Der nächste, bitte!

Nahrungskeime Der Ehec-Ausbruch geht vorbei. Das Problem aber bleibt: Im Essen schlummern viele gefährliche Krankheiten

Die Menschen haben viel zu lernen gehabt in den vergangenen Wochen. Wie sie sich gescheit die Hände waschen. Dass es einen Unterschied zwischen Bakterien und Viren gibt, und die Durchfallwelle in Norddeutschland keineswegs durch ein Virus ausgelöst wurde. Dass ein belegtes Brötchen auch ohne Salatblatt möglich sein soll. Und sie mussten lernen, dass Bakterien wie Ehec O104:H eben nicht einfach winzige Mikroben sind, denen die Frage nach einem tieferen Sinn des Lebens völlig abgeht. Nein, der Erreger überrascht mit zutiefst menschlichen Eigenschaften: Er ist feindselig, aggressiv, hartnäckig, hat wahllos abartigen Sex mit anderen Bakterien, um gezielt noch fiesere Eigenschaften zu gewinnen, er ist ein Killer und vor allem ist er auch noch schlau. „Schlauer als unsere Forscher“, wie das Berliner Boulevardblatt B.Z. titelte.

Das alles geht vorbei – zumindest für die überwältigende Mehrheit jener, die von der so genannten Seuche gar nicht betroffen und statt mit Nierenversagen und Todesgefahr hauptsächlich mit der Umgestaltung ihres Einkaufszettels befasst sind. Was jedoch bleibt oder bleiben sollte, ist die Einsicht, dass Lebensmittel zwar als sicher gelten, aber Sicherheit niemals garantieren können. Denn Ehec ist nicht allein. Abgesehen von seinen vielen Artgenossen, mit denen sich Experten um den nun fast bundesweit bekannten Helge Karch im Konsiliarlabor der Uni Münster befassen, gibt es eine breite Palette weiterer Erreger, die übers Essen auf den Menschen kommen können, und zwar immer wieder. Salmonellen, Campylobacter, Shigellen, Listerien, Yersinien, um nur die häufigsten bakteriellen Keime in der Nahrungskette zu nennen, zu denen neben den enterohämorraghischen EC-Bakterien (Ehec) auch noch zahlreiche andere Stämme von Escherichia coli gehören, die je nach Art des Krankmachens klangvolle Prädikate wie enteroaggregativ (Eaec), enterotoxisch (Etec), enteroinvasiv (Eiec) oder andere erhalten.

Dazu kommen Viren: Enteroviren, Noroviren, Hepatitiserreger. Und Parasiten wie die berüchtigten Nematoden aus Fisch oder Toxoplasmen im Fleisch. Nicht alle diese Erreger lösen Durchfallerkrankungen aus, manche führen zu völlig anderen Krankheitsbildern. Nicht alle haben das Potenzial, nennenswerte Ausbrüche von lebensbedrohlichem Ausmaß zu verursachen. Und nicht alle lassen sich so schwer verfolgen wie Ehec, der erst mehrere Tage nach der Infektion zur Krankheit führt. „Da kann das Lebensmittel, auf dem der EHEC war, längst verzehrt sein“, sagt Lothar Wieler, Mikrobiologe an der Freien Universität Berlin.

Vom Tier auf den Menschen

Gerade Viren und Bakterien haben sich immer wieder als sehr wandlungsfähig erwiesen, sei es durch plötzliche Mutationen im Erbgut oder durch einen horizontalen Tausch von Genen, wie er bei Bakterien üblich ist. Und eben nicht nur bei Ehec.

„Solche Ereignisse lassen sich nicht vermeiden“, sagt Wieler. Wieler ist Experte für Zoonosen, das heißt für Erreger, die eigentlich bei Tieren zu Hause sind, aber auf Menschen übertragen werden. Die meisten der lebensmittelbedingten Infektionen gehören dazu – viele muss man als Ergebnis der Haltung von Tieren für die Produktion von Fleisch, Milch und (bei Haustieren) von Vergnügen betrachten. Wobei die Nähe als solche nicht der einzige Faktor ist. Die Entwicklung von gefährlichen Erregern ist stark an Einflüsse von außen gekoppelt, bei Bakterien wird der Selektionsdruck vor allem durch die Art des Futters und Arzneimittelzusätze enorm gesteigert: Viele Kraftfutterarten befördern die Bildung von Säure im Verdauungstrakt der Tiere, die wiederum die besonders säurefesten Keime aus dem Panseninhalt mendelt. Und Antibiotika, mit deren Hilfe ja Erreger bekämpft werden sollen, zeitigen zugleich die Selektion von Resistenzen, die sich im engen Stahlbetonmiteinander rasch ausbreiten. Was nun zu der überraschenden Erkenntnis führt, dass die ihrerseits unter Profitdruck stehende Massentierhaltung abgesehen von ziemlich niedrigen Preisen wenig Gutes hervorbringt. Sie erzeugt das Problem zwar nicht originär, aber sie beeinflusst und beschleunigt es – wie sehr, lässt sich nur erahnen.

Was aber kann man tun? Der Ruf nach Ausstieg wäre die eine Möglichkeit, doch der wird selbst durch eine Erkrankungswelle vermutlich nicht befördert; das Problem betrifft ohnehin nicht mehr allein die Fleischproduktion. Sämtliche Rohkost ist ein Problem. Was viele Experten daher fordern, sind Frühwarnsysteme, die Häufungen schnell registrieren und eine zentral gesteuerte Abwehrmaschine in Gang setzen. Der nun oft bemühte Vergleich mit den Frühwarnsystemen in den USA und Japan allerdings hinkt an manchen Stellen: Zum einen handelt es sich nicht um generelle Frühwarnsysteme, die alle möglichen, auch neue Keime gleichermaßen überwachen können.

Ein gut erforschter Erreger

So geht es in den Vereinigten Staaten und Japan grundsätzlich um Ehec-Stämme vom verbreiteten Serotyp O157:H7, also um einen Erreger, der gut erforscht ist, dessen Eigenschaften man kennt, mit dem man in zahlreichen Ausbrüchen Erfahrungen gesammelt hat. Über die schweren Komplikationen, die der derzeit in Deutschland grassierende Serotyp O104:H4 bei den Erkrankten auslösen kann, würde man sich vermutlich auch in den USA den Kopf zerbrechen; dort wie im Rest der Welt ist dieser spezielle Erreger bisher noch nie aufgefallen. Und als vor fünf Jahren ein mit geläufigen Coli-Bakterien verseuchter Spinat in Umlauf kam, dauerte es dennoch Wochen bis zur Klärung der Infektionskette.

Zum anderen wurden diese Systeme nicht ganz so vorausschauend implementiert, wie es jetzt erscheint. Beobachter wie der langjährige ARD-Korrespondent Klaus Weidmann, der die deutschen Behörden in der aktuellen Situation heftig kritisiert, weisen unfreiwillig auf den größeren „Erfahrungsschatz“ hin, über den die amerikanischen Experten verfügten. Darum muss man die Amerikaner, die schon seit 1992 mit großen Ehec-Ausbrüchen und vielen Fällen des hämolytisch-urämischen Syndroms – zunächst durch Hamburger-Verzehr – zu tun hatten, nicht unbedingt beneiden. Genau so wie die Japaner und ihre intensive Erfahrung mit 12.680 Ehec-Fällen aufgrund von Radieschensprossen. Das liegt nun auch schon 15 Jahre zurück.

Dennoch muss im deutschen Seuchen-Management neu gedacht werden. Wieler verweist darauf, wie Zoonosen im Veterinärwesen gemeldet werden. „Das ist alles elektronisch vernetzt. Sobald ein Fall erkannt ist, wird er ins System gespeist und sofort für die zuständigen Behörden erkennbar“, erklärt er. Das beschleunige die Aufklärung erheblich, sei allerdings auch leichter machbar als in Humanmedizin und Lebensmittelsystemen, wo die Verknüpfungen komplizierter sind und der Datenschutz eine sofortige Zuordnung mit allen Patientendaten erschwert. Außerdem bräuchte man jenseits der zentralen Organisation am Berliner Robert-Koch-Institut Konsiliarlaboratorien mit Spezialisten, die sich mit bestimmten Erregern befassen und auskennen und die RKI-Labore ergänzen.

Das Ehec-Labor von Helge Karch in Münster sei ein Beispiel, über Erreger wie z.B. Campylobacter wisse man dagegen noch viel zu wenig. Aber die Spezialisierung kostet eben auch Geld. „Der Staat muss das leisten“, meint Wieler als Forscher. Den Evolutionsdruck könnte allerdings auch hier der Profit erzeugen: Regressansprüche wie jene der Gemüsebauern sind auf Dauer teurer als ein gut organisiertes Netzwerk von Experten.

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