Earth Attacks! oder: Auch der Hype kann Freude machen

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Seit mehr als eine Woche brodelt es jetzt schon in der Ursuppe astrobiologischer Hypothetik, allein das ist ungewöhnlich, weil das zugehörige Paper doch aus Science stammt, dem Magazin, dessen wöchentliche Veröffentlichung selten mehr als ein einen Tag – genauer: einen Freitag lang– Aufmerksamkeit generieren. Donnerstagabend fallen die Sperrfristen, freitags berichten die Zeitungen, am Samstag ist der Spuk vorbei.

Aber wenn es um Leben im All geht, ist das Gehoppel meistens groß, und nun haben eben Forscher in einem unwirtlichen Salzsee Bakterien gefunden, die ohne Phosphor leben und giftiges Arsen verwerten können. Genauer: Schafft man sie aus dem See in ein Labor und nimmt ihnen den gesamten Phosphor weg, fangen sie an, hinzugeschüttetes Arsen zu verstoffwechseln, es soll angeblich auch ins Erbgut eingebaut worden sein. (Columbus hat hier schon gewohnt ausführlich darüber geschrieben) Das geht, weil Arsen dem Phosphor chemisch nahe steht, ist aber gerade deshalb ein tödlicher Prozess. Die Bakterien kamen allerdings prima klar mit Arsen, vermehrten sich sogar mit steigender Arsenkonzentration immer fröhlicher - solange kein Phosphor da war. Und das widerspricht der anerkannten Vorstellung von Leben, dessen Chemie genau sechs unverzichtbare Elemente kennt. Eines davon ist Phosphor.

Arsen dagegen gehört nicht dazu, auf diesem Planeten jedenfalls nicht, und damit kommen wir zur strittigen Schlussfolgerung, welche die Nasa angesichts dieser Entdeckung auf einer Pressekonferenz verkündete: Dass derlei Mikroben nämlich auf Planeten existieren könnten, auf denen nach unserem Sechs-Elemente-Dogma eigentlich gar kein Leben möglich wäre, was fraglos weitere Unglaublichkeiten impliziert - etwa, dass solches Leben auf der Grundlage einer anderen Chemie auch die Grundlage für höhere Lebensformen liefert. Im Weltall, versteht sich.

Ok. Es gibt in der Wissenschaftsberichterstattung ein böses Wort, und das heißt Hype. Wer wissenschaftliche Ergebnisse hyped, also überverkauft, macht sich berufsethisch strafbar und wird dafür geächtet. Genau genommen schert sich um dieses ungeschriebene Gesetz zwar keiner mehr, jede Woche wird gehyped, was das Zeug hält, und die Journalisten schreiben gerne drüber (und zwar donnerstags und freitags). Aber in diesem Fall hat die Nasa ihre Quittung bekommen: Forscher und Qualitätspresse haben die Entdeckung samt übertriebenen Schlussfolgerungen in den vergangenen Tagen wahlweise ernsthaft kritisiert (die Studie hat viele, viele Schwächen) oder ins Lächerliche gezogen (Astrobiologen, insbesondere weibliche, sind vielen Leuten nicht geheuer).

Bei aller berechtigter Kritik bleibt dann die Feststellung, dass das Dogma sehr wahrscheinlich gar nicht verletzt wurde und unsere Vorstellung von Leben erstmal heile bleibt. Sehr beruhigend - aber wie langweilig! Die spannende Frage, bei der die Nasa jetzt ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen ist, bleibt ja weiterhin: Können die Elemente auch nach einem anderen Konzept aus einer völlig anderen Kombination heraus etwas bilden, das sich vervielfältigt, wächst, höhere Strukturen bildet, die mit der Umwelt wechselwirken, welche Umwelt das auch immer sein mag?

Das Leben auf der Erde hat ein Konzept, es hat sich in einem Milliarden Jahre andauernden, höchst komplexen Prozess entwickelt und durchgesetzt, mit den besagten sechs von 80 stabilen Elementen und sofern die ersten Formen dieses Lebens nicht mit einem Meteoriten aus dem All herbeigeflogen sind, ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass irgendwo da draußen im Universum, auf einem der rund 500 bekannten Exoplaneten, genau dasselbe oder auch nur etwas ähnliches noch einmal passiert ist und Leben auf der Grundlage von DNA und Proteinen hervorgebracht hat, das nur in Einzelheiten (Arsen statt Phosphor, zum Beispiel) vom Erdmodell abweicht.

Extraterrestrisches Leben könnte und wird vermutlich ganz anders aussehen, von Grund auf anders oder bottom-up, wie man in der synthetischen Biologie sagt. Dort versucht man, sich selbst vervielfältigende Moleküle zu schaffen, mit anderen Strukturen, anderen Funktionen, anderen Elementen. Das wird absehbar nicht annähernd zu etwas führen, was wir Leben nennen wollten, aber die Idee dahinter könnte am anderen Ende der Milchstraße längst gediehen sein. Insofern lenkt auch die Studie, selbst wenn sie mehr getaugt hätte, von der eigentlichen Frage ab. Es geht weniger darum, ob sich eines der sechs Elemente austauschen lässt, um Leben in derselben Form wie wir sie kennen, nachzuahmen, als um die Frage nach etwas völlig anderem. Kann noch nicht beantwortet werden, leider. Bereitet aber durchaus Freude.

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Startseitenfoto: Mark Wilson / Getty Images

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

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