rätselig akronymisierte MEV-1 ein Virus sein, das ursprünglich aus Fledermäusen stammt und in seinem Zwischenwirt, dem Schwein, dann eine fatale Liaison mit einem anderen Erreger eingegangen ist, bevor es sich via Ferkel und Küchenchefhand den Weg zur Spreaderin Beth bahnt.

Sicher, es ist nur ein Kinofilm, und die wissenschaftliche Akkuratheit, ob nahe gebracht oder nur demonstriert, sollte zum Lob genügen – wäre der dieser Film nicht darüber hinaus gepflastert mit Stereotypen der Globalepidemiologie, die dem unbedarften Kritiker noch ganz besonders lobenswert vorkommen, und die Contagion zum Werbefilm für die amerikanischen Centers of Disease Control und die WHO machen. Da sind zum einen deren Seuchenexperten, die versiert und in unmenschlicher Härte zu sich selbst den Kampf aufnehmen und deren größte Verfehlung darin besteht, Vorschriften entweder zum Wohle der Menschheit (die Impfstoffexpertin, der Virologe) oder zum Wohle ihrer Liebsten (der Leiter der CDC) zu umgehen. Da ist zum anderen der unsäglich plakative Blogger, der, halb wahnsinnig, halb korrupt, jene vermeintlich haltlose Kritik an den Institutionen und Big Pharma formulieren darf, um sie allein durch seinen miesen Charakter sofort zu entkräften.

Internet, Pharmakritik, Zweifel an den Behörden, in einem Abwasch wird hinfortgespült, was die Selbstdarstellung der Offiziellen schon immer störte – obwohl fragwürdige Verflechtungen mit Arzneimittelherstellern und menschliches Fehlverhalten auch innerhalb der besagten Organisationen nichts völlig fremdes sind. Aber anstatt sich Fragen zu stellen, wie sie während der realen Schweinegrippe-Pandemie aufgeworfen wurden, oder wenigstens diffus unparteiisch zu bleiben, beschwört der Film dank seiner kompetenten Berater das gewünschte Bild von helfenden und rettenden Forschern, Experten, Behörden, die durch Zweifel oder Kritik nur in ihrem Job behindert werden.

Ian Lipkin, der Soderbergh neben den Expertern der CDC fachlich zur Seite stand, wird das als Forscher gefallen: Der heutige Direktor des Northeast Biodefense Centers, einem Zusammenschluss von Behörden und Forschungseinrichtungen im Nordosten der USA, ist als Wissenschaftler unzweifelhaft eine Größe. Er war maßgeblich an der Bekämpfung der SARS-Epidemie vor neun Jahren beteiligt, die in China begann und sich ausgehend von einem Hotel in Hong Kong fast weltweit verbreitete. Der Erreger war damals unbekannt, hochansteckend und hochfatal, dennoch gelang es, ihn innerhalb weniger Wochen in die Schranken zu weisen. Soderbergh erzählt nun im Grunde dieselbe Geschichte, nur mit anderem Verlauf und aus der Perspektive des Seuchenbekämpfers Lipkin. Was erklärt, warum der Film so realistisch wirkt. Aber zugleich auch, warum die Rigorosität dieser Seuchenjagd mit ihren Nebeneffekten als unausweichlich gezeigt und nicht infrage gestellt wird.

Die Irritation des Publikums lässt sich daher auch gleich vor der Kinotür nutzen: Epidemiologen zweier britischer Universitäten wollen ihre Projekte auf der Contagion-Welle vorwärts bringen und Flyer an die betreten dreiblickenden Besucher verteilen, um sie über ihre Kontakt- und Reisegewohnheiten auszufragen, damit man – für den gerade gesehenen, bevorstehenden Ernstfall – besser Bescheid weiß über das, was die Leute denn so tun. Nebenbei soll Bewusstsein geschaffen werden für die saisonale Grippeimpfung (die gegen keine Pandemie vom Kaliber SARS, Vogelgrippe oder "MEV-1"helfen würde – das nur am Rande).

Bewusstsein ist sicher gut. Aber bewusst werden sollte nicht zuletzt, dass sich hier eine fiktive Realität und die unwahrscheinlich realistische Fiktion des Films auf eine Weise vermischen, die allein schon Unbehagen erzeugt: Denn da weckt ein Kinobesuch große Beklemmung, die im Interesse Beteiligter ausgenutzt und zu einer erhöhten Bereitschaft zum Mitmachen transformiert werden soll – obwohl das betreffende Worst-Case-Szenario zwar möglich ist, aber eben doch: extrem unwahrscheinlich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kathrin Zinkant

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Kathrin Zinkant

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