Es gibt Situationen, in denen Optimismus zwar unangebracht ist, aber effektiv. Während die eigentliche Quelle von Dioxinen im Legenhennen- und Schweinefutter noch recherchiert wird, sind die Täter schon gefasst. Die Firma Harles und Jentzsch hat wissentlich Futterfett mit technischem Fett gepanscht, welches Dioxine enthielt. Futtermittelhersteller Lübbe hat das verseuchte Fett ins Getreide gerührt, ohne je eine Zulassung für die Produktion von Tierfutter beantragt zu haben. Weshalb keine staatliche Kontrolle stattfand, ergo niemand ahnen konnte, was sich da anbahnt. Ein Einzelfall. Die Lage ist aber im Griff und das Risiko vernachlässigbar gering, das bestätigen die Toxikologen.
Kurzum: Glatter hätte es weder für Politik noch Agrarlobby laufen können. Routiniert wird der Fall nun abgewickelt. Sowohl das zuständige Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz als auch Schweinemäster und Geflügelbarone demonstrieren wahlweise Empörung oder Opfermiene, loben die getroffenen Maßnahmen, fordern endlich die (natürlich immer schon geforderte) Trennung der Herstellung von technischen und Futterfetten, und zeigen mit dem Finger auf jene „Kriminellen“, welche diesen ersten aller noch kommenden Lebensmittelskandale verbrochen haben. Sie sollen nach Auffassung von Ministerin Ilse Aigner künftig härter bestraft werden.
Die Kritik von Verbraucherschützern und Tierrechtlern darf dabei nicht fehlen, und wenn man schon mal dabei ist, packt man alles auf den Tisch: Tierquälerei, Pestizide, Verbrauchertäuschung und nun eben Futterpanscherei, hinter der Foodwatch nach eigenen Recherchen wiederum ein verbotenes Pflanzenschutzmittel vermutet. Ministerin Aigner wartet lieber auf die Ergebnisse ihrer eigenen Experten.
Das Übliche also, und ändern wird es nichts. Denn wie Foodwatch-Gründer Thilo Bode erst am Sonntag bemerkte: Die Eintragwege seien „vielfältig“. Wie vielfältig, weiß offenkundig nicht einmal die Ministerin wenn sie sich nun eine Positivliste für Einzelfuttermittel in der EU wünscht.
Wirtschaftliche Effektivitätskriterien
Tierfutter ist in seiner Herstellung und Beschaffenheit längst gesetzlich geregelt wie kaum ein anderes Produkt. Seit Erlass von Futtermittelgesetzbuch und Futtermittelverordnung Mitte der siebziger Jahre sollen dabei zwar Gesundheit und Umwelt ins Zentrum gerückt sein. Das vielfache novellierte und ergänzte Recht samt des 2005 erlassenen neuen Futter- und Lebensmittelgesetzbuches, diverser EU-Richtlinien für Zutaten und Zusätze und verschiedener Sonderverordnungen richtete sich aber in ersten Linie nach den Bedürfnissen des industriellen Wachstums. Das bedeutet vor allem: Tierfutter wie Lebensmittel unterliegen einem modularen Konzept, das durchrationalisierte und immer kleinteiligere Produktionsbedingungen ermöglicht, weil Futter, solange die Theorie keine Einwände zeitigt, vor allem wirtschaftlichen Effektivitätskriterien unterliegt.
Das Resultat sind Futtermehle, Presspellets und Granulate, deren Hauptbestandteile – Getreideschrot, Mais, Soja, Ackerbohnen – noch plausibel erscheinen, aber um der Wirtschaftlichkeit Willen nicht allein verfüttert werden. Die optimale Nährstoffzusammensetzung für das gewünschte Ergebnis, ob normierte Dotterfarbe oder ideales Schlachtgewicht, macht Ergänzungen durch isolierte Nährstoffe nötig, Futterfett und Aminosäuren also, oder den Zusatz von appetitanregenden Aromastoffen. Damit die Tiere dieses Futter auch überleben, kommen Medikamente, Enzyme und Säureregulatoren hinzu. Weil auch die Fütterung selbst reibungslos verlaufen muss, gibt es technische Zusätze wie Konservierungsstoffe, Fließ- und Bindehilfsmittel. Und weil das alles längst gelistet und legal ist, dürfte es kaum ein breiteres Einfallstor für Gifte und Produktionsfehler in Lebensmitteln geben als Tierfutter. Eine „gläserne Produktion“, wie sie 2001 schon die damalige Verbraucherministerin Renate Künast versprach? Unmöglich, in diesem System. Kriminelle Energien, die Massenhaltung von Tieren, die keiner will, die Ohnmacht der Kontrolleure, deren Zahl stets zu gering erscheint und immer neu heraufgeschraubt wird, um die Illusion zu bewahren, egal was man erlaube ließe sich in der Praxis tatsächlich überwachen – sie sind mithin auch bloß Folgen, nicht Ursachen der gegenwärtigen Situation.
Marodes Fundament
Der irritierende Zustand dessen, was Tier und Mensch als Nahrung dienen soll, verweist derweil weiter aufs marode Fundament: Das heute gültige Rechtssystem für Futter- und Lebensmittel bleibt allen Nachbesserungen zum Trotz eben ein Kind der Industrialisierung, das in erster Linie einem massenproduktiven Fortschritt dient und Qualität rein technisch als Reproduzierbarkeit von Farbe, Geschmack, Konsistenz und hygienischen Eigenschaften versteht. Per se wäre das nicht schlimm. Spätestens seit BSE ist aber klar, dass dieses System die Produktivität zwar stetig steigert, aber gerade dort versagt, wo es um die Gesundheit von Mensch und Tier geht. Letztere aber sollten in einem Zeitalter fern des Mangels endlich echten Vorrang haben. Vor 20 Jahren wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, ein grundlegend neues Futter- und Lebensmittelrecht auf den Weg zu bringen, welches das Prädikat „fortschrittlich“ verdient, weil es sich von gescheiterten Ideen löst, anstatt routiniert am alten Konzept zu schrauben. Bis sich diese Erkenntnis durchsetzt wird der Verbraucher nicht nur mit Dioxin-Eiern leben müssen.
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