Enttäuschende Enttarnung: Wer führt hier eigentlich wen in die Irre?

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Prestige ist etwas, das die Dienstobersten im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz schon immer gern gehabt hätten, aber nie hatten. Ok. Renate Künast vielleicht, weil sie ein paar ernsthafte Versuche unternommen hat, am Lebensmitteldilemma zu schrauben und den Hühnern mehr Platz zum Eierlegen zu schaffen.

Nun versucht es Ilse Aigner via Konsumgefühl. Die Häme über den Serverabsturz am ersten Tag von lebensmittelklarheit.de kann man sich sparen. Zumal die Panne sicher nicht als Beleg dafür zu deuten ist, dass Aigner ihr Prestigeprojekt "unterschätzt" hat. Im Gegenteil. "Lebensmittelklarheit" ist ein nachgerade unverschämtes Pseudozugeständnis an den Verbraucher, eine Täuschung in sich. Warum?

Ein Blick auf die Seite. Im Design stark an abgespeist.de angelehnt, ist die Homepage - sofern sie richtig lädt - immerhin übersichtlich. Protestwillige Verbraucher finden rasch den Weg zum Beschwerdeformular, auf das sie den mutmaßlichen Betrug bzw. die Täuschung bzw. die Irreführung eintragen und an die "Redaktion" schicken können. Die prüft den Vorwurf und wendet sich an den Hersteller, der daraufhin eine Stellungannahme abgeben kann. Es ist im Grunde dasselbe, was Foodwatch seit Jahren betreibt. Nur dass die Nummer hier nun unter der Schirmherrschaft von Frau Aigner läuft.

Man könnte nun sagen - und es wird auch gesagt - dass dieses Projekt irgendwie lobenswert ist, weil der Verbraucher hier gehört und mit seinen Nöten und Verwirrungen ernst genommen wird. Einkaufen ist ja auch wirklich kein Spaß mehr, heutzutage. All diese Fertigprodukte, die man zwar selbst herstellen könnte, aber nicht mehr möchte und deshalb eingebüchst, als Pulver oder sonstwie containerisiert erstehen muss, wobei man immerzu in der Angst leben muss, dass die Packung irgendwas gemeines enthält oder doch nicht das, was man sich auf den ersten Blick davon versprochen hat.

Zum Beispiel die fertig marinierte Hähnchenbrust, die angeblich mit 100 Prozent marinierter Hähnchenbrust gemacht wurde, aber laut Zutatenliste nur 75 Prozent Hähnchenfleisch plus Marinade enthält. Na gut, vielleicht ergibt 75 Prozent Fleisch plus 25 Prozent Marinade ja wirklich 100 Prozent mariniertes Fleisch, wie auch der Hersteller daraufhin recht einleuchtend erklärt. Aber der Käufer findet das nicht. Er will offenkundig 125 Prozent mariniertes Hähnchen - mit 100 Prozent Hähnchen drin!

Die übrigen und nicht gerade zahlreichen Beispiele sind entweder ähnlich absurd (das "Sylter Salatdressing" kommt womöglich gar nicht aus Sylt!) oder kreisen um die ewig gleichen Kennzeichnungs-Sujets. Hefeextrakt, vor allem. Dass natürliches Hefeetrakt auch Glutamat enthält und als Zusatz die Kennzeichnung "ohne den Zusatz Geschmacksverstärker" ermöglicht, ist von den Verbraucherzentralen über foodwatch bis hin zur ARD-Ernährungswoche rauf und runter bejammert worden. Aber es ist eben so. Das Gesetz erlaubt diese Deklaration (weshalb die Rubrik übrigens "Getäuscht?" mit Fragezeichen heißt, was an sich schon wieder eine Irreführung ist) und man könnte den genannten Produkten deshalb noch mehrere Hundert hinzufügen. Im übrigen auch hunderte Bio-Produkte.

Ändern wird sich deshalb nichts, und das ist auch exakt die Botschaft dieser Seite. Meldet euch, prangert an, und lebensmittelklarheit wird erklären, dass das alles erlaubt ist (aber nicht warum). Das Lebensmittelrecht bleibt ein Abgrund, in den sich niemand wagen will. Die Profiteure des Prestigeobjekts sind damit eine Politik, die sich aus der Affäre des Handelnmüssens zieht, und – tatsächlich – die Lebensmittelindustrie. Noch nie zuvor hat sie eine aus Steuergeldern finanzierte, großangelegte Marketingstudie geschenkt bekommen. Frau Aigner hat diesen Schritt für sie getan.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

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